Münchner Sagen & Geschichten

Rings in der Altstadt

In der Sendlingerstraße

Raff - So lang der alte Peter... (Seite 87)


Schreitet einer von St. Peter herkommend gegen das Sendlingertor hinab, so mag er die Augen fleißig schweifen lassen und an mehr als einem Hause andächtig hinaufblicken. Da wäre gleich in der Fürstenfelderstraße eines, das ehemals Baron Mayersche Haus Nr. 8, das von drei Unvergeßlichen erzählt: von Johann Nepomuk Ringseis und dem Philosophen Schelling, die hier wohnten und von Peter Cornelius, der darin seine Malerwerkstatt gehabt. Weil aber die drei nicht zum alten, sondern schon zum München König Ludwigs des Ersten gehören, soll nur ein stiller Gruß zu dem Hause hinübergehen. Ein wenig weiter drunten, am Färbergraben oder „am Graben", wie die Gasse damals hieß, hatte sein Haus der wohlansehnliche Unterrichter und Stadtarchivar Magister Simon Schaidenreißer, benannt Minervius, der zugleich Rektor der „Poetenschule" war. (Die Poeten- oder Lateinschule — also hieß das spätere Gymnasium — befand sich hinter der Liebfrauenkirche, im Hause des sogenannten „älteren Kirchenwächters" neben dem Durchgang vom Frauenplatz zur Schäfflergasse.) Außerhalb seiner Ämter empfing der wohlgelahrte Herr Magister, der Freund und Nachbar des Tonsetzers Ludwig Senfl, wenn er heimgekehrt war in seine Behausung am Färbergraben — jetzt steht dort ein Neubau mit der Nr. 31 — den Besuch der Musen, die ihm halfen, seine geliebten Klassiker in die heimische Rede zu übertragen. 1537 hat er als Erster — zweihundert Jahre vor Johann Heinrich Voß — die Odyssee, „das seind die Allerzierlichsten und luftigsten vierundzwanzig Bücher des eltesten und kunstreichisten Vatters aller Poeten Homeri von der zehnjährigen irrfahrt des weltweisen Kriechischen Fürsten Ulyssis" — „mit Fleiß zu deutsch transferiert" und seinen Mitbürgern als „nit unlustig zu lesen" empfohlen. Der „Herr Magister lobesan" hat demnach in der Stadt, die nachmals sich so vieler antikisierender Bauten rühmte und den stolzen Namen „Isar-Athen" erhielt, dem Vater Homer zuerst Eingang und Leser unter den des Griechischen Unkundigen verschafft. Das soll ihm allezeit gedankt sein. —

 

Weiter unten, in der Sendlingerstraße 76, war das Haus des „Faberbräu". Mit ihm verbindet sich die Erinnerung an das erste Münchner Volkstheater.

Bis in den Anfang des achtzehnten Jahrhunderts bekam das Schauspielbedürfnis der Münchner nur Nahrung, wenn die Jesuitenschüler eines ihrer glanzvollen Mysterien oder allegorischen Stücke aufführten, oder wenn eine wandernde Komödiantentruppe, z. B. die des Magisters Velten, sich in der Stadt aufhielt. Im Jahre 1725 aber begann der ehemalige Rechtspraktikant Nießer auf der Malztenne des Faberbräus ständig deutsche Stücke mit einigen Kollegen aufzuführen. Nicht nur solche, wie der derbere Geschmack sie liebte und worin Hans Wurst eine bevorzugte Rolle spielte, sondern deutsche Bearbeitungen französischer und italienischer Stücke, sowie bürgerliche Schauspiele lebender Autoren. Lessing kam hier zu Worte; von Schiller wurden „Die Räuber", „Kabale und Liebe", „Don Carlos" im Faberbräu zuerst aufgeführt.

Von hier ist die Bekanntschaft der Münchner mit dem deutschen klassischen Drama ausgegangen.

Außer dem Faberbräu fanden noch beim Wieserbräu im Tal, sowie im Rathaussaal dramatische Aufführungen statt. Allmählich brachte der Beifall, den die deutschen Stücke errangen, sie auch bei Hofe, wo bisher der ausländische Geschmack vorgeherrscht hatte, mehr und mehr in Aufnahme. In dem 1753 erbauten Residenztheater kamen sowohl Opern als deutsche Schauspiele zur Darstellung, während der Gesellschaft Nießer und dem bürgerlichen Publikum überhaupt das alte Opernhaus am Salvatorplatz überlasten ward. 

Weil schon einmal vom Theater die Rede, so winkt da am Hause Nr. 23 in der Sendlingerstraße eine Gedenktafel herüber, die Keiner übersehen darf. Dort hat nämlich der Hans Walleshauser gewohnt, der Schulmeisterbub aus Hattenhofen bei Fürstenfeldbruck, der, auf Kosten des gutherzigen Pfarrers von Günzelkofen ausgebildet, unterm Namen Giovanni Valest ein berühmter Opernsänger geworden ist. Als kurbairischer Kammersänger und Leiter einer richtigen Singakademie — weit über zweihundert tüchtige Sänger und Sängerinnen hat er im Laufe der Jahre ausgebildet — wohnte er seit 1775 hier im Hause, mit einer prächtigen Münchnerin aus der Sendlingergasse vermählt. Johann Valesi war der Lehrer der Sängerin Keiser, die Mozart bei seinem Münchner Aufenthalt 1777 so sehr gefiel. 
„Aus ihrem Singen kennt man, daß ihr Meister sowohl das Singen, als das Singenlehren versteht." — schrieb er dem Vater nach Salzburg.
Valesi hat in der Münchner Erstaufführung von Mozarts „Idomeneo" 1781, wo Anton Raaff die Titelrolle sang, den „Oberpriester des Neptun" gegeben.

Und im Jahre 1798 brachte der Theaterdirektor Franz Anton von Weber seinen zwölfjährigen Sohn Karl Maria zum berühmten Valest in die Lehre, weil der Bub das Opernschreiben vorhatte und der Vater meinte: um für die Stimme schreiben zu können, müßte man das Singen ordentlich verstehen. Also kam der zarte Junge in die Schule des alten Walleshauser und machte seinem Meister viel Freude und schrieb während dieser Schülerzeit als Dreizehnjähriger seine erste Oper: „Die Macht der Liebe und des Weines". 

Wer deutsche Tonkunst liebt, dem wird vor dieser Türe das Herz warm, wie vor jener anderen in der Burggasse Nr. 8. Denn auch in dies Haus sind gute tönende Geister gebannt.


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