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München in guter alter Zeit

Drittes Kapitel - Im Graggenauer-Viertel.

Die Auserwählten, die der Herr inspirirt, hätten nur zwölf Exemplare davon hergestellt und diese an die zwölf Stämme Israels vertheit, und naxch einer alten Tradition dürfen jene Rabbiner, welche den Etsch tamun zur Zeit der Ankunft des Messias in Verwahr hätten, denselben dem Messias überreichen und dafür seiner Anerkennung sicher sein, und dann würden mit diesem Feuer alle Feinde des Messias verbrannt werden, wie der Psalmist vorhergesagt: „Und es wird dem Messias das Feuer dargereicht werdn und seine Feinde verzehren.“

Möglicherweise enthielt so auch das in der Gruftkirche gefundene Glas ein Exemplar des „verborgenen Feuers“, ward im Pfeiler verborgen als die Kirche noch Synagoge war und konnte beim Brande derselben nicht mehr gerettet werden. Als dann die Maurer daran gingen, den Pfeiler abzubrechen, genügte die dadurch hervorgebrachte Erschütterung desselben zur Entfernung der Asche von dem über das Wasser emporragenden Theile des Phosphorstäbchens, um jenesw Leuchten und Brennen hervorzurufen, von dem die Maurer erzählten, sowie jene Erwärmung des Glases und Dochtes, welche Pater Jos. Hoerl bezeugte.

Uebrigens besaß die Gruftkirche außer dem wunderthätigen Marienbild auch noch eines der Brode, womit Christus seine Zuhörer in der Wüste sättigte. Davon mag nun Jeder glauben was er mag. Wenn aber die Sage geht, in derselben Kirche, in derselben Kirche sei bis zu ihrer Niederlegung alljährlich eine Messe gelesen worden, auf daß der hochliegende Walchensee nicht durchbräche und das ganze Isarthal sammt der guten Stadt München in seinen Fluthen begrabe, so hängt das wohl mit dem alten heidnischen Glauben zusammen, wonach in Bergklüften und Waldschluchten und in unergründlichen See'n die (von der Kirche nachmals zu Dämonen herabgewürdigten) alten Götter hausen. Die fürchtete das zum Christentum bekehrte Volk nach wie vor und suchte die Zürnenden durch Opfer zu versöhnen. Darum warf ein Mönch von Benediktbeuren jährlich einen goldenen Ring in die Tiefen des Walchensees und las der Priester in der Gruftkirche zu München eine Sühnemesse, auf daß die Unterirdischen nicht die Wasser des See's über das Land wälzen.

Die alte Gruftkirche stieß gen Westen an das von Max Emanuel erbaute, 1694 vollendete Institut der englische Fräulein, das erste in Deutschland, dessen Gründerin Maria von Ward hieß und 1626 nach München gekommen war. Jetzt ist das Gebäude der k. Polizeidirektion überlassen.

Von da ist nicht weit zum Hofgraben, an dem in alter Zeit der Stadtgraben offem am Alten Hof vorrüberfloß, und hinab auf's „Plätzl“, vormals nach einem dort wohnhaften Bürger, der auch dem ganzen Viertel seinen Namen gab, die Graggenau genannt. Hier besaß Orlando di Lasso, eigentlich Roland de Lattre, ein Niederländer von Geburt und neben Palästrina der größte Tondichter des XVI. Jahrhunderts, ein stattliches, noch heute stehendes  Haus, nachdem ihn Albrecht V. an seinem Hof berufen, an dem er durch seine Kunst, nicht minder aber auch durch seinen Geist und seine Gelehrsamkeit glänzte.

Das nahe gelegene Kostthörl hieß vordem Wurzerthor, Vieleicht weil vor demselben Wurz- und Krautäcker lagen und erhielt seinen späteren Namen seit, wie wir oben gesehen, der Patrizier Martin Riedler 1449 das sogenannte reiche Almosen stifete und dort die Armen ausspeiste.

Das Kostthor und der 1771 dicht dabei als Gefängniß für geringe Civilverbrecher von Rang erbaute runde Neuthurm, zuletzt als Schuldhaft dienend, wurden erst vor wenigen Jahren abgebrochen. Der Falkenthurm endlich, dessen schon oben gedacht worden, war später als Kriminalgefängniß gar über berufen.

Die nahe Lederergasse dankt ihre Entstehung den Lederen, welche im XIV. Jahrhundert ihres überriechendes Gewerbes halber vor die Thore der Stadt verwiesen wurden. Hier stand zunächst des kleinenThörls oder Thürls (des sogenannten Schlichtingerbogens) an der Stelle des heutigen Gasthauses zur Scholastika das Thürbad, das vom Hofe vielfach benützt ward, wie alte Hofrechnungen ersehen lassen. Es war, wie wir heute sagen würden, eine Dependenz des von der Familie Schymel seit 1391 gehaltenen Gasthauses an der Burggasse (nun Haus Nr. 11 und Eigenthum des Privatiers Hrn. Johann Eger). Nach dem Tode des ersten Besitzers Otto Schymel führte seine Wittwe Adelheid mit ihrem Sohne Hans und dessen schöner Töchter die Wirthschaft fort. In

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