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Mayer - Münchner Stadtbuch (1868)
Herzog Stephan I., genannt mit der Haft, war am 10. Mai 1375 verstorben, und ihm folgten in der Regierung seine 3 Söhne, welche ihm seine Gemahlin Elisabeth von Sizilien geboren, nämlich Friedrich, sein Erstgeborener, dann Stephan, von seiner kleinen und zierlichen Gestalt und seinem köstlichen Putze genannt der Knäufel, und Johann, der Jüngste. Eingedenk, welches Unglück und welche Verluste die unseligen Ländertheilungen, vor welchen der alte Kaiser Ludwig so sehr gewarnt hatte, über Bayern gebracht hatten, hielten sie brüderlich und fest zusammen, und regierten so anfangs fünfzehn Jahre lang gemeinschaftlich das land. Die Bürger in München waren besonders dem Herzog Johann zugethan, welcher leutseligen und liebreichen Gemüthes, genügsam und einfacher Lebensweise war, nur die Freuden des edlen Waidwerkes Pflegend. Seine Brüder Friedrich und Stephan hingegen, ehrgeizig und prachtliebend, waren theils durch ungemessenen Aufwand so sehr in Noth und Schulden versunken, das Herzog FriedrichBürgerunruhen
sogar seiner Gemahlin Magdalena, einer Tochter des Herzoges Visconti von Mailand, Schmuck an die Juden versetzen musste, ja sie vergeudeten zudem viel herzoglichen und städtischen Gutes, darob ihnen die Bürger Münchens sehr zürnten und große Unzufriedenheit über die traurigen Finanzverhältnisse der Herzoge herrschte.
Namentlich aber fiel der Zorn der Bürgerschaft auf einen Günstling der beiden Herzoge Friedrich und Stephan, welcher in der großen Chronik von Augsburg Hans, von Aventin aber Ulrich Impler genannt wird. Dieser Impler hatte nämlich die Verschwendung der Herzoge begünstiget und sich dabei mancherlei Eingriffe in die Gerechtsame der Stadt erlaubt. Darüber stieg die Erbitterung der Bürgerschaft, und es kam endlich im Jahre 1385 oder nach anderen 1386 zum offenbaren Aufruhre. Impler wurde in demselben gefangen, von dem Stadtrathe prozessirt und der Tortur unterworfen, und endlich auf öffentlichem Marktplatze enthauptet.
Die Herzoge, darob schwer entrüstet, verließen sogleich München, begaben sich nach Dachau, widersagten der Stadt, und rüsteten sich hierauf mit großer Macht, um schwere Rache und Strafe an der Stadt zu üben. Jetzt sank der Bürgerschaft der frevelhafte Muth; eingeschüchtert und in Angst und Schrecken über das Schicksal der Stadt und ihrer Räthe, sendete sie einhundert der angesehensten Einwohner Münchens als Abgeordnete an die Herzoge, welche mit wohlgerüsteten Schaaren zum Angriffe bereit, in Dachau lagerten.
Lange war alles Bitten vergebens, die schwer beleidigte Würde der Herzoge ließ keine Schonung erwarten.
Endlich, nach vielen inständigen Flehen auf den Knieen um Gnade, ließen sich die Herzoge erweichen, jedoch unter der Bedingung, daß die ganze männliche Bevölkerung von München barhauptig, demüthig ohne Wehr und Waffen, in Bußkleidern, den Stadtrath an ihrer Spitze, von welchem aber der Bürgermeister zum Zeichen, daß er wegen seiner Frevelthat das Leben verwirkt habe, statt der goldenen Kette einen Strick um den Hals tragen mußte, vor dem Neuhauserthore den Herzogen entgegen gehen, dortselbst auf den Knieen um Gnade bitten, und die Schlüssel der Stadt übergeben solle, was auch geschah.
