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Trautmann - Die Alt-Münchner Wahr- und Denkzeichen (Seite 101)
Jeder weiß, daß das Faustthürmlein am Sendlinger-Thore ein rechtes Münchner Wahrzeichen ist. An demselben zeigte sich aber früherhin noch etwas anderes.
Das hing mit dem Scharfrichter zu München zusammen. Zu wissen:
Mit Absicht ward bei uns sicher Keiner vom Leben zum Tod gebracht, wenn er unschuldig war. Gleichwohl traf es ein oder das andere Mal im Lauf der Jahrhunderte zu, daß Einer auf's Hochgericht mußte, obwohl er nichts Böses gethan hatte - die Richter waren eben im Irrthum, und wie die Wege des Schicksals sonst noch wunderbar sind.
Wie dem nun sei, wenn Einer unschuldig starb, blieb es nie verborgen.
Denn da erglomm in der folgenden Mitternacht das Faust-Thürmlein in blutrothem Licht, und zugleich that es drei schwere Schläge, gleich, wie mit einem Richtschwert, an des Scharfrichters Wohnung, welche früher innerhalb der Stadtmauer auf dem freien Platz unterm Thürmlein befindlich war.
Wenn nun der Scharfrichter die drei Schläge hörte und die blutrothe Helle sah, ließ er sich nicht beifallen, die Thüre aufzuschließen und zu fragen, wer da klopfe und was es da mit dem rothen Lichte sei, denn der wußte von Urgroßvaters Zeiten oder noch weiter her, was die Sache zu bedeuten habe.
Das nächste, was er that, war also nur, daß er so gleich niederkniete, mit lauter Stimme ein Vaterunser und Ave-Maria um das andere betete, bis es ein Uhr von der innern Stadt herüber schlug, und mit dem Schlag verschwand und verlöschte auch das rothe Licht. Dann legte sich Jener wieder auf seinen Pfühl, konnte aber begreiflich nicht mehr schlafen, und am Morgen zeigte er beim Rath an, was heute Nacht vorgegangen sei. Auf das begaben sich die Leute sogleich in Kirchen und Kapellen, denn man glaubte nichts anderes , als daß die drei Schläge und das rothe Licht ein Wahrzeichen für oder von dem unschuldig Verstorbenen gewesen sei, und so betete man eifrig für seine Seele und noch mehr dafür, daß der wirklich Schuldige entdeckt werde.
Dieß traf auch ein paar Mal ein. Das erste Mal mit einem Goldschmied unweit des schönen Thurmes, der heut zu Tage nicht mehr steht; das zweite Mal mit einer Dienstmagd, die ihr Stüblein zuhöchst in einem Hause, unweit der Dienersgasse, hatte. Die Beiben starben unschuldig, weil es schien, sie hätten sich kostbares Kleinod angeeignet, mittlerweile es eine Dohle und ein Rabe war, welche es entführt hatten – auf dem genannten Hause ist noch heute ein Rabe, oder wie Manche meinen, eine Krähe auf der Dachspitze zu sehen. Wie gesagt, da kam die Unschuld zwei Mal zu Tag. Was mit der Dohle und dem Raben geschehen sei, darüber verlautet zwar keine Kunde, aber wohl von ein paar anderen Fällen - dabei erlitten dann die wirklich Schuldigen die Strafe des Todes.
Das letzte Mal aber erging die ganze Sache, wie folgt, und sie soll vor ungefähr zweihundert Jahren statt gefunden haben:
Zu München lagen zwei Vettern über eine Erbschaft in Streit. Von diesem ward aller Orte viel gesprochen, bis zuletzt der Eine den Prozeß gewann, und der Andere leer ausging.
Als nun der Eine urplötzlich so viel Geld hatte, gab er es hoch und zechte und spielte in der Bürgertrinkstube, im Ammerthalerhof, oder in anderen Schenken, war vor dem Kehraus nicht vom Tisch zu bringen, und dann schwankte er gegen die Neuhausergasse heimzu, wenn ihn nicht ein Paar seiner Freunde führten; und wenn er dann des Weges durch die Eisenmannsgasse kam, in welcher sein Vetter wohnte, so höhnte und spottete er beinahe jedesmal, und seine Gesellen lachten und spotteten desgleichen.
Da er nun wieder einmal im Ammerthalerhof war, würfelte er mit zwei fremden Kaufherren und gewann ihnen viel Geld ab. Drauf schritt er in der Nacht allein heimwärts, und da hörte man ihn an der Hausthüre seines Vetters wieder höhnen und lärmen. Das war man schon gewöhnt. Mit einemmal aber vernahm man etwa Anderes, denn da rief er offenbar um Hülfe.
Drauf machten sich die Leute da und dort an die Fenster. Etliche schlossen die Hausthüren auf und eilten hinaus, und als sie hinkamen, fanden sie den reichen Vetter in seinem Blute liegen. Den armen Vetter aber sahen sie auch. Mit dem rang der Andere, der reiche, so schwach er auch schon war, und stöhnte ein über das andere Mal: ,,Hast du dich so an mir gerächt und mir zehn Goldgulden geraubt? Das kostet dir selbst das Leben, daß dich die Raben fressen!"
