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Münchener Stadtbuch

XLVI. Münchener Sagen

4. Die diebische Dohle.

Auf dem Hause in der Residenzstraße, der Post gegens über, genannt zum Franziskanerbäcker, befindet sich ein Windfähnlein, welches die Gestalt eines Vogels mit ausgebreiteten Flügeln und einen Ring im Schnabel zeigt.

Vor vielen langen Jahren diente in diesem Hause bei dem dort wohnenden fürstlichen Hofrath von Lander eine junge Dienstmagd. Da geschah es eines Tages, daß ihre Dienstfrau einen kostbaren Ring vermißte, welchen sie kurze Zeit vorher auf das Fenstergesims gelegt hatte. Niemand hatte während dieser Zeit das Zimmer betreten als das Dienstmädchen, und es fiel daher der Verdacht des Diebstahles auf dasselbe. Ungeachtet alles Läugnens und fortwährender Betheuerung ihrer Unschuld wurde sie in das Gefängniß abgeführt und vom Rathe als Diebin zum Tode verurtheilt. Schon sollte das Urtheil vollzogen werden, als noch zur rechten Zeit das schadhafte Dach des Hauses reparirt werden mußte. Da fand sich in einem im Dache befindlichen Dohlenneste der vermißte Ring. Offenbar hatte die Dohle, die überhaupt glänzende Sachen liebt, den Ring am offenen Fenster erblickt und ihn in ihr Nest getragen. Die unschuldige Magd war gerettet, und zum Denkzeichen wurde auf das Windfähnchen dieses Hauses der verhängnißvolle Vogel angebracht.

Diese Sage kömmt übrigens an vielen Orten vor; schon vor fünfzig Jahren wurde sie der Gegenstand einer komischen Oper Rossini's unter dem Titel: die diebische Elster.

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