Veranstaltungen - Geschichte - Kunst & Denkmal
Titel | Die Plastik des 19. Jahrhunderts in München |
Autor:in | Heilmeyer Alexander |
Verlag | Knorr & Hirth |
Buchart | Gebundene Ausgabe |
Erscheinung | 1931 |
Seiten | 157 |
ISBN/B3Kat | B004FMPBHQ |
Kategorie | Kunstführer |
Suchbegriff | Plastik Kunst |
Regierungsbezirk | Oberbayern |
VORWORT
Während es schon längst eine Geschichte der Malerei und Darstellungen über Architektur des 19. Jahrhunderts in München gibt, war bisher das Gebiet der neueren Plastik davon so gut wie ausgeschlossen. Und doch hat gerade diese Kunst im 19. Jahrhundert in München eine Entwicklung aufzuweisen, die sie zu einer beachtlichen, kontinentalen Erscheinung macht. Nicht nur, daß sie im München Ludwigs I. eine besondere Bedeutung erlangte, sondern hier wurde auch durch Hildebrand die Wiedergeburt der neuen Plastik eingeleitet, die sich überallhin auswirkte. Dem Münchner freilich ist das kaum zum Bewußtsein gekommen, denn was jeder fortwährend vor Augen hat, darüber glaubt er sich in keiner Weise belehren zu müssen, ja es fällt ihm nicht einmal auf, daß sich in seiner nächsten Nähe Werke befinden, um derentwillen oft weitläufige und kostspielige Reisen unternommen werden. Man sieht das, was man hat, gewöhnlich erst, wenn es andere bemerken. Es gibt einen köstlichen Beleg dafür. In einem Kunsthistorischen Seminar hing ein Jahrhundert lang über den Köpfen der Dozenten und Studierenden ein echter Matthias Grünewald. Niemand sah ihn, bis die Grünewaldforschung erwachte und ihn ein Kenner auf den ersten Blick entdeckte.
So erkennen wir auch in dem „Kunstwald München" die plastischen Bäume nicht, oder wir beachten sie kaum, weil vielfach unsere Augen sie nicht „sehen". Schon aus solchem Grunde mußte einmal eine Geschichte der Plastik des 19. Jahrhunderts in München geschrieben werden. Diese Arbeit war notwendig erstens als die nötige Ergänzung zur Geschichte der Münchner Malerei und Architektur, zweitens zur Feststellung des für die Entwicklung der Plastik wichtigen Münchner Denkmälerbestandes, drittens auch zur Revision so vieler einseitiger Einstellungen und Vorurteile.
Die an sich so verdienstvolle Geschichte der Münchner Kunst im 19. Jahrhundert von Friedrich Pecht, die für die Kenntnis der bodenständigen Malerei in München ein unschätzbares Quellenwerk bleibt, wird den gleichzeitigen Erscheinungen in der Architektur und Plastik nicht gerecht. Schon rein stofflich und umfänglich treten diese Disziplinen gegen die Fülle der malerischen Erscheinungen stark zurück. Zudem bringt Peeht auch wenig Liebe für die Plastik auf. Manches sieht er überhaupt in falschem Lichte. So zum Beispiel, wenn er völlig unhistorisch gegen die ersten Vertreter des Klassizismus wettert, der doch eine internationale Erscheinung und in der Kunst aller Zeiten immer und überall vorhanden war. Seine patriotische Einstellung wird Pecht häufig zum Scheuleder und er bemerkt dann nicht mehr, was links und rechts von ihm steht. Vollends unmöglich wird sein Urteil, wenn er an unleugbare Größen seinen Verkleinerungsmaßstab legt. Hier war eine Revision dringend erwünscht. Auch wir schauen aus dem Fenster unserer Kunstkammer heraus, aber wir sehen, nachdem wir wirklich eine Wiedergeburt der Plastik erlebten, sie doch in einem anderen Lichte und stehen dem Verständnis ihrer Formprobleme doch weit näher als die von der realistischen Malerei Herkommenden, denen zwar die malerische Epidermis geläufig, die Form aber um so unbekannter war. Unsere geschichtliche Betrachtung umfaßt die Zeitspanne von ca. 1770 bis 1914. Über diese Zeit hinauszugehen schien nicht rätlich. Einmal war mit 1914, mit dem Abschluß der Hildebrandischen Ära, ein Höhepunkt der Münchner Plastik gegeben; was darüber hinaus der Gegenwart angehört, befindet sich doch noch zu sehr im Werden, als daß es heute schon im geschichtlichen Zusammenhange gewertet werden könnte. Andererseits schien uns gerade bei Betrachtung dieses engbegrenzten lokalen Ausschnittes nötig, über München hinaus auch die ganze Plastik des 19. Jahrhunderts, von der die Münchner selbst nur ein Teil ist, vor Augen zu haben. Es war nötig, gleichzeitig mit der hiesigen Lokalität auch den internationalen Schauplatz und die Peripherie zu zeichnen, die allgemein geistigen Bewegungen und Zeitströmungen anzudeuten, gerade um die Plastik in München in Fühlung mit ihrer kulturellen Umwelt darzustellen, von der sie ein Teil ist und von der sie viele fruchtbare Anregungen empfangen hat.
Dies auch einmal im Zusammenhang mit der ganzen Plastik des 19. Jahrhunderts aufzuzeigen wäre die Aufgabe eines Museums für moderne Skulptur — das München immer noch nicht hat. Der Grundstock hiezu liegt, in verschiedenen Galerien und Sammlungen verstreut, längst bereit. Während er dort nur im Wege steht und höchstens hie und da einmal als zeitgenössische Parallele zur Malerei wirkt, würde das alles, planmäßig zusammengestellt, schon den Anfang einer solchen Sammlung ergeben — aneinandergereihte Einzelpunkte, die, immer weiter ergänzt, zu einer Darstellung der modernen Plastik führen würden — ein Plan, den übrigens auch schon Ludwig I. mit dem Ausbau seiner Glyptothek im Sinne hatte.
München, im Herbst 1931 Alexander Heilmeyer