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Raff - So lang der alte Peter... (Seite 94)
Draußen vor dem Sendlingertor stand ein kleines Häusl, fast so gemieden, wie das Scharfrichterhaus: das Prech- oder Pesthäusl. Die Aussätzigen pflegten von hier aus, wie in der Nähe der Leprosenhäuser in Schwabing und am Gasteig ihre hölzernen Pritscheln zu rühren und milde Gaben von den durchs Tor Ein- und Ausgehenden zu erbetteln. Während der häufigen Pestzeiten hauste hier der „Prechbader" und der „Pestraucher", die alle ankommenden Briefe, Pakete, Waren, Gelder, kurz was da immer einlief, in Essig durchräucherten. Schon seit den Tagen Herzog Albrecht IV. stand in dieser düsteren Umgebung ein Bild des leidenden Heilandes mit Schutzdach, das unter Wilhelm IV. (1540) zu einer wirklichen Passionskapelle vergrößert ward. Während des dreißigjährigen Krieges jedoch, als die Befestigungswerke Münchens erweitert wurden, fiel die Kapelle dieser Erweiterung zum Opfer.
Mittlerweile war der „fertere" (äußere) Freithof vor dem Sendlingertor entstanden, in dem anfänglich, außer den Opfern der Pest, meist Fremde und Selbstmörder bestattet wurden. Südlich von ihm errichtete andächtiger Sinn eine Martersäule und später ein Kapellchen, wieder mit dem Leidensbilde des Heilandes. Die Opfergaben, die der kleinen Kapelle zuflossen, mehrten sich mit den Jahren, ebenso wie die Anwohner der „Gmain auf dem Obern Lehel" an Zahl zunahmen, sodaß der Bau eines eigenen Gotteshauses für sie gerecht und billig erschien. Im Jahre 1702 ward die bisherige Passionskapelle abgebrochen und eine größere Rotunde mit dem Namen „Schmerzhafte Kapelle" erbaut, in der das Bild des Gekreuzigten, das in jener verehrt worden, wiederum zur Aufstellung kam.
Hundert Jahre, ehe diese Passionskapelle konsekriert wurde, hatte bereits Kurfürst Maximilian I. dem zu Ende des sechzehnten Jahrhunderts gegründeten Orden der Kapuziner ein Kloster errichtet, zunächst der Herzog Maxburg, das erste in Bayern. Der jüngste Zweig des seraphischen Ordensstammes brachte es bald zu großer Beliebtheit. Hezog Wilhelm V. begab sich von der Herzog Maxburg häufig zu den Gottesdiensten und Andachten ins Kloster hinüber. Das Volk strömte zahlreich zu; als der Kapuziner Remigius von Pozolo im Geruche der Heiligkeit starb, drängte sich die Menge, den Leichnam mit ihren Rosenkränzen zu berühren. Gegen Beschuldigungen, die von geistlicher Seite erhoben wurden, weil die Kapuziner geweihte Kräuter und Wurzeln als Amulette verteilt hätten und dergleichen, nahm Kurfürst Maximilian selbst sie in Schutz und half ihrer Sache zum Siege. Er vergabte der Klosterkirche unter anderen Stiftungen eines der schönsten Werke seines Hofmalers Peter Candid, die „heilige Sippe". Eine ganz im Renaissancegeist empfundene „Santa conversazione“, darstellend Maria mit dem Kinde, mit St. Josef, Sankta Elisabeth und dem kleinen Johannes; Maximilian hatte dem Künstler das Bild bestellt. Der Eindruck des Bildes, das den Altar in der einen der zwei Grüfte der Klosterkirche zierte, war ein so wundersamer, daß es für wundertätig galt; viele Andächtige wallten, namentlich um die Fronleichnamszeit, durch den sogenannten Kapuzinergraben (vom Himbselhaus bis zum Neutor) dorthin. Der zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts im Kloster weilende, später feierlich heilig gesprochene Pater Lorenz von Brindisi las öfters vor diesem Bilde die Messe und fiel dabei zuweilen in Verzückung, sodaß er mehrere Stunden bis zur Vollendung des Opfers brauchte. Dies hielt den Kurfürsten, damals noch Herzog Maximilian I. aber nicht ab, ihm häufig zu ministrieren. Der Ergriffenheit vom Anblick des Gruftbildes wurde späterhin (1706) der Übertritt des mit einer verwitweten Gräfin Arco vermählten schwedischen Generals Horn zugeschrieben. Eine besondere Anziehung für Blumenfreunde besaß der Klostergarten, der stets mit den schönsten Blumen prangte. Im Garten wurden auch die wenigen Gestorbenen bestattet, die, einer ansteckenden Krankheit erlegen, in den Grüften deshalb nicht beigesetzt wurden. Unter den Vielen, denen die Kirchengruft die letzte Ruhestatt bot, befanden sich zwei durch die französische Revolution vertriebene französische Bischöfe: Franz v. Bonnat, Bischof von Clermont und der Bischof von Lisieur, Jules-Basile Ferron de la Ferronays, der in einem Hause der Prannersgasie zu München starb. „Mortuus ex diaecesi et patria exul. Gestorben als Verbannter, fern von Herde und Heimat," sagte das Totenbuch von ihm.
Nach etwas mehr als zweihundert Jahren des Bestehens — fast während dieses ganzen Zeitraumes waren die Kapuziner als eifrige Prediger an der St. Peterskirche tätig gewesen — traf 1802 die Aufhebung, wie so viele Kirchen und Klöster, auch die Niederlassung der Kapuziner. Unter Ludwig I. jedoch, auf Betreiben mehrerer Freunde des Ordens, vor allem des greisen, selbst dem Orden zugehörigen Benefiziaten Georg Urban Zacher, ward die Neuerrichtung eines Kapuzinerhospizes beschlossen und zwar bei der Schmerzhaften Kapelle vor dem Sendlingertor, nahe dem äußeren Friedhof. Die Kapelle ward in vergrößerter Gestalt dem Kloster als Kirche angegliedert; doch erwies sie sich in die Länge noch zu klein, um so mehr als nun ein so volkreicher Stadtteil des neuen München sie umgab. 1893 — 95 mußte zum Bau einer geräumigen Kirche geschritten werden, die in schöner, würdiger Einfachheit das Ganze erst baulich abschloß und dem hl. Antonius geweiht wurde.
Einmal noch erstand das alte Heim des Ordens vor jedermanns Augen: als im Juni 1896 bei Erdarbeiten auf dem Maximiliansplatz, heutigen Lenbachplatz, die vormalige Kapuzinergruft aufgedeckt wurde. Unter dem Andrang einer großen Menschenmenge wurden über 200 Leichen ans Licht gefördert; Mitglieder des, von der Aufdeckung alsbald verständigten, Kapuzinerkonvents halfen die Gebeine ihrer toten Mitbrüder sammeln. Nachdem die Toten feierlich ausgesegnet worden, führte sie der Totenwagen, von den Patres geleitet, auf den kleinen Friedhof der neuen Klosterkirche, zu ihrer letzten gemeinsamen Friedensstatt.