Münchner Sagen & Geschichten

Das Kreuz in der Wieskapelle.

Trautmann - Die Alt-Münchner Wahr- und Denkzeichen (Seite 8)


In der zugemauerten, uralten Kapelle auf der Wieden-, Wieskapelle, oder wie sie auch genannt ward, Herrgotts Kapelle hinter St. Peter befand sich früher im Pflaster ein Kreuzzeichen.

Von dem erzählten mir alte Leute, da ich noch ganz jung, die Kapelle aber schon lange abgewürdigt war und wie noch heute, dazu diente, alte Akten und dergleichen aufzubewahren. In späterer Zeit kam ich einmal hinein und suchte aller Orte, fand jedoch nichts. Sei es, daß das Zeichen, welches schondazumal undeutlicher gewesen sein soll, mählig ganz verwischt, oder der Stein mißachtet, umgekehrt, oder entfernt wurde - es that mir leid genug, ihn nicht mehr zu sehen. Ob er sich nun künftig noch vor finde, oder nicht, es handelt sich da um ein Wahrzeichen, und mit dem ist es so beschaffen:
Als Herzog Ludwig der Strenge, welcher bekannter massen Anno Domini 1256 seine Gemahlin, die schöne Maria von Brabant, zu Donauwörth aus Eifersucht tödten ließ, von immer größerer Reue erfaßt ward, kam er von seiner Hofburg, oder wenn er sonst des Weges war, öfters in die Wieskapelle und betete allerherzinniglichst um Vergebung für seine That. Da meinte er einst, er sehe auf der Epistelseite des Altars eine weibliche Gestalt, die der Maria von Brabant ganz ähnlich sei und nicht zu mild, aber auch nicht zu ernst auf ihn herüberschaue, und um den schneeweißen Hals war's wie ein haarscharfer, rother Streifen. Der war ihm hier das sicherste Zeichen. Als er nun voll Kummer sein Haupt beugte und dann wieder aufblickte, sah er nichts mehr von der Gestalt und glaubte, es sei doch wohl nur ein Traumbild gewesen; er war aber bei all dem einiges besseren Muthes, weil ihm Gott ein Bild zugelassen habe, das ihn nicht mit Zorn anblickte.

Dafür dankte er, empfandso viel größere Sehnsucht nach Vergebung, breitete die Arme gen Himmel und sagte in aller möglichen Inbrunst: »O Domine, absolve me per innocentiam Mariae!« Dieß sagte er zweimal und als er das gethan hatte, erhob sich mählig ein Gesang, als ob Engel sängen; und die mußten es wohl sein, weil er wußte, es sei außer ihm Niemand in der Wieskapelle. Da horchte er ganz andächtig zu, und als der Gesang endete, sagte er zum Drittenmal, was vorher.

Da vernahm er eine süße Stimme hinter sich, die sagte: „ Ludovice, te absolvit Dominus noster!"

Und als er von Gottes Verzeihung hörte und freudiglich umsah, schaute er der Maria von Brabant in's licht glänzende Antlitz und vernahm, wie sie weiters sagte : ,,Sicut Deus et ego", das heißt, wie Gott, vergieb ich dir — und verschwand. Herzog Ludwig der Strenge aber fiel auf's Antlitz und weinte, wie ein Kind, ganz bitterlich, dennoch voll Freude, weil er nun wußte, daß ihm vergeben sei.

Zum Wahrzeichen aber heißt es, ließ er ein Kreuz an die Stelle graben, auf welcher die Maria hinter ihm gestanden .


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