Veranstaltungen - Geschichte - Kunst & Denkmal
Titel | Aus Gärten der Vergangenheit |
Untertitel | Erinnerungen 1882 - 1914 |
Autor:in | Müller Karl Alexander von |
Verlag | Gustav Kilpper Verlag |
Buchart | Gebundene Ausgabe |
Erscheinung | 1951 |
Seiten | 560 |
ISBN/B3Kat | 0000000019 |
Kategorie | Stadtgeschichten |
Suchbegriff | Gärten Vergangenheit |
Regierungsbezirk | Oberbayern |
Meinen Söhnen
Albrecht und Otto
dem Verschollenen - dem Heimgekehrten
Gibt es etwas zwischen uns, was mit Worten gesagt werden müßte. An Euch beide habe ich vor allem gedacht, indem ich diese Blätter schrieb. Daß es mir vergönnt sein möchte, ihren Widerschein in Euren lieben Augen zu sehen, war meine gröte Hoffnung. Manchmal ist mir dabei die endlose Märchengeschichte von den Abenteuern der zwei Kaffeebohnen in den Sinn gekommen, die ich Euch als Kindern jahrelang fortspinnen mußte: denn fast so endlos ist diese abenteuerarme Geschichte meiner Jugend geworden, und vielleicht wird trotzdem manches darin Euch märchenhafter vorkommen als damals der erfindungsreichste Zauberspuk.
Wir älteren können des Gefühls nicht Herr werden, daß niemand mehr weiß, wie schön die Welt sein kann, der die Jahre vor 1914 nicht erlebt hat. Und doch habe ich mich danach gesehnt, durch Euer Lächeln Lügen gestraft zu werden. Aus der Geschichte weiß ich ja, daß die Summe von Glück und Leid, die dem Menschen zugemessen ist, zu allen Zeiten geheimnisvoll dieselbe bleibt, und das Herz lehrt mich, daß niemand wirklich gelebt hat, der nicht mindestens einen Augenblick erfuhr, der das ganze übrige Dasein aufwiegt. Aber bleibt es nicht doch unwahrscheinlich, daß unmittelbar vor den ununterbrochenen Zerstörungen, die uns nun schon ein Menschenalter lang vor sich herjagen, noch eine solche Oase der Beständigkeit und des selbstverständlichen alltäglichen Behagens lag? Wird man es später noch glauben, wenn wir überlebenden nicht erzählen, wie es wirklich gewesen ist und wie eines aus dem andern erwuchs? Freilich, wir können es nur in unserer Sprache tun, die nun auch schon die Sprache einer entschwundenen Welt geworden ist, und wer weiß, ob Ihr, Kinder einer neuen Welt und schon durch all ihre Höllen gegangen, diese langatmige, besänftigende und vielleicht sich manchmal selbst bespiegelnde Sprache von dazumal noch hören mögt?
Und nun ist nur einer von Euch zurückgekehrt. Wenn unsere Gedanken, jeden Tag, nach dem andern ausfliegen, wissen sie nicht, ob sie ihn noch im Irdischen suchen dürfen. Trotzdem gehört dies Buch Euch beiden gemeinsam und ungetrennt. So wunderbar hat Gott diesen Staub geknetet: er kann nicht glücklich sein, ohne zu leiden, aber es gibt auch kein Leid, aus dem nicht ein Glück entsprießen könnte, das es überfliegt.
Egern am Tegernsee Karl Alexander von Müller