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So lang der alte Peter …

Geschichtliches und Sagenhaftes vom Münchner Dom

Unser Herr am Ölberg

Es war einmal in der Münchner Stadt eine fromme Wittfrau, die hatte einen einzigen Sohn. Dem tat sie alles zu liebe und hielt ihn auch fleißig zu aller Sitte und Tugend an. Weil aber die Mutter ihm gar zu gut war, und er von Niemand sonst mochte gezogen werden, geriet der junge Sohn auf Abwege, hielt sich zu bösen Gesellen und vertat mit ihnen sein Gut. Da eS alsdann die Mutter mit Strenge versuchte und ihn kürzer hielt, begann er mit ihr zu hadern und gab ihr grobe Reden. Zumal begehrte er, sie sollte ihm sein Väterliches herausgeben und ihn ziehen lassen, daß er nicht fürder ihres Alters Knecht zu sein brauchte. Weil sie ihm darin nicht willfahrte, ward er immer ärger und hässiger gegen sie, und ihre Tränen und Bitten fruchteten nichts. Hatte sie ihm aber einmal das Herz ein wenig umgewendet, so spotteten alsbald seine Gesellen ihm die weiche Wandlung hinweg, und eS währte nicht lang, so war er ärger denn zuvor. Die Mutter bat und weinte, mahnte ihn an Gottes Gericht, aber vergebens. Einst, als sie sich vor ihm auf die Knie warf, und ihn anflehte, in sich zu gehen, stieß er sie rauh von sich, riß mit Gewalt ihren Schrein auf und raffte zusammen, was er an Geld und GeldeSwert fand. „Jetzt nehm ich, was mir zukommt," rief er „will meiner Jugend froh werden; der Altweiberlehren bin ich satt!" Die Witwe aber reckte die Hände auf und flehte zu Gott, daß er ihr Kind nicht dem Heil verloren gehen lasse. „Soviel er schwelgt," verhieß sie „will ich mich für ihn kasteien und null' entbehren." Deß lachte er und spottete: wie mehr sie ihm erspare, je lieber sei eS ihm! Damit lief er davon.

Es währte nicht lang, so hatte er all das Seine vertan, war verlottert und ein Übeltäter geworden, bis zuletzt das Gericht ihn fahen und in den Kerker werfen ließ.

Seine Mutter derweil lebte schier von nichts und zog sich von aller Welt zurück. Mit dem Wenigen, was ihr geblieben, ging sie zu einem Meister Steinmetz und schaffte ihm an: er solle ihr in Stein bilden die Angst unseres Herrn am Olberg. Wie die Stationstafel fertig war, bat sie, daß sie den Stein an der Mauer des MarienkirchleinS, neben der Türe, einsetzen lassen dürfte. Dies ward ihr verstauet. Davor betete sie oftmals und inbrünstig, daß Gott, so eS ihm gefiele, ihr ersparen wollte, den Leidenskelch wegen ihres Sohnes bis zur Neige zu leeren. Darnach bestellte sie ihr Haus und tat den letzten Wunsch, unter ihrem steinernen Olberg bestattet zu werden. Dann legte sie sich nieder und weinte um ihr Kind, bis ihr das Herz brach und sie hinüberschied. *

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