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Ein Jahrhundert München

Die Persönlichkeit Ludwig I.

Sein eigentliches Denken und Empfinden legte der König am offensten in seinen Gedichten nieder, und der Inhalt entschädigt für manche holprige, harte Ausdrucks- weise. Die klassische Bildung der damaligen Zeit war Ludwig I. so in Fleisch und Blut übergegangen, daß er sich zur Einkleidung seiner poetischen Gefühle fast aus- schließlich klassischer Versmaße bediente. Vorwiegend treten deshalb das Distichon und der Jambus auf. Vielfach überschüttet mit Lob, von den Dichtern Rückert, Ohlenschläger, Münch-Bellknghausen gefeiert, sagt er in seinem Distichon „An mich":

Daß dich nicht täusche das reichliche Lob,- denn was du gedichtet,
Ungepriesen blieb's, säßest du nicht auf dem Thron.

Doch das wäre eine Ungerechtigkeit gegen den König. Denn viele seiner Gedichte haben einen bleibenden Wert. Wer Ludwig I. und seine Zeit verstehen will, muß seine Gedichte lesen und beherzigen. Die oft getadelten Schwärmereien Ludwigs I. für diese und jene Schönheit, die ihn auch zur Anlage der herrlichen „Schönheits-Galerie" in der Residenz veran- laßten, haben der Liebe zu seiner Gemahlin keinen Eintrag getan. Er bezeichnet sie als das „Ideal des Weibes", und sich offen aussprechend preist er ihre edle Milde im Vergleich zu dem abfälligen Urteil der Welt über seine bewegte Herzensgeschkchte:

„Du verkennst mich nicht, obgleich mich die Menge verkennet,
Unerreichbares Weib, trefflichstes, welches gelebt!
Wird der Wipfel der Eiche vom Wind auch zuweilen beweget,
Wurzelt sie dennoch fest, ewig die Liebe für Dich!"

Im Festsaalbau der Residenz ließ Ludwig I. durch seinen Hofmaler Joseph Stieler (1781—1858) „eine Sammlung weiblicher Bildnisse" schaffen, für die er die Modelle selbst auswählte, und die sich als „Schönheitsgalerie" großer Volkstümlichkeit erfreute. Fontane spricht von einem „gemalten Harem", während Söltl sehr maßvoll meint, die Nachwelt möge daraus erkennen, „wie mannigfach sich der Charakter weiblicher Schönheit in der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts in Bayern, zumal in München, ausgesprochen habe". Vergleiche auch die Ausführungen Lewalds auf Seite 94.

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