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Münchener Stadtbuch

XLVI. Münchener Sagen

16. Das schwarze Kalb.

Vor alten Zeiten ließ sich täglich in einem Hause in München ein Geist in Gestalt eines schwarzen Kalbes sehen, welches darin umher rumorte, so daß Niemand mehr im Hause verbleiben zu können vermeinte. Da die gewöhnlichen Beschwörungsmittel nichts fruchteten, so wurde ein Geistlicher geholt, den Geist zur Ruhe zu bringen. Dem Priester gelang es, denselben zum Sprechen zu bringen, und da zeigte es sich, daß es die verstorbene Hausfrau war, welche zeitlebens ein böses Weib gewesen, und zur Strafe nach ihrem Tode als schwarzes Kalb umgehen mußte. Da aber selbst der Geistliche mit dem bösartigen Geiste nicht zurecht kommen und ihn zur Ruhe bringen konnte, so bannte er ihn in eine zinnerne Flasche mit zugeschraubtem Deckel, versiegelte sie mit geweihtem Wachse und drückte ein Signet mit einem Kreuze versehen darauf, so daß der Geist den Deckel nicht heben konnte. Dann wurde noch in derselben Nacht die Flasche in das Erdinger Moos gebracht und dort vergraben. In dieses Moos wurden schon manche solche geheimnißvolle Flaschen gebracht und Geister dahin gebannt, daher es gefährlich ist, dasselbe an gewissen Orten zur Nachtzeit zu betreten, indem der Geist gerne den Wanderer in den bodenlosen Sumpf verlockt.

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