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Ein Jahrhundert München

Die Persönlichkeit Ludwig I.

Luise von Kobell, die Tochter Franz vonKobells, die „Unter vier Königen Bayerns" viel erlebte oder aus Mitteilungen ihrer Familie unter diesem Titel zu einem zwei- bändigen Werke zusammentrug, schreibt:

Die Persönlichkeit Ludwigs I. muß man mit dem, wenn auch etwas abgenützten Worte „interessant" bezeichnen. Schön soll er in seiner Jugend gewesen sein,- als ich ihn sah, war er es nicht mehr. Aber der gescheite Ausdruck seines scharfgeschnittenen Gesichtes war anziehend, und seine graublauen Augen hatten etwas Umfassendes, Wahres im Blick. Seine mittelgroße Gestalt war regelmäßig, im Alter etwas nach vorn gebeugt. Sein lebhafter Gang, sein plötzliches Stehenbleiben schienen nie mechanisch zu sein, sondern immer in Verbindung mit einem Gedanken, der ihn gerade beschäftigte. Die verschiedensten Dinge gaben dazu Anlaß: ein Bauwerk, ein Gemälde, eine Physiognomie, ein Schleier. Einen Schleier vor dem Gesichte einer Dame konnte er nämlich nicht leiden, und die Münchnerinnen wußten dies so genau, daß Alte und Junge den Hutschleier kn die Höhe rissen, sobald sie nur den König von weitem kommen sahen. Außerdem mußten sie eine Rüge von ihm gewärtigen wegen „Etiquettenmangel". Wurde diese auch meist nur scherzhaft erteilt, so vermied man sie dennoch, da Ludwig I. so laut sprach, daß das eben anwesende Publikum alles hörte und dann seine Randglossen über die Betreffende machte. Und wenn auch allein, ging der König doch nicht allein, denn in angemessener Entfernung folgten ihm stets einige Neugierige,- sie blieben wie auf Kommando stehen, wenn der König mit einem ehrerbietig Grüßenden sprach, der des Weges gekommen. Da hallte dann weithin eine schwungvolle Rede, die aber hastig, stoßweise hervorgebracht wurde. Bisweilen spann sich die Unterredung länger fort, dann bildeten die stummen Begleiter einen Kreis um Ludwig I. Auch ich stand, wenn möglich, in einer solchen Corona, denn es war mir ein lehrreiches Vergnügen, zuzuhören, wenn der König, was oftmals geschah, mit seinen Lieblingsarchitekten Klenze und Gärtner vor einer seiner Kunstschöpfungen stand und sein Urteil abgab, bald über das Ganze, bald über Einzelheiten.

Einmal hörte ich den König mit meinem Vater im Englischen Garten über den Monopteros kn so sinniger Weise sprechen, daß ich, wie aufgerüttelt davon, den kleinen Tempel, an dem ich wohl über hundertmal gleichgültig vorübergegangen war, eigentlich nun erst recht betrachtete.

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