Straßenbenennung

Datum06.11.1933SignaturDE-1992-STRA-40-54 
AbsenderReferat 7EmpfängerStadtarchiv München
ArtKein Grund angegebenStatusKein Grund angegeben
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München, den 6. November 1933.

Sehr geehrter Herr Jonas!

Jn der Anlage übersende ich Jhnen zur Vorlage an Herrn Stadtrat Harbers einen hieinen Aufsatz gemäß der neulich getroffenen Verabredung. Vielleicht lassen Sie mich wieder wissen ob die Fassung in dieser Form entsprochen hat und ob Sie die Zustellung an die Presse vermitteln wollen.

 

Mit deutschem Gruß !


Die Wachtelstraße.

Es gab eine Zeit, sie liegt noch gar nicht so fern, und die Älteren unter den heute Lebenden haben sie nooh selbst miterlebt , da wollte jedermann möglichst "hoch hinaus" Welch herrliches erstrebenswertes Ziel, so meinst Du !

Ja, hätte es der inneren Höherentwicklung gegolten, dann ja ! Aber das Höher-Hinaus-Wollen ging ganz anders vor sich:

Es galt dar Schauseite nicht dem Kern.

In jedem Haushalt ging diese Seuche um. Der alte aus dem Zweck geborene Hausrat in seiner strengen Alltäglichkeit wanderte zum Trödler und Altertumshändler und den Platz nahmen hochglänzende auf den Schein gearbeitete ”Möbel" ein, die den Prunk nach empfundener Renaissancekunst in eine Umgebung trugen, deren Lebenshaltung rein gar nicht mit der Renaissance zu tun hatte. Aber man hatte seinen "Salon", wenn man sich darin auch Zeitlebens nie recht wohl fühlte. Er wurde selten geheizt ein wenig fröstelte man eigentlich immer darin; indeß man hatte ihn und konnte damit auf trumpfen und somit fühlte man sich "gehoben", was man ja wollte.

Selbstverständlich fand solche Wohnpraoht nicht mehr Raum in den alten Gassen und Gäßchen, Winkeln und Ecken.

Also fort damit! Doch hier gab es Grenzen. Wer neu baute, war so glücklich, einen Renaissancebau vortäuschen zu können; aber alle Altwohnungen unzufassadieren, dazu reichte es doch nicht. Hier fand sich ein prachtvoll einfaches Mittel: Man taufte um. Wer bisher in der Knödelgasse hatte wohnen müssen und darob sich immer ein wenig zurückgesetzt gefühlt hatte, der wachte eines Morgens in der Hartmannstraße auf. Jahrhunderte hindurch hatten zwar seine Altfordern sich nie mit derartigen Sorgen gewühlt, wenn sie nur sonst ihr täglich Brot gehabt hatten, aber zum "Salon" und zu den "Renaissaucemöbeln” , konnte die Gasse nicht mehr stimmen.

Die gehörten in eine Straße, zum mindesten noch lieber in einen Bulevard oder in eine Avenue. Weil das nun doch nicht so ganz sich machen ließ, darum mußte es wenigstens eine Straße werden. Wie schön las die sich auf Briefbogen, Visitenkarten und wenn man in der Sommerfrische sich ins Fremdenbuch einzutragen hatte.

Erziehung zu besseren Wohngeschmak und die Not der Zeit haben in den Haushaltungen falschen Prunk nich weitergedeihen lassen und wer heute sich neu ausstattet, verzichtet auf die seiner Lebenshaltung fremden Dinge. Wer baut, ob der einzelen oder Siedlungsgenossenschaften oder die öffentliche Hand, verzichtet bewußt auf eine falsche Schauseite und baut von innen nach außen. Die Fassade ist nioht angestückt. sondern gewachsen als Ausdruck dessen,was hinter ihr steht.

Aus dieser Auffassung von innerer Echtheit ergab es sich ganz von selbst, daß nicht mehr jeder Verkehrsweg, nur weil er eine bestimmter Meterbreite für sich naohweisen konnte, Straße getauft wurde. Ja es ist nioht einmal nötig, daß immer und überall das Wort Straße, Gasse,Weg usw. angefügt wird. Wo ohne diese erläuternde Zutaten die erstrebte Deutlichkeit und Sinngebung errreicht wird, können sie ganz fehlen* "Am Hochstand" "Am Eulenhorst" hat Sinn. Eine "Hochstandstraße", eine "Eulenhorststraße" liessen nicht nur dem Weidmann die Haare zu Berge stehen.

Verkehrswege die in Garten- oder Waldgelände angelegt werden, die durch Vorgärten vor den Häusern traulich gemacht und die Erinnerung an Straßenlärm und Unrast der Großstadt verscheuchen wollen und sollen, tragenmit Recht, auch wenn sie der Unterbau und das Metermaß der Klasse "Straße" zuweisen den Namen Weg. 

Ruhiges Wohnen naoh der Hast des Tages, ist das nicht das Ziel das allen Siedlern als Höchstes vorschwebt ?

Und diese Harmonie von Sein und Namen wollte man durch Rückfall in eine längst abgetane Großmannsucht stören ! Niemand wird in unserer Zeit solchen Plunder unechter "Etikettierung" noch das Wort reden.

 

fei