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Die Auer Dult zu München

Ergötzliches und Kurioses von heule und aus alten Tagen

Titel Die Auer Dult zu München
Untertitel Ergötzliches und Kurioses von heule und aus alten Tagen
Autor:in Lorenz Giesela
Verlag Süddeutscher Verlag
Buchart Broschiert
Erscheinung 1971
Seiten 1971
ISBN/B3Kat B002SV5UMC
Kategorie Stadtbeschreibung 
Suchbegriff Auer Dult 
Regierungsbezirk Oberbayern

Zur Einleitung: Erinnerungen
 
Für den kleinen Buben war es schon ein richtiger Glücksfall, daß er in dem der Au benachbarten Haidhausen aufwuchs und daher nicht weit zur Dult hatte. Aber zunächst kam es darauf an, daß auch die Mutter diesen Vorteil bemerkte und nützte, weil die ersten Besuche der »Duit« an ihrer Hand erfolgen mußten. Und da sie angeblich zu wenig Zeit für derlei Vergnügungen hatte, blieb es dreimal im Jahr bei einem Gang zum Mariahilfplatz, wo der Knabe seine ersten nachhaltigen Eindrücke von Theater, bildender Kunst und Musik empfing. Er saß im Kasperltheater und im Hundetheater und äußerte sich sehr zufrieden über die gebotenen Leistungen. (Leider versagte sein Dackel gänzlich, als er ihm den Handstand auf den Vorderpfoten beibringen wollte.) Und er stand voller Bewunderung vor den Schöpfungen der Nippesindustrie, die die Mutter befremdlicherweise als »Glump« bewertete; und als der Sohn sich von seinem ersparten Geld eines der porzellanenen Kunstwerke kaufen wollte, protestierte sie erfolgreich: »Nix da! Daß i noch mehr zum Abstauben hab!« Das also war der eigentliche Grund ihrer harten Kritik an diesen edlen Gegenständen.
 
Was die Musik betrifft, so war der Dultanfänger unausweichlich von ihr umgeben; aber er stand sprachlos vor einem großen Trichter, aus dem sie ihm, sogar mit Worten versehen, entgegenkam. Er stand so lange davor, bis er das Lied auswendig konnte. Es begann: »Puppchen, du bist mein Augenstern. . .«. Als er es daheim begeistert vortrug, sagte die Mutter, das sei nichts für ein Kind. Der Vater meinte, sie hätte halt besser auf ihn aufpassen sollen. Nun, das war hinwiederum ein entschuldbares Versäumnis, weil sie, als sie ihren Buben so versunken vor dem Grammophon sah, die Gelegenheit wahrnahm und am nahen Geschirrstand einen Saurüssel kaufte. (Da es Menschen gibt, die dabei an etwa anderes denken, eine kurze Erläuterung: Ein Saurüssel ist eine irdene Reine mit einer rüsselähnlichen Ein-und Ausbuchtung am oberen Rand einer Schmalseite, durch die sich die Sauce ausgießen läßt. Er dient vor allem zur Herstellung von besonders knusprigen Schweinsund Gansbraten. Gelegentlich ist er auch heute noch auf der Dult zu haben.) Diesmal kaufte die Mutter den größten, den es gab, weil bei den anderen, die sie schon im Küchenkasten hatte, der Deckel nicht zuging, wenn die Kirchweihgans dreizehn Pfund wog.
 
Dann ließ sie sich von einem Billigen Jakob einen Patentzwiebelschneider einreden; sie benützte ihn aber nur einmal und griff lieber wieder zum Messer. Der Knabe hatte das gleich gewußt. Auf der Dult entstand sein Mißtrauen gegen Patente, vom Patentknopf, den Patenthosenträgern, Patentärmel- und -Sockenhaltern, der Patentbartbinde bis zu den Patentkochapparaten. Immer hieß es dann daheim: »So ein Glump! Nie wieder!« Aber immer wieder lockte das Patent.
Der Bub durfte noch karussellfahren, er bekam eine süße grüne oder rote Gummischlange, einen Türkischen Honig, einen Bärendreck, ein paar Scheiben Magenzucker und ein Gläschen Liebesperlen, die Mutter nahm noch ein halbes Pfund Magenbrot mit. Sie fragte den im Gesicht plötzlich grünlich wirkenden, stillgewordenen Sohn: »Um Gotteswillen, hast du des ganze Zeug schon zammgessen?!«
 
Oft hatte der kleine Dultstammgast davon geträumt, einmal hinter die vielgestaltigen Fassaden dieses Marktplatzes der farbigen, tönenden, duftenden und bewegten Sensationen zu schauen. Hinter der bewegten oder vielmehr von ihm zu bewegenden verwirklichte sich sein Traum. Aus dem Karussellfahrer wurde ein Karussellschieber. Die Nachfrage nach dieser Dreharbeit überwog bei weitem das Angebot an freien Stellen. Der Karussellbesitzer hatte Mühe, die sich nach Schulschluß in Scharen herandrängenden Schüler von seinem Fahrzeug zu treiben, bis auf jene Auserwählten, die schon startbereit in der Mitte des Karussells auf dem Kiesboden des Mariahilfplatzes standen. Als die hölzernen Pferde und die Kutschen besetzt waren, gab der Karussellmann mit einer Glocke das Zeichen für den Beginn des Kreisverkehrs, der von den jungen Schiebern in Gang gesetzt wurde. Mit gekrümmten Rücken, die Hände gegen die innere Kante der rotierenden Ebene gestemmt, übereifrig schnaufend, beschleunigten sie die Geschwindigkeit oft so sehr, daß kleine Kinder und deren Mütter ängstlich schrien und der Unternehmer befahl, die Fahrt zu verlangsamen. Auf ein weiteres Glockenzeichen hin wurde sie schließlich gebremst und zum Stillstand gebracht. Es ist verständlich, daß der Lohn angesichts des erwähnten riesigen Andrangs von Arbeitsfreudigen nur gering war. Er bestand in Münzen, die zu Freifahrten berechtigten, sonst aber keinen Kaufwert hatten; leider waren sie nicht übertragbar, sodaß damit kein Geschäft zu machen war. Nun, dieser Job (wie man heute sagen würde) hatte wegen der fortschreitenden Technisierung ohnehin keine Zukunft.