Veranstaltungen - Geschichte - Kunst & Denkmal
Straße | von | Grund | bis | Grund |
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Treitschkestraße | 1960 | Erstnennung | Kein Grund angegeben |
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister!
Zeitungsmeldungen zufolge soll demnächst auf Vorschlag Mümchner Bürger eine Straße in München nach dem ermordeten amerikanischen Bürgerrechtskämpfer und Friedensnobelpreisträger Pfarrer Martin Luther King benannt werden. Sie selbst, Herr Oberbürgermeister haben die Anregung aufgegriffen, wobei es noch unbestimmt sei, ob dabei an eine Umbenennung eines Straßennamens oder an eine Neubenennung gedacht sei.
Der Kreisverband München des Bayernbundes e.V. schlägt hiezu die Umbenennung der Treitschke-Straße in Moosach in Martin-Luther-King-Straße vor und begründet diesen Antrag wie folgt:
Bereits im April 1960, als die Treitschke-Straße in München diesen namen erhielt, hat dies bei vielen mit Treitschkes Persönlichkeit und Wirken vertrauten friedliebenden und bayerisch fühlenden Bürgern der Stadt äußerstes Befremden erregt.
Treitschke (1834-96) war als Historiker des "Philosoph und Apostel des reinen Machtstaates" /F.W.Foerster, Politische Ethik und Pädagogik 1918 S. 185). "Das Wesen des Staates ist Macht, abermals Macht und zum dritten Male Macht", war seine Devise /Fr. Meinecke, die deutsche Katastrophe, 1946). Dazu war er ein glühender Antisemit. Der den nazis zugeschriebenen Slogan: "Die Juden sind unser Unglück" stammt von ihm (A, Grote, Unangenehme Geschichtstatsachen, S. 160). Sein Einfluß auf das deutsche Bürgertum und auf die nationalitische Journalistik nach 1879 war ungeheuer (F.W. Foerster, Deutsche Geschichte und politische Ethik, 1961, S. 63(. Kein Wunder, daß er der Kronhistoriker des Dritten Reiches wurde.
Mit Zustimmung der Gutachter für die Straßenbenennung und des zuständigen Bezirksausschusses hat der Stadtrat im Jahr 1960 einen im 28. Stadtbezirk entstandenen Straßenzug Treitschkestraße benannt.
Der Kreisverband München des Bayernbundes e.V. schlägt in seinem obenerwähnten Schreiben, von dem wir eine Ablichtung beifügen, vor, diese Straße umzubenennen, weil Treitschke "rücksichtsloser Machtpolitiker, Antisemit und Bayernhasser" gewesen sei; (eine Umbenennung in Martin-Luther-King-Straße ist schon wegen der schwerwiegenden Verwechselungsgefahr mit der betehenden Martin-Luther-Straße nicht möglich; auch die Bezeichnung "Kingstraße" muß unterbleiben, weil sie mit der Klingstraße verwechselt werden kann).
Da aber außer dem Kreisverband München des Bayernbundes evtl. auch weitere Kreise der Bürgerschaft Anstoß nehmen könnten, bitten wir,zu den gegen Treitschke erhoben Vorwürfen Stellung zu nehmen, damit wir auftragsgemäß dem Direktorium-Verwaltungsamt berichten können.
I.A.
Dr. König
Im Gegensatz zu Leopold v. Ranke wollte Heinrich v. Treitschke, der zu seiner Zeit als Meister des gesprochenen und geschrieben Wortes galt, nicht nur darstellen "wie es gewesen war", sondern vor allem durch seine Geschichtsdarstellung politisch erziehen und bilden. Treitschke war als Politiker (Mitglied des Reichstages 1871-84) ein leidenschaftlicher Gegener der Parteien, des Materialismus, des marxistischen Sozialismus und des Judentums; er trat für die deutsche Einigung unter preußischer Führung ein und wandte sich schonungslos gegen alle Kräfte, die einer zentralistsichen Reichsführung im Weg zu stehen schienen.
