Kunst & Kultur

Prof. Dr. phil. Karl Süssheim

Name Prof. Dr. phil. Karl Süssheim
Stadtbezirk 16. Ramersdorf-Perlach
Stadtbezirksteil Neuperlach
Art Gedenktafel
Suchbegriffe Jude  
Personen Süssheim Karl  
Denkmal Gedenktafel 

Prof. Dr. phil. Karl Süssheim

Flucht vor den Nazis:
Als jüdischer Gelehrter von Haidhausen nach Istanbul

Eine Information der Evang.-Luth. Kirchengemeinde St. Johannes in Zusammenarbeit mit dem Haidhausen-Museum, den „Freunden Haidhausens“ und dem Bezirksausschuss 5 Au-Haidhausen

Mit Professor Dr. phil. Karl Süssheim wohnte seit April 1934 bis zu seiner Emigration 1941 einer der bedeutendsten Orientalisten in Haidhausen, Preysingstraße 12. Seine Tagebuchaufzeichnungen von 1908 bis 1940, die er auf Türkisch, ab 1936 auf Arabisch schrieb, gehören zu den beeindruckendsten literarischen Zeugnissen seiner Zeit. Sein Bruder Dr. jur. Dr. phil. Max Süssheim, Rechtsanwalt und Justizrat, war wie der Großvater David Morgenstern, Mitglied des Bayerischen Landtages.

Nach einem Forschungsaufenthalt in der Türkei wurde Karl Süssheim 1919 außerordentlicher Professor für die Geschichte islamischer Völker und Sprachen an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Zu seinen Schülern zählten der jüdische Religionshistoriker Gershom Schölern und Franz Babinger, der nach 1945 der erste Dekan der Fakultät für Kulturwissenschaften der Universität München wurde.

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten musste Karl Süssheim auf Grund des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ am 27. Juni 1933 als Professor aus dem öffentlichen Dienst ausscheiden. Trotzdem setzte Karl Süssheim seine Forschungsarbeiten fort und pflegte weiterhin Kontakt zu dem 1933 ebenfalls zwangsausgeschiedenen Lucian Schermann, Direktor des Museums für Völkerkunde, welcher in einem Brief vom 8. Juli 1934 an Wilhelm Freiherr von Pechmann, Präsident der evangelischen Landessynode, geschrieben hatte:

„Als Jude in diese Welt geboren (...) habe ich schon in jungen Jahren die guten und bösen Tage meines Daseins mit einer katholischen Lebensgefährtin verknüpft (...). Nie haben bei uns und unseren Kindern religiöse Differenzen sich verbitternd eingeschlichen, und ich selbst habe bei Kollegen, Behörden u.s.w. (...) nur Wohlwollen genossen.“

Damit drückte er wohl auch das Lebensgefühl von Süssheim aus. Karl Süssheim, seine katholische Ehefrau Karolina und die beiden Töchter Margot Karoline und Gioconda litten sehr unter den antisemitischen Anfeindungen. Am 11. November 1938 wurde ihm schließlich der Zutritt zur Bayerischen Staatsbibliothek verboten. Gleichzeitig intensivierten sich seine Beziehungen zu wichtigen Persönlichkeiten in der Türkei wie etwa zu Feridun Nafiz Uzluk oder Ibrahim Temo.

In den Tagebuchaufzeichnungen von Karl Süssheim finden sich aber auch zahlreiche Berichte zu politischen Ereignissen. Uber das Attentat von Johann Georg Elser am 8. November 1939 im Haidhauser Bürgerbräukeller schrieb er:

„Um dem fehlgeschlagenen Nazi-Putsch von 1923 zu gedenken, fand eine große Versammlung im Bürgerbräukeller statt. Als ich dort gegen drei Uhr nachmittags entlang ging, waren die Tür im Vorraum zur Versammlungshalle und der gesamte Vorraum selbst geschmückt und voll ausgestattet mit Fahnen der Nazi-Partei (...). Der Führer verließ den Versammlungsort früher, da seine Anwesenheit in Berlin benötigt wurde. Nach seinem Weggang gegen 21.30 Uhr hörten wir - wir waren zu Hause - eine Explosion (...). Ina war im Bett und schlief. Sie wurde von der Gewalt der Explosion geweckt, schreckte auf und ging verwirrt in den Flur. Andere irritierte Nachbarn stürzten aus ihren Wohnungen in das Treppenhaus und begannen zu diskutieren. Es war so, wie wenn die Explosion hinter unserem Haus oder im Haus gegenüber erfolgt wäre.“

Ausführlich schildert Karl Süssheim auch die Übergriffe während der „Reichskristallnacht“ am 9. November 1938. Verunsichert durch die Ereignisse und das Gerücht, nach dem Juden innerhalb von 48 Stunden München zu verlassen hätten, suchte er am 12. November die Polizei auf, um nähere Informationen zu erhalten. Die Polizei verwies ihn an die Gestapo. Das wurde ihm zum Verhängnis. Für zwei Tage wurde er in eine Zelle eingesperrt. Dann kam er nach Stadelheim und am 14. November 1938 zusammen mit zwanzig weiteren Personen in das KZ Dachau. Unter der Auflage, Deutschland zu verlassen, wurde Karl Süssheim am 29. November 1?38 aus dem Konzentrationslager entlassen.

Seine Frau fand mit ihren beiden Kindern in dieser Zeit Hilfe und Unterstützung beim Diakon der evangelischen St. Johanneskirchengemeinde, Wilhelm Wohlmacher, der mit seiner Familie neben dem damaligen Pfarramt in der Holzhofstraße 4/11 wohnte.

Aufgrund seiner guten Beziehungen zu türkischen Regierungskreisen gelang Karl Süssheim mit seiner Familie am 19. Juni 1941 die Emigration in die Türkei. Er verlor jedoch den größten Teil seines Vermögens und des umfangreichen Bestands seiner Privatbibliothek. Eine Verfügung des türkischen Premiers ermöglichte ihm, an der Universität Istanbul zu lehren. Karl Süssheim starb in Istanbul am 13. Januar 1947.

Seine inzwischen in zweiter Ehe verheiratete Frau Karolina, die nach New York emigrierte, erhielt ab August 1958 vom Freistaat Bayern eine monatliche Zuwendung in Höhe von 100,- DM.

Quellen:
Lesebuch zur Ausstellung ..Mitten unter uns - Jüdisches Leben in Au und Haidhausen". 2006. hrsg. von ..Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. Regionalgruppe München. Träger der Ausstellung von November 2004 bis Januar 2005 im Gasteig Kulturzentrum waren ..Gegen Vergessen - Für Demokratie e. V.. Regionalgruppe München, das Kulturzentrum der Israelitischen Kultusgemