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Ein Jahrhundert München

Die Sommerdult

ungewöhnlichen Raum, und so wird neben Bändern und Spitzen, Kaschemirs und Batisten, Ringelein und edlen Steinen noch so manches eingehandelt, was dem Gesetze der Mode weniger unterworfen ist.

Mittags ziehen die Banden englischer Reiter, Seiltänzer und Springer in Helmen und romantischen Gewändern zu Pferd mit Zinken und Trommeln durch die Stadt. Es müßte nicht gut sein, wenn nicht jede Truppe einen hübschen weiblichen Chorführer, in vielversprechender Kleidung, an ihrer Spitze hätte und dadurch den Bergnügungsplan der jungen Männerwelt für den Abend bestimmte oder abänderte.

Gegen Abend beginnt nun erst das wahre Schlaraffenleben. Da gibt es vor dem Karls- und Maxtor englische Reiter und Seelöwen, Riesen und kurzgefaßte Zwerge, Metamorphostkünstler und monströse Kälber, französische Puppenkomödien und possier- liche Affenschwänze, und was des närrischen Zeugs mehr ist. Zwischen den bretternen Hütten, die, nach größerem oder kleinerem Maßstabe erbaut, diese Merkwürdigkeiten umschließen, flutet eine schaulustige, frohe Menge aus allen Ständen ab und zu. Unter dem Gekrächze und Geheul der ausländischen Tiere dringt das Geschrei des benachbarten pulicinells und das Beifall-Wiehern des dritten Platzes aus dem nahen Zirkus hervor. Laternenpfähle, Schornsteine und Dächer der benachbarten Häuser sind mit sparenden Menschenkindern behängt, die sich das Recht, von der Höhe ihres Stand- oder Hängpunktes zu applaudieren und herabzuwiehern, nicht nehmen lassen. Der dunkle Abend versetzt den Schauplatz etwas mehr nach Osten, an das Peristil der Lorenzonischen Thespis-Hütte.

Was nie und nirgends gelingen wollte, kommt hier im Anschauen der hohen, tragischen Gestalten, auf Euripides' und Sophokles' Kothurn, zustande! Das zarte Menschenherz fühlt sich hier zwischen Satyrhastigkeit und sinniger Rührung süß be- wegt, gleich dem Pendel der Zamboniuhr, der, von den mächtigen Potenzen angezogen oder zurückgestoßen, bald diese, bald jene Säule flüchtig küßt und zur anderen zurück- bebt, oder mich gleich dem Esel Buridani, der nicht weiß, welches von zwei Heu- bündeln er zuerst hinunterkauen soll.

Die Dult versammelt in München eine Menge Landbewohner aus den oberländischen Kreisen, und da dies der schönereMenschenschlag des Königreiches ist, so gewährt das flüch- tigeDurchstreifen der zahlreichen „Bierzäpflerhäuser" im Tale, wo die Landbewohner sich am liebsten aufhalten, den freundlichen Anblick manches schönen Mädchens aus Schliersee, Miesbach, Tegernsee und Audorf, deren kräftige Formenzeichnung, zusammengehalten mit der blühenden Jovialität des Gesichtes, dem Auge selbst in München wohltut. Aus: Christian Müller, „München unter König Maximilian Joseph I".

Das Maxtor wurde am Ausgang derprannerstraße in den Dult- (Maximilians-) Platz im Jahre 1805 nach den Plänen des Stadtbaudirektors Schedel von Greifenstein errichtet, llber Lorenzonls (später Schwaigers) Theater vergleiche das spätere Kapitel.

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