Alte Bücher

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Münchener Stadtbuch

L. Alte Gebräuche und Sitten

19. Das Fest aller Seelen.

Eine besondere Gelegenheit zur Erneuerung dieser reinen und erhabenen Empfindungen und an Erinnerung bietet das Fest aller Seelen vorzugsweise dar, das jährlich am 2. November gefeiert wird. Die Kirche selbst betet an diesem Tage für die Verstorbenen und erinnert uns in der Epistel der heiligen Messe, daß alles Verwesliche anziehen muß die Unverweslichkeit und das Sterbliche die Unsterblichkeit, und der Tod verschlungen ist im Siege! — Zudem ist aber auch gerade diese Zeit wie keine andere geeignet, uns an die Vergänglichkeit alles Bestehenden eindringlichst zu erinnern; die goldene herrliche Zeit des Sommers ist verschwunden, rauhe Lüfte und unfreundliche Stürme, die Vorboten des herannahenden Winters wehen uns erkältend an, der grüne Schmuck der Bäume hat sich in fahle, gelbe und röthliche Blätter umgewandelt, die raschelnd und wirbelnd zu Boden fallen; einzelne Schneeflocken bedeuten uns, daß bald das weiße Leichenkleid des Winters über die ganze Natur ausgebreitet liegen wird!

Diese sich an diesem Feste mit erneuter Macht erhebenden und aufdrängenden Empfindungen und Erinnerungen zu hegen und zu pflegen und auch äusserlich zu zeigen, liegt dem menschlichen Gefühle so nahe, und es hat sich daher namentlich auch in München der schöne Gebrauch gebildet, das wehmüthige und rührende Fest aller Seelen dem Andenken der lieben Verstorbenen zu widmen und zu feiern.

Schon am Tage zuvor, am 1. November, dem Feste Allerheiligen, werden auf dem allgemeinen Freithofe, in München sinnig „Gottesacker" genannt, die Gräber von den Angehörigen der dort Ruhenden festlichst ge-

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