Die Herzoge bewilligten nun Gnade, jedoch mussten die Bürger noch weiters den Herzogen ihre beträchtliche Geldschuld, welche alle Jahre 2000 fl, Zins ertrug, nachlassen, denselben ferner 6000 fl. Baar und 2000 fl. An die herzoglichen Räthe zahlen, und noch überdieß den Herzogen gestatten, neben ihrem bisheringen Schloße, der „alten Burg“, sich ein neues, gleichsam zur Ueberwachung der unruhigen Bürgerschaft erbauen zu dürfen, und ebenso, daß sie sich zum ungehinderten Aus- und Einreiten aus der alten Veste ein eigenes Thor erbauen durften. Dieses Thor, zuerst „Thürmleinthor“ genannt, ist der noch heute bestehende, sogenannte Schlichtingerbogen, welcher von der Burggasse in die Graggenau, heutige Lederergasse führt; das Schloß aber war die sogenannte „neue Veste“, welche im Jahre 1392 erbaut wurde, und an der Stelle stand, wo jetzt die neuen Flügel der Residenz gegen den Hofgarten und die Reitschule sich hinziehen. Zugleich verordneten die Herzoge, einer alten, jedoch unverbürgten Sage nach, daß der Bürgermeister fortan, zum ewigen Gedäcchtnisse dieser Missethat, zweimal des Jahres, nämlich am Feste der Kreuzerfindung und dem der Kreuzerhöhung bei dem öffentlichen Gottersdienste mit einem Stricke um den Hals statt der goldenen Ketter erscheinen müsste. Dieses wurde von nun auch so gehalten. *)
Schon nach dem großen Brande im Jahre 1327, als das heilige Geistspital wieder aufgebaut wurde, wurde die alte Katharinen-Kapelle mit dem Spitale vereinget und in den Spitalbau eingeschlossen. In dieser Katharinenkapelle musste nun der regierende Bürgermeister zweimal der Jahres an den obengenannten Feiertagen in Amtskleidung, jedoch den Strick um den Hals, dem Gottersdienste beiwohnen, und dazu öffnete sich ihm eine Thüre, die sonst für Jedermann verschlossen blieb. Zu diesem behuse wurde im Jahre 1427 ein eigener Gang hergestellt, welcher vom kleinen Rathhause aus über die Fleischbank und über einen noch gegenwärtig vorhandenen großen Bogen in das heil. Geistspital führte, um in die Katharinenkapelle gelangen zu könne. Erst die neuere Zeit am Anfange unseres Jahrhundertes soll diesem angeblichen demüthigenden Gebrauch ein Ende gemacht haben. Die Katharinenkapelle aber ist seit dem Jahre 1823 zerstört und in ein Amtslokal umgewandelt, der Eingang jedoch und das aus dieser Kapelle in die heil. Geistkirche hinabführende Fenster ist vermauert, aber noch gegenwärtig sichtbar. München aber ist durch diese Zerstörung neuester Zeit um ein gothisches Baudenkmal ärmer geworden. Das Erdgeschoß jedoch, die gegenwärtige Produktenhalle, mit seinem mächtigen gothischen Gewölbebaue, zuerst erbaut im Jahre 1253 und noch dem Brande 1327 wieder hergestellt, besteht noch als Ueberbleibsel jener alten Zeit.
*)Diese demüthige Strafte scheint im Mittelalter nicht ungewöhnlich gewesen zu sein. Wir werden sie in dem Abschnitte über den großen Bürgeraufruh in München1397 – 1403 wiederholt finden. So mussten auch, als die Stadt Mailand im Jahre 1158 sich dem Kaiser Friedrich Barbarossa auf Gnade ergab, bei der auf freiem Felde geschehenen Huldigung, die Geistlichkeit, der Adel, und die Consuln von Mailand barfuß, ohne Oberkleider und mit Schwertern auf dem Nacken, die Bürger aber mit Strichen um den Hals vor dem aufgerichteten Throne des Kaisers erscheine.