Da betheuerte der arme Vetter ihm und rastlos Allen ringsumher: Er sei, gleichwie sie, herausgekommen, sobald er den Ruf um Hülfe vernommen habe; da hab' er seinen Vetter im Dunklen angetroffen, wie er jeßt da liege, und er sei in der ersten Hast dem Thäter nachgeeilt – Der aber sei entflohen, und deshalb sei er wieder zurückgekehrt, um dem Vetter Hülfe zu leisten.
All das glaubte ihm weder der Vetter, der wenige Zeit darauf starb, noch sonst Jemand, sondern er wurde ergriffen und in den Falkenthurm geführt; weiters hob sich das Recht an, und als sich weder beim vermeinten Deliquenten selbst, noch auch in seinem Losament das geraubte Gold fand, ward seine Sache dadurch keineswege besser. Denn da er selbst gesagt hatte, er sei vom Ort der That vorerst hinweggeeilt, um dem rechten Thäter nach zusetzen, so hielt man das nur für eine Ausflucht, und nahm an, er habe seinen Raub schnell in Sicherheit gebracht und sei erst dann wieder zurückgekehrt. In Kurzem, er ward der schrecklichen That schuldig erklärt, über nicht lange Zeit mußte er auf's Hochgericht und da betheuerte er seine Unschuld bis auf den letzten Augenblick, aber es glaubte ihm Niemand.
Als nun Mitternacht kam, und Meister Martin, der Scharfrichter, ohne alle Sorge schlief, that es urplötzlich einen Schlag auf seine Hausthüre, so daß er auffuhr und horchte; über eine Weile that es den zweiten und darauf ben dritten Schlag, und als er zum Platz, zur Mauer und zum Faust-Thürmlein blickte, so glomm und glühte es rings und aufwärts ganz rothfeurig.
Da warf er sich sogleich auf die Kniee nieder, betete nach überkommenem Brauch, bis es Eins schlug und der rothe Schein verschwand, beschloß, in aller Frühe zum Bürgermeister und Oberrichter zu gehen und Anzeige zu thun, und legte sich vor der Hand nieder auf seinen Pfühl; er war aber zum Schlafen nimmer gemacht, wie in früheren Zeiten sein Ururgroßvater, dem war die Sache auch begegnet.
Da hörte er Schritte auf dem Platz draußen, die hielten an der Thüre an, und dann that es auf dieselbe einige Schläge und am Fensterladen desgleichen, und dazu vernahm er die Worte:
„Mach' auf, Meister Martin, mach auf!"
Als er dieß hörte, dachte er: Die gefährliche Zeit ist vorbei, das ist kein Geist und Keiner von der anderen Welt, sondern Einer von dieser; wer weiß, was in der Stadt drin los ist! Dem zu Folge erhob er sich ganz rasch, warf sein Gewand um, riegelte die Thüre auf und fragte: „Wer da, und was giebt's?"
Da stand Einer vor ihm mit zerrausten Haaren und schier brennenden Blicken, und der sagte: „Was staunst du, kennst du mich nicht?"
Sagte der Scharfrichter: „Jetzt kenn ich dich, du bist der Dolwein. Weshalb bist du so ganz verwirrt?
"Sagte der Andere: „Hast du das rothe Licht brennen gesehen und die drei Schläge auf deiner Thüre gehört?"
Sagte der Meister Martin: ,,Meiner Seel', das hab' ich gesehen und gehört, und Der, welchen ich gerichtet hab', der war unschuldig. Hast du's etwa auch geschaut und vernommen? Hab' Muth, Gott wird's wohl fügen, daß der Thäter zu Tag kommt!"
Versetzte Jener: ,,Das ist schon geschehen, und ich bin es selbst, des Ermordeten Zechgeselle. Ich hab' dem Einen den Tod gegeben und ihn ausgeraubt und bin fortaus und dem armen Vetter entronnen, der mich verfolgte. Da ist er zurück und ward ergriffen anstatt Meiner, und anstatt Meiner hast du ihn hingerichtet!"
Fragte der Scharfrichter: „Wo ist das Gold?"
Drauf Jener: „Da ist's, nimm's, und greif' auf mich und führ mich zum Rath oder Gefängniß noch in dieser Nacht. Ich hab' keine Ruh' mehr, bis ich meinen gerechten Tod finde!"
Da konnte der Scharfrichter nicht mehr zweifeln und hieß den Dolwein für sich gehen und sagte, er wolle ihm auf eine Armeslänge folgen, weil er ihn vor dem Urtheil nicht anfassen dürfe. Damit war der Andere einverstanden und schritt vor ihm bis zur Thurmwache am Sendlinger Thor, die rief der Meiſter Martin heraus und übergab ihr den Gesellen.
Da legten sie ihm Ketten an und führten ihn fort und stadteinwärts in den Falkenthurm; drin blieb er bis zum Morgen; nächst ward er vor Gericht geführt und die ganze Sache klar erwiesen, und über kurze Frist das Recht an Dem vollzogen, für welchen der arme Vetter vom Leben in den Tod gegangen war.