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Ein Jahrhundert München

Mißstände im Theaterwesen

Zuschauer ergreifen muß. Zur Ehre dieses Personals darf man sagen, daß es in seiner Mitte denkende und würdige Künstler und Künstlerinnen, geübte, fleißige und aufstrebende Darsteller, soviel wie jede andere gute Bühne zählt,- aber wer sorgt für ihre Tätigkeit? Wer führt sie in und mit dem Geiste ihrer Zeit fort? Wer knüpft und ordnet das Band bei ihrem gemeinsamen Streben?

In dramatischen Novitäten bleibt man hier gegen alle angesehenen Bühnen Deutschlands zurück. Kein Manuskript wird angekaust, zu so niedrigen Preisen es sich auch darbieten mag,- man wartet ab, bis es nach einigen Jahren im Buchhandel erscheint. Und doch sind solche leichte Erscheinungen nicht für die Ewigkeit geschrieben,- sie entstehen und ergötzen zum Teil nur durch die Anklänge der Zeit, in welcher sie entstanden. Indem ich dieses schreibe, zähle ich aus dem Gedächtnis allein zehn neue Kotzebue'sche Schauspiele auf, deren ich in Tageblättern erwähnt gefunden, und welche das hiesige Theater noch nicht gegeben, wozu keines der geringfügigeren aus den dramatischen Almanachen dieses Schriftstellers gerechnet ist. Schauspieler und Schauspielerinnen, welche die Zierde und Stühe des Theaters sind, sieht man in halber, ja in ganzer Jahresfrist in keiner neuen, bedeutenden Rolle auftreten. Ist das Sorgfalt für Talent? Ist das Haushalt kn ihm? Ist es ein Wunder, wenn der Fleiß und das freudige Emporstreben erkaltet, das ungeübte und nicht genug beachtete Talent rückwärts schreitet und das Gesamtbemühen die Spuren des Kaltsinnes trägt? Das gebildete Publikum, welches seit vier Jahren Zeuge des Verfalls des HofTheaters gewesen, ist bis zur höchsten Gleichgültigkeit gegen dasselbe herabgestimmt. Man klagt nicht mehr über die Theaterverwaltung, man wünscht, man hofft nichts mehr von ihr,- sie ist ein Gegenstand des allgemeinen Witzes, der sich um so bitterer äußert, da bei den reichsten Hilfsquellen und trotz der Armseligkeit ihrer Leistungen dennoch ihre großen ökonomischen Verlegenheiten und sonstigen hinderlichen Reibungen stadtkundig geworden sind. Die große Oper leistet noch viel Erfreuliches. Ausgezeichnete Sänger und Sängerinnen stehen bei ihren Produktionen unabhängiger vom Ensemble da als die guten Darsteller im rezitierenden Schauspiel,- ihre Wirklingen werden von sachkundigen Direktoren geleitet, von einem vortrefflichen Orchester unterstützt und können also die allgemeinste Beachtung weniger verfehlen. Märsche, Züge, Bewegungen der stummen Personen werden von den Tänzern, nach der Anweisung eines einsichtsvollen Balletmeisters ausgeführt. Der Einfluß der Theaterverwaltung versichtbart sich nur in mangelhaften Dekorationen, im nachlässigen Kostüm des Ensembles und leider auch im Chor, der, da das Personal desselben nicht angestellt, sondern nur für die einzelnen Vorstellungen und die dazu gehörigen Proben gedungen ist, sehr dürftig und nicht genugsam eingeübt erscheint.

Nach dieser Schilderung des königlichen HofTheaters, die ein treuer Nachklang der Meinung aller Klassen des Münchner Publikums ist, fragt es sich: durchweiche 

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