Münchner Sagen & Geschichten

Rings in der Altstadt

Die diebische Dohle

Raff - So lang der alte Peter... (Seite 56)


Auf dem Hause in der Residenzstraße, das sonst „zum Franziskanerbäcker" hieß und der Post gegenüber liegt, steht droben am Dache ein Windfähnlein, das die Gestalt eines Vogels zeigt, mit ausgebreiteten Flügeln und einem Ring im Schnabel.

Vor langer Zeit wohnte in diesem Hause eine vornehme Herrschaft, die hatte in ihrem Dienst eine junge Magd, ein williges, fleißiges Mädel, von jedermann wohlgelitten. Sie war eines Gärtners Tochter und ins Haus gekommen durch eine Nichte der Herrschaft, mit der gemeinsam sie die Klosterschule bei St. Jakob am Anger besucht hatte. Nun geschah es ein paarmal, daß der Herrschaft auf unerklärliche Weise wertvolle Schmuckstücke abhanden kamen. Eines Tages vermißte die Hausfrau abermals einen kostbaren BrillantRing, den sie nur kurz vorher in ihrem Zimmer auf das Fenstersims gelegt hatte. Niemand als das junge Dienstmädchen hatte während dieser Zeit das Zimmer betreten, und so fiel der schwere Verdacht des Diebstahls auf sie. Sie wohnte gerade dem Jahresfest der Münchner Gärtner im Wirtshaus zur kalten Herberge bei, da ward sie plötzlich von Gerichtsdienern verhaftet und ins Gefängnis gebracht. Die Verhaftete leugnete durchaus, beteuerte und beschwor unter Tränen ihre Unschuld, aber der Schein sprach gegen sie.

Im Hintergebäude des Franziskanerbäcken wohnten zwei Brüder aus altem, angesehenem Geschlecht, ein geistlicher Rat und ein Domherr. Die hatten das Mädchen oft in seiner emsigen sittigen Art hantieren sehen, waren von ihrer Schuld keineswegs überzeugt und trugen großes Mitleid mit ihr. An demselben Tage, da der Armen das Urteil gesprochen werden sollte — andere sagen, da sie zur Folter gebracht werden sollte — sahen die beiden geistlichen Brüder in den Hof des Hauses hinab. Da war eben ein Maurer beschäftigt, für das schadhafte Dach, das er auszubessern hatte, Kalk zu mischen; als ihm dabei ein neugeprägter Pfennig auf die Kalkschaufel fiel, hielt er den für ein Geschenk der beiden alten Herren und lüpfte dankend die Mütze gegen sie. Jene aber hatten genau gesehen, wie ein kleiner schwarzer Vogel in das halboffene Fenster eines Zimmers hineinflog und mit einer Münze im Schnabel zurückkehrte. Sogleich ahnte dem Domherren, wie das Ding zusammenhängen möchte und wo der vermißte Ring geblieben sei. Er sandte dem Gericht eilends Botschaft und bat, eine Kommission in sein Haus zu schicken, ehe weiter gegen die Angeklagte verfahren würde. Als die Kommission zur Stelle war, konnte sie sich durch den Augenschein überzeugen, wie die Dohle ins Haus flog und eine Münze entwendete. Inzwischen war der Maurer aufs Dach gestiegen, fand dort das Dohlennest und darin eine Menge glänzender Pfennige, auch goldene Schaumünzen und den gesuchten BrillantRing. Da war die Unschuld der Gärtnerstochter dargetan. Jedermann beeiferte sich, ihr die erlittene Unbill zu vergüten; auch der Kurfürst und seine Gemahlin ließen sich die Gerettete vorstellen und beschenkten sie. Zum Andenken an dies Ereignis wurde auf dem Dachgiebel des Hauses die Dohle mit dem Ring im Schnabel dargestellt.


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