Diese subjektive Einstellung des Politikers bleib nicht ohne Einfluß auf das Geschichtsbild und die Darstellungsweise des Historiker Treitschke. Seine teilweise recht gehässigen und - nach heutigen Begriffen - auch ungerechten Urteile über Bayern und das Judentum (der Ausspruch "die Juden sind unser Unglück" stammt tatsächlich von ihm) müssen aber aus seiner Zeit heraus verstanden werden und ändern nichts an der Tatsache, daß Treitschke einer der glänzensten Geschichtsschreiber des 19. Jahrhunderts war.
Ihn für seine zugestandenen bisweilen recht bissigen Äußerungen nachträglich durch Umbenennung der Treitschkestraße gewissermaßen zu "strafen", müsste bei konsequenter Anwendung solcher Prinzipien auch in anderen Fällen unabsehbare Folgen haben. So müssten, um nur eine kleine Auswahl zu nennen, auch die folgenden Straßen (sie tragen ihre Namen zum teil erst seit wenigen Jahren) umbenennt werden:
Zu 1)
Benannt nach den Sozialisten August Bebel, der vor 1903 auf dem sozialdemokratischen Parteitag in Dresden die für dfie Münchner Sozialdemoktraten wenig schmeichelhafte Äußerungen tat: "München ist das Capua der deutschen Sozialdemokratie. In München wandert keiner auf die Dauer ungestraft unter Bierkrügen".
Zu 2)
benannt nach dem Dirigenten Hans von Bülow, der die Münchner Opernbesucher anläßlich der Aufführung einer Wagner-Oper als "Schweinehunde" bezeichnete.
Zu 3)
benannt nach dem Schwedenkönig Gustav Adolf, der, als er 1632 vor München lag, geschoren hatte, die Stadt München dem Erdboden gleich zu machen. Gustav Adolf zeigte sich nach der Übergabe der Stadt zwar sehr nobel und verhinderte die sonst übliche Brandschatzung und Plünderung, forderte dafür aber als Kriegkonstribution die riesige Summe von 300 000 Talern (= 450 000 Gulden) und führte, als nur ein Teil davon aufgebracht werden konnte, 42 Geiseln mit sich fort, die erst nach 3 Jahren zurückkehren durften.
Zu 4)
benannt nach dem Dichter Heinrich Heine, der - obzwar selbst Jude - als glühender Antisemit zu gelten hat.
Zu 5)
benannt nach dem pfalzbayerischen Kurfürsten Karl Theodor, der entgegen den Vereinbarungen der Wittelsbacher Erbverträge Jahre hindurch intensiv - wenn auch vergeblich - die Zertrümmerung Bayerns betrieben und zuließ, daß Österreich Teile Niederbayerns und der Onerpfalz besetzte. Nicht zuletzt der Inenvention des Preußenkönigs Friedrich II. war es zu verdanken, daß ein weiteres Tauschobjekt (Karl Theodor beabsichtigte, Oberbayern und Niederbayern gegen den größten Teil der österreichischen Niederlande und den Titel eines Königs von Burgund ein zutauschen) nicht zustande kam.
Zu 6)
benannt nach dem Komponisten Richard Wagner, der sich während seines Münchner Aufenthaltes in den Jahren 1864/65 unerträglichen Übergriffe und Einmischungen in Staatsangelegenheiten erlaubte, bayerische Minister als "abscheuchliche Intreganten" und "große Schurken" bezeichnete und sich gegen die Münchner in überaus gehässigen Schmähungen und Beschimpfungen erging.
Zu 7)
benannt nach Benjamin Thompson, Graf von Rumfort, auf dessen Veranlassung und unwahre Anschuldigungen hin der Münchner Rat am 21. Mai 1791 in der Maxburg zu einem demütigen Kniefall vor dem Bild des Kurfürsten Karl Theodor gezwungen wurde.
Die Liste der hier aufgeführten Personen, deren Verdienste im übrigen in keiner Weise geschälert werden sollen, ließe sich beliebig fortsetzen.
I.A.
Dr. Morenz
Oberarchivrat