Alte Bücher

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Münchener Stadtbuch

XLIII. Die eingekerkerte Nonne im Kloster am Anger.

1742.

Frömmigkeit, und pflegten ihn selbst dadurch immer mehr, daß auf Veranlassung des Vaters das Mädchen Bücher zum Lesen aus dem Kloster erhielt. Dadurch bekam ihre Neigung zum heiligen beschaulichen Leben immer mehr Nahrung und es bildete sich in ihr der Wunsch und die feste Absicht aus, dem weltlichen Leben gänzlich zu entsagen und in ein Kloster zu treten. Ihre Aeltern, weit entfernt, dieser Absicht entgegen zu treten, waren vielmehr darüber höchst entzückt, indem sie für ihre Tochter kein größeres Glück, als ihre Versorgung im Kloster kannten.

Obwohl nun Marie beinahe noch ein Kind war, wendete sich dennoch deren Vater zur Erreichung dieses Wunsches an den Abt des Klosters Scheyern. Dieser schrieb an die Aebtissin des Klarissinenklosters am Anger in München, und nach vierzehn Tagen erfolgte von dort Antwort. Der Umstand, daß Marie gänzlich ohne Vermögen war, stellte zwar einige Hindernisse entgegen, denn man pflegte in der Regel keine Jungfrau aufzunehmen, die nicht ein Vermögen und eine stattliche Aussteuer in das Kloster mitbringen konnte; aber anderseits kam in Betracht, daß gegenwärtig eben keine Nonne im Kloster sich befand, die der Wundarzneikunst kundig war, und deshalb erschien sogar die Aufnahme der Marie erwünscht, da ihr Vater selbst Wundarzt war. Es wurde daher ihre Aufnahme unter der Bedingung genehmiget, daß sie die Wundarzneikunst vollständig erlerne.

Dieses geschah auch; drei Jahre lang erhielt sie wundärztlichen Unterricht von ihrem Vater, und von dem Schullehrer des Dorfes in der Musik; dann wurde sie zu ihrer ferneren Ausbildung nach München gesendet, wo sie

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