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Mayer - Münchner Stadtbuch (1868)
Zum Schlusse unseres Buches halten wir es für würdig, jene glänzende und erhebende Schilderung, welche der edle und scharfblickende Westenrieder in seiner Beschreibung von München vom Jahre 1782 von dem Karakter der Münchener Eingebornen macht, zu unserm Stolze, aber auch unser jetzigen Generation zur Nacheiserung hier wörtlich abzudrucken.
„Die Hauptzüge der Münchener sind ein biederes Wesen und eine einladende Redlichkeit. Der Ton ihrer Stimme ist ungesucht, so wie ihre Bewegungen, und ihr Gang ist bescheiden und mannlich. Das Frauenzimmer wird unter das schönste in Deutschland gezählt, und es gibt überhaupt in beiden Geschlechtern und unter den gemeinsten Ständen die geistreichsten Physiognomien.
„Der wahre Münchener ist männlich höflich, und schämt sich, Jemand eine Schmeichelei zu sagen, welche der Andere nicht verdient, oder woran sein Herz nicht denkt. Er spricht über seine Angelegenheiten ohne allen Umweg und
setzt durch seine Kühnheit den hösischen Fremden in Erstaunen, denn der Eingeborene heuchelt nicht, und wo ihm etwas mißfällt und unrecht däucht, sagt er's geradezu, und beurtheilt öffentlich den Vornehmen wie den Niedern. Er sagt es laut, und in's Gesicht sagt er's ihm. Diese ihm gleichsam angeborene Gewohnheit den geraden Weg zu gehen, begleitet ihn allenthalben, und er bleibt nicht selten der Gefahr ausgesetzt, dadurch, daß er Jemand, der ihn betrügen will, für ehrlich hält, übervortheilt zu werden. Ein ähnlicher Mangel an Welttugenden ist die hergebrachte Bescheidenheit, seines Verdienstes nicht zu achten. Es haben hier ununterbrochen Gelehrte und Künstler aller Arten gelebt, und sie bemühten sich nicht im geringsten, wie sie bekannt werden möchten, und sind es bei dem Auslande immer mehr, als zu Hause gewesen. So wird ebenfalls in mechanischen Künsten mit der möglichsten Vollkommenheit gearbeitet, und z. B. die hiesigen Kutschen, Lakirarbeiten, Stahlarbeiten ec. ec. werden so geschmackvoll und trefflich, wie in Paris und London verfertiget.
„Was die Wissenschaften betrifft, so cirkuliren hier alle Kenntnisse, die der Mensch sich erklärt oder erfunden hat. Die Gelehrsamkeit und das, was man Aufklärung des Verstandes, Verbesserung des Geschmackes, und Erhebung des Karakters nennt, befindet sich, im Ganzen genommen, bei dem Mittelstande. Von diesem wird geschrieben, von diesem wird auch das meiste gelesen und gearbeitet, und der Unterricht in Künsten und Wissenschaften den übrigen Ständen ertheilt. Die Kühnheit, deren sich die Schriftsteller bedienen, hat stets die Bewunderung des Auslandes
Verdient, und wechselweise die inländischen Köpfe ermuntert. Man hat hier lange, wie man zu sagen pflegt, vergessen, was eben gegenwärtig nicht weit von uns als eine große Seltenheit, und als die Erscheinung einer mächtigen Aufklärung bewundert wird.
„Die Musik gehört zu den Lieblingsfreuden der Einwohner, und in wohlgeordneten Häusern wird sie ohne Ausnahme als ein wichtiges Stück einer guten Erziehung betrachtet. Ueberhaupt sind die Münchener sehr empfindsam und weinen herzliche Thränen bei einer tragischen Vorstellung, wozu sie mehr, als zu lachenden Scherzen geneigt sind, daher verfehlt eine geistreiche Anstalt nie ihres Zweckes, und sie hangen mit Wärme und edler Unbeugsamkeit an jeder Einrichtung oder altem Herkommen, woran sie überzeugt zu sein glauben, daß selbe sie alle betrifft. Sie sprechen bei gemeinschaftlichen Dingen, als gehörten sie alle zu Einer Familie, und der Name Vaterland ist ihnen heilig, und jeder Flecken, der dazu gehört, ist ihnen wichtig., Sie lieben sehr die öffentlichen Feierlichkeiten, wo sie Gelegenheit fimden, sich versammelt zu sehen, und fröhlichen Herzens zu werden. Bei ihren Lustbarkeiten ist aller Zwang und alle Verstellung entfernt, und die Lebhaftigkeit und das gesellige, Wesen ziehet Jeden in den Kreis ihrer Freuden. Der wahre Eingeborne wird nicht erst hier gegen Fremde offen und vertraut, er ist dieß zu allen Zeiten, und man darf mit ihm nicht erst Jahre lang umgehen, um zu wissen, woran man ist. — Das Blut der Altbayern wird nie versiegen; es ist hier gut sein, und wer nur eine kleine
Zeit in München zugebracht hat, will hier seine Wohnung sich bauen."
So schrieb Westenried er im Jahre 1782! Jed„ Münchener, der an seinem Standbilde am Promenadeplatze vorüberwandelt, möge mit Ehrerbietung und Liebe zu seinem edlen Antlitze aufblicken!