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Ein Jahrhundert München

Mißstände im Theaterwesen

Umstande konnte die Verwaltung eines Kunstinstktuts verleitet werden, das Interesse für dasselbe und für seinen eigenen Ruhm so ganz aus den Augen zu verlieren?

Kurz nach Einsetzung der jetzigen Hoftheaterintendanz wurde derselben erlaubt, ein neues Schauspielhaus am Isartor zu erbauen. Dies Theater war bald sehr geschmackvoll hergestellt und wurde im Oktober 1811, als Prkvatunternehmung des gegenwärtigen Hoftheater-Intendanten, jedoch unter dem Namen: Königliches Theater am Isartor eröffnet. Das darstellende Personal für diese Unternehmung lieferte teils die Gesellschaft eines schon früher bestandenen Vorstadttheaters, welches ein Jahr vorher abgebrannt war, teils wurden einige Anfänger dabei angestellt, teils verpflichtete der Unternehmer mehrere Mitglieder des Hoftheaters, gegen geringe Gratifikation an den Darstellungen im neuen Theater teilzunehmen, die mit allem äußeren Reiz an schönen und prächtigen Dekorationen, an neuer geschmackvoller und glänzender Garderobe, an eleganten Mobilien und Requisiten ausgestattet, ganz auf die Schaulust des großen Haufens berechnet wurden.

Der königliche Hof interessierte sich für dieses neue Etablissement. Ein geschmackvoll eingerichteter und verzierter Salon im Amphitheater, der in die große Loge des Hofes führt, gewährt die freie Ansicht der Bühne, und hier nehmen die königlichen Personen, ohne große Zeremonien, die huldigenden Begrüßungen aller hoffähigen Personen an. Schon dieser Umstand erfüllt das Haus mit einem erfreulichen Schimmer und bewirkt an solchen Tagen das Zuströmen des Publikums zu dem bunten Schauspiel. Wenn man bei diesem auch oft Gediegenheit des Gehalts und artistische Darstellung vermißt, so findet man doch das spielende Personal sorgfältig eingeübt, vorzüglich aber niedrigkomksche Stücke, bei denen das Lokalkolorit das größte Verdienst ist, durch ausgezeichnetes Talent glücklich hervorgehoben. Das Statistenwesen ist dabei sehr wohl geordnet und alles, was die äußeren Sinne berührt, auf das Glänzendste und mit Präzision ausgeführt. So hat hier Salomons Urteil und der Fleischhauer von Oedenburg, Abrahams Opfer und der Zwirnhändler kn Wien, der Lorbeerkranz und Evakathel und Schnudi, Graf Waltron, die Wiener Bürger und Staberls Hochzeit, Moses Errettung und der Tiroler Wastel, der große Bandit Abällino und die Milchschwestern, der Wald bei Hermannstadt und die Kreuzerkomödie, Hedwig, die Banditenbraut, und das Donauweibchen, die Kreuzfahrer, das Kätchen von Heilbronn und der Brand von Moskau, die kluge Frau im Walde, das beleuchtete Kreuz in der Peterskirche, die Zimmerherren in Wien, der bayerische Grenadier und die Wallfahrt nach der Könkgsgruft, ja selbst das Leiden Christi, nach berühmten Gemälden von lebendigen Personen dargestellt, das Publikum in vielfältigen, prunkenden und burlesken Darstellungen an sich gezogen. Das Hoftheater, trotz manchem eigentümlichen Talente seiner Künstler, mußte, entblößt von äußerem Glanz, vernachlässigt im Ensemble, mit seinem veralteten Repertorium gegen das Streben 

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