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Ein Jahrhundert München

Die Landschaft um München und die Stadt

Die Umgebung um MünchenAus der Umgegend von München. Radierung von L. A. Lebschee

Professor G. H. von Schubert schreibt an seine Schwester im Jahre 1827: Meine neue Heimat soll ich Dir beschreiben? Nun, dazu gehört Gott sei Dank nicht allein die kleine, enge Gasse und das Haus, das ich darin bewohne, aus dessen Fenstern ich so wenige Prozente des Sternenhimmels sehe, als die Gläubiger des bankerotten Kaufmanns von ihrem dargeliehenen Kapital zurückbekommen, denn zur Heimat rechne ich außer der Stadt München selbst auch ihre Umgegend, soweit das Auge sehen kann, mit Land und Leuten. Schon die Hochebene, auf welcher München liegt, weckt in dem Wanderer aus Norden, der hierher kommt, ein Verlangen auf nicht zum trägen Stillestehen und Verbleiben, sondern zum Weiterschreiten nach einem hohen, vor Augen liegenden Ziele, ein Verlangen, wie er es in seiner Heimat noch nie empfunden. Er kam vielleicht, so wie wir, von Ingolstadt her, zuletzt durch eine Ebene und durch armselig schmutzige Ortschaften, die dem Auge in ihrem unerfreulichen Wechsel zwischen Sumpf und verkümmertem Föhrenwalde nichts darbketet, wobei es verweilen möchte. Die Gedanken würden da lieber rück- als vorwärts gehen, am wenigsten aber gerne stille stehen. Endlich, wenn Du mit uns dieses Weges zögest, trätest Du aus dem trostlosen Gestrüpp heraus kn die freie Ebene,- vor Dir im Süden täte sich, wie vor uns am heiteren Nachmittag des 15. Mai, an welchem wir einzogen, die majestätisch schöne Alpcnkette auf, mit ihren schneebedeckten Zinnen, von Salzburg an bis zu dem vorarlbergischen Hochlande, von Bayerns Hügelland bis zu den Bergriesen des südlichen Tirol. Wie in dem Adler, wenn er seine langersehnte Beute vor sich hinfliegen sieht, so regt in uns ein Naturtrieb seine Schwingen, der uns mächtig aus

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