Münchner Sagen & Geschichten

St. Peter steht schief

Trautmann - Die Alt-Münchner Wahr- und Denkzeichen (Seite 109)


Alter PeterZu St. Peter in München ist der Thurm kerzen gerade; das wird Niemand widerstreiten. Daß es aber gleichwohl obenherum am Dach nicht ganz und gar richtig beschaffen sei, viel mehr ein ganz klein wenig schief, daß leidet auch keinen Zweifel.

Nun glauben die Einen, es schreibe sich die Sache vom ungleichen Gewicht her, der Baumeister habe einen Fehler begangen, und so mehr, wie denn eben diejenigen Leute reden, welche ganz für die neue Zeit sind, von aller Sage und Unbegreiflichkeit nichts wissen wollen und Alles natürlich ausbeuten möchten, und wenn sie dann die Wahrheit nicht mit Händen greifen können, nichts glauben. Andere und Bessere sind nun freilich dagegen, erkennen an, daß sich mit dem St. Peter Thurmdach etwas Wichtiges und Verhängnißvolles zugetragen haben müsse, und haben auf Verschiebenes gerathen.

Was aber ich in früher Jugend von einem uralten Manne, der es selber als Kind schon vom Großvater gehört hatte, vernahm, ist ungefähr dieß — wohl sagte er mir’s kürzer oder wie, aber es erzählt eben Jeder auf seine Weise. Nemlich:
Die Stadt München hatte von je viele herrliche Gotteshäuser, und die Menschen waren großentheils über aus fromm, so daß man es hier zum ,,deutschen Rom" nannte. Ueber das hatte alle Welt ihre Freude, dann und wann Etliche ausgenommen, welche uns finster und rabenschwarz nannten. Wer sich aber am Meisten ärgerte, der war der „Gottseibeiuns“ mit seiner ganzen Sippe. Der hätte den lobseligen Münchnern längst gerne die Hälse abgedreht, und weil er das nicht konnte, doch an Kirchen und Kapellen Unheil angestiftet.

Vor allen heiligen Gebäuden grollte er aber der Peterskirche. Denn von dieser ging zu München mehrtheils die uralte, ganze Glaubenskraft aus, und die zwei Thürme, welche früherhin aufragten, erschienen ihm gleich zwei Finger, welche die Stadt rastlos gen Himmel strecke und damit Gott den Eid ewiger Treue schwöre. Weiters ärgerte ihn das Glockengeläute unglaublich, und wenn die Kirchweih-Fahne heraushing, war er wieder voll Groll und Gift.

In Kurzem, er konnt' es nimmer länger ertragen und nahm sich einmal vor, Ernst zu machen und die zwei Petersthürme zu vernichten. Drauf schickte er sich in einer Mitternacht an, that ein gräuliches Gewitter zusammen und warf ein Paar Blitze in die Thürme, daß sie sogleich lichterloh brannten. Dann that er noch etliche Streiche, bis sie über das Kirchdach weg, auf den St. Petersplatz und Markt hinüber, zusammenbrachen. Da gab es Graus und Verwüstung genug, denn das Getrümmer schlug mehrere Gebäude nieder, auch gingen, heißt es, etliche Menschen zu Grunde, ungerechnet den Thürmer, welchen sein Schicksal zuerst ereilte. Nächst wollte der ,,Gottseibeiuns" auch die Kirche selbst vernichten, konnte ihr aber keinen Schaden zufügen, denn sie war geweiht. Also brannte wohl der Dachstuhl ein wenig, wann der Blitz hineinfuhr, aber dann verlöschte das Feuer immer wieder. Auf dieß ließ der böse Feind von weiterem Toben ab und machte sich in Sieges Freude davon, denn mit den Thürmen hatte er seine höllische Lust doch zufrieden gestellt.

In München aber dachte Niemand, daß er schuld sei, sondern man hielt die Sache für eine Fügung des Himmels und etwa für ein Strafzeichen, weil man in der Frömmigkeit nachgelassen habe, obwohl sich dessen weder Rath noch Volk bewußt war, und die geistlichen Herren noch viel minder.

Drauf zog man in Erwägung, ob wieder zwei Thürme aufgerichtet werden sollten, oder nur einer, und auf das Letzte fiel der Beschluß.

Es wurde also ein Aufriß gemacht, auf welchem der kommende Thurm mit einem hohen, schönen Dach zu sehen war unterhalb des Daches aber ein offener Gang mit eisernem Gitter ringe um die vier Mauern.

Auf diesem Gange sollte künftig der Thürmer frei umhergehen, Alles weitaus und in der Nähe wohl in's Auge fassen können, wenn es etwa brennte, oder ein Feind gegen die Stadt anrücke; und zu sicheren Zeiten sollte er dann mit seinen Neben- oder Wechselmann und noch etlichen Anderen hinaustreten und nach allen vier Seiten der Stadt eine seine, heilige Weise hinausblasen, zu Freude und Auferbauung der löblich christlichen Münchnerschaft.

Als nun der böse Feind merkte, daß Die zu München nur einen Thurm erbauten, gab er so gar viel nicht darauf.
Als er aber inne ward, was weiters da oben geschehen sollte, namentlich vermöge des Blasens, überkam ihn der Zorn auf's Neue, denn waren ihm die zwei Eidesfinger schon unlieb gewesen, so war ihm das hörbare Lob Gottes noch viel mehr zuwider.

Seiner Zeit nun der Thurm vollendet war, und eines Samstag Abende das Heilige Blasen und Posauniren wirklich erscholl, anbei das ehrbare Volk ganz fromm, selig und andächtig zum Thurm hinaufschaute, beschloß er, den Thurm zu vernichten, wie er die zwei früheren vernichtet hatte.

Weiters nahte Mitternacht, der Himmel war ganz rein, der Mond schien klar und hell, und in der Stadt schlief Alles ohne Sorge.

Nächst schlug es zwölf Uhr, und darauf begann der Thürmer seinen Spädgang im Freien.
Da ward ihm gar sonderlich zu Muth.

Denn urplötzlich erhob sich ein Tosen und Sausen und ein Summen und arges Brausen, kurz es fuhr eine wilde Windsbraut auf den Petersthurm zu und sonst nirgendswo andershin, auch wurde es ganz finster, so daß der Thürmer Heinz auf böse Gewalt schloß. Da blieb ihm auch in Bälde kein Zweifel.

Denn bald hörte er Geschrei und Gelächter und vielfach gottlästerliche Ausrufe; drauf sah er viele Schreckgestalte, die auf den Thurm losdrückten und drängten, am nächsten bei sich aber sah er Einen, der konnte Niemand sein, als der leibhaftige, böse Feind selbst, und Der schien es auf ihn abgesehen zu haben, pfiff und griff auf ihn los und wollte ihn offenbar über das Geländer werfen.

Da eilte der Thürmer in sein Stüblein und riß das Crucifix von der Wand, kehrte im Schutze desselben wieder zurück und hinaus, hielt das Kreuz dem gar Anderen vor und rief: „Was willst du? Ich fürcht mich nit — weich' von hinnen vor´m Zeichen uns'res Herrn Christ!"

Auf die Bannworte fuhr der Teufel zurück, und der Sturmwind hielt eine Weile ein. Drauf erhob er sich um so viel mehr, die ganze Sippe drängt´ und drückte oben und unten am Thurme, der Satanas aber brückte zumeist am Gitter, und so oft der Thürmer sein Kreuz erhob, ihm ein über das andere Mal damit auf sein dauerliches Haupt schlug und rief: „Ha du verfluchter Geist, ich banne dich weg“ - eben so oft schrie der Teufel entgegen: „Und werd' ich noch zehnmal verfluchter, schlag’ zu, so viel du willst! Zwo Thürme hab' ich Euch verblitzt und jetzt wird der eingeworfen, das kannst du ihnen sagen, daß ich's gethan hab'!"

Rief der Thürmer Heinz: „Ha du grundverſluchter, verruchter Geist, das solll dir nicht gelingen!"

Und der Teufel entgegen: „Ha du, wart' ich will dir’s wohl zeigen und seinen grundfrummen Münchnern, Die sollen meine Macht spüren!"

Also ging's in Lüften hin und her inzwischen dem Thürmer und dem Satanas mitsammt seiner höllischen Sippe – und es merkte der Thürmer, daß der Thurm schon wanke, auch konnte er schier das Kreuz nimmer halten, weil ihm der Arm müde war zuletzt that es einen Krach über ihm, als wolle das Thurmbach aus allen Fugen gehen, und Alles gab er für verloren.

Da schlug's urplötzlich Eins – und kaum hatte es das geschlagen, so erhob sich unsägliches Geschrei, und es drückt' und drängte am Thurmdadch, bis der ganze Glockenton versummt war. Darauf sauste es mit Macht vom Thurm hinweg, es verschwanden alle Schreckgestalten, mit der ganzen Windsbraut war es zu Ende, die Finsterniß wich von dannen, der Himmel war rein und klar, der Mond stand hell in Lüften, der Thürmer Heinz aber fiel auf die Kniee und dankte Gott mit lautem Mund.

Früh Morgens kam dann sein Nebenmann, und Der konnte die Mähr´ schier nicht glauben. Der Andere aber eilte hinab, warf auf dem Weg zum Rathhaus Dem und Jenem ein Wort zu, weckte den Pfarrer, dann den Bürgermeister und etliche Rathsherren, viele Andere kamen auch noch dazu. Die vernahmen sämmtlich des Thürmers Bericht, staunten sämmtlich und wollten ihm so wenig glauben, wie sein Nebenmann, weil Niemand das Geringste vernommen hatte, bis sie dann im Hin- und Herstreiten hinaustraten und sich vom Rathhaus weg auf den Marktplatz begaben.

Da stand schon viel Volk, dem die Sache zu Ohren gekommen war, da sah Alles ganz verwundernd zum Thurm hinauf, hoch droben beugte sich des Thürmers Nebenmann über das Gitter und sah auch über sich, und als der Pfarrer, der Bürgermeister, der Rathsdiener und die Schreiber alle desgleichen hinaufschauten, waren sie auf das Höchste befremdet, denn das Thurmbad von St. Peter war gestern noch ganz geradeauf gestanden heute aber war es um ein ziemlidch Ersichtliches geneigt.

Da blieb auf's Weitere kein Zweifel, wie's mit den zwei früheren Thürmen ergangen sei, denn der Heinz berichtete jedes Wort. Nächst trösteten sich alle mit Gottes Schutz und Wohlgefallen, versahen sich weiteren Beistandes, erkannten, es sei das da oben kein Wahrzeichen von des Himmels größtem Mißfallen, sondern vielmehr seiner Geneigtheit, darob war männiglich hoch erfreut und bestärkte sich im Entschluß ausdauerlichster Frömmigkeit.

Damit hielten sie auch Wort, weshalb seit dazumal nichts Schlimmes mehr einbrach; und mit der Zeit setzte sich sogar das Thurmdach wieder mehr — aber ganz doch nicht — also hängt es oben noch immer ein ganz klein wenig über und ist ein Wahrzeichen, daß unsere Glaubenssache fest steht und ihr so leicht keine Gewalt völlig ankann.

Also war's Anno Sedizenhundert und elf,
Könnt aber auch sein, Anno zwölf.


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