Alte Bücher

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Münchener Stadtbuch

L. Alte Gebräuche und Sitten

19. Das Fest aller Seelen.

Diese Verbindung der Kunst und Pracht mit der Zier des reichsten Blumen- und Blätterschmuckes an diesem Festtage verleiht dem Kirchhofe einen eigenthümlichen unnennbaren Reiz und erzeugt einen Eindruck, daß wir uns in Zaubergärten versetzt glauben. Nicht selten beliebt es aber der Natur in dieser spaten Jahreszeit, in diesen Zauber einen neckischen Contrast hineinzuwerfen; während wir uns durch die Fülle der Blumen in den Frühling versetzt wähnen, wehen leichte Schneeflocken vom Himmel herab, und hüllen die anmuthigen Kinder der Flora in eine weiße Schneedecke.

An diesem Tage sind auch die Familiengrüfte der bayerischen Fürsten in der Frauenkirche (woselbst die älteste), der St. Michaels- und der Theatiner-Hofkirche für Jedermann geöffnet. Auch hier ist der schaulustige Zudrang des Publikums ein ausserordentlicher. Da liegen die Ueberreste Kaiser Ludwigs des Bayern, des Herzoges Albert IV., des Stifters der Alleinherrschaft in Bayern, des großen Kurfürsten Maximilian I., des Türkenbezwingers Max Emanuel, des Königes Maximilian Josef I., genannt „das beste Herz," und des Prinzen Eugen, Herzogs von Leuchtenberg, Stiefsohn des Kaisers Napoleon I. und einst Vicekönig von Italien. Unser größtes Interesse nimmt aber in Anspruch das Grabmal des jüngst verstorbenen Königs, des edlen Maximilian II. in der eigens erbauten Grabkapelle bei den Theatinern. Fünf Jahrhunderte umfassen diese Fürstengrüfte! An diesen Särgen stehend, welche Masse geschichtlicher Ereignisse, welche Umwandlungen ziehen vor unserm Geiste vorüber! Dieser Blick in die Vergangenheit erfüllt uns mit tiefem wundersamen Schauer!

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