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Ein Jahrhundert München

Der Maskenball im Hoftheater

wie ein Gedanke emporgehoben, dem geliebten Königspaar einen Blütenstrauß in die Loge reicht, stürzt aus den menschenersüllten Logen ein Blumenregen auf das "parterre herab, dessen Duft sich in das laute Beifalljauchzen der fröhlichen Menge mischt. Darauf verschwindet der Tänzer Chor, und die Menge im Saal nimmt, freier aufatmend, den ihr mühsam und nicht ohne Widerstand entzogenen Raum wieder ein. Nun erneuert sich die freie Lust und Neckerei, bald mit mehr, bald mit minderer Grazie vergesellschaftet, aber fast nie mit störender Unart verbunden. Mitternacht ist vorbei. Man geht in den Saal zur Seite und seht sich an langer Tafel zum stärkenden Abendessen.

Die Maskenlust ist nun mit Ablegung der Maske der Eßlust gewichen und ihr untergeordnet worden. Indessen geschieht dies doch gewöhnlich nicht eher, als bis jene bergende Freundin vollständig ihre Dienste geleistet hat und nun unnötig geworden ist. Mit der Maske fällt auch der ganze Zauber des Maskentreibens. Jener Dame dort oben im schwarzen Kleide habe ich vorhin im Saale manches gesagt, was ich jetzt nicht wiederholen könnte. Sie antwortete mir drei Worte, an welche sie ihrer Nachbarschaft und ihrer abgelegten Maske wegen auch nicht durch das Entfernteste erinnert werden darf. Dort der weibliche pulicinell, der sich — obgleich in Gesellschaft des feurigen Liebhabers — mit dem Flügel eines Indians viel zu tun macht, scheint mich jetzt nicht mehr zu kennen, obgleich er mir noch vor einer Viertelstunde eine Entdeckung machte und recht wohl wußte, wer ich war, was er jetzt vergessen haben muß, weil er sich scharf beobachtet weiß.

So herrschen jetzt wieder die alten Rollen des Bürgerlebens, das trauliche Du ist verklungen, und nur manchmal schießt hier und dort ein flüchtiger, verstohlener Blick über die lange Tafel, welcher noch die Maske angeht. Die wahren Masken- freunde halten sich auch so kurz wie möglich bei dem Abendessen auf, um dann mit oder ohne Maske wieder kn den Saal zu eilen. Sobald der Hof seine Loge verlassen hat, darf jedermann seine Maske abnehmen, und nur die behalten sie bei, welche dadurch nicht verlieren wollen oder die sie zu ihren Zwecken nötig haben. Nach zwei Uhr endigt der Ball. Manche sind ganz im Stillen schon früher — wer weiß wohin? — gefahren. Die Wagen rollen nun vo'r, und auch jetzt nimmt nicht jeder den Weg, auf dem er kam. Viele hallen — es heißt, um sich gegen Erkältung zu schützen, — beim Einstekgen die Maske wieder vor,- denn die neugierigen, forschenden Blicke, die gerne wissen möchten, wer kn den traulichen, sicher bergenden Gewahrsam des verschlossenen Wagens zusammensteigt, sind allerdings noch gefährlicher, als der schneidende Ianuarwind, der wenigstens keine Zunge hat, und von dem man ja bekanntlich auch nicht weiß, wohin er fährt.

Aus: Christian Müller, „München unter König Maximilian Joseph I". Auch hier ist unter dem Hoftheater das heutige Restdenztheater zu verstehen.

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