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Ein Jahrhundert München

Mißstände im Theaterwesen

Forderungen und Launen das Beginnen der Theaterverwaltung zu stören, und diese steht daher in dem glücklichen Verhältnis, den Geist der Kunst freier durch ihr Institut wirken lassen zu können, als die Verwaltungen der Theater in jenen beiden größeren Residenzstädten.

Gleichwohl vermißt man den Geist, der über den Wert und die Würde eines dramatischen Institutes wachen sollte, zur Zeit ganz auf der hiesigen Bühne. Übereinstimmung der Darstellenden, die Seele des szenischen Spiels, findet man auf derselben fast nie. Neben einem Akteur, der in einer eminenten Deutlichkeit das Ziel seines Strebens zu suchen scheint, steht eine Aktrice, welche trotz der angestrengtesten Aufmerksamkeit kaum zu verstehen ist. Hier erfreut man sich eines gewandten, raschen, lebensvollen Vortrags, aber er wird vom gedehntesten und monotonsten unterbrochen, der je die Geduld der Zuhörer auf die Probe zu stellen vermag. Voll leidenschaftlichen Feuers, mit den Gesten des französischen Tragödienspielers, richtet ein junger Held — über die Lampen des Proszeniums gebeugt — die Rede an die Zuschauer, welche der neben ihm stehenden Geliebten seinen Seelenzustand offenbaren soll, und wendet ihr nach derselben mit ineinander geschlagenen Armen den Rücken zu. Sie antwortet ihm dagegen kn einer preziösen, alle Worte betonenden und eben daher nichts ausdrückenden Manier, die ost unerträglich wird. Ein Mann aus dem höheren Stande kniet in dem Hause eines der Ersten des Reiches auf einem Stuhl und wiegt sich mit diesem recht bequem vor- und rückwärts, wie man dies wohl behaglich in einem Kaffeehause zu tun pflegt. Dergleichen Unbilden sind zur Gewohnheit geworden, weil keine Ein- und Umsicht über die Schauspieler und ihre Proben waltet. Eben daher wird des Zuhörers Ohr und Sinn so ost durch die jämmerlichsten Sprachunrichtigkeiten beleidigt, die das Lächerliche zum Widrigen gesellen. Rollen, welche nicht eben zu den ersten gehören, aber dessenungeachtet ost recht bedeutend sind, werden talentlosen Anfängern oder ganz untauglichen Subjekten übertragen, die den guten Eindruck natürlich vernichten, den die Hauptdarsteller wohl ost bewirken. Junge Herren von Ton und Welt, Liebhaber verkehren hier in Stiefeln und pantalons. In die Zimmer luxuriöser Damen tritt der anmeldende Bediente in der Livree eines Stallknechtes, und die versammelte Hausdienerschast der Lady Milford oder des Clavigo sieht so erbärmlich und buntscheckig aus, daß sie gewiß keinen Begriff von dem glänzenden Verhältnis ihrer Herrschaft gibt. Zimmer- und Saaldekorationen sind so veraltet, daß man die ursprünglichen Farben daran nicht mehr erkennen kann. Man muß die Vorstellungen von Wallensteins Lager, von Fiesco, von Egmont auf dieser Hofbühne gesehen haben, um überzeugt zu werden, wie wenig die Direktion derselben die Werke der ersten dramatischen Dichter achtet. Denn nicht aus Unzulänglichkeit des darstellenden Personals, sondern aus der zweckwidrigsten Anstellung desselben entsteht das gerechte Mißbehagen, welches bei diesen Schauspielen alle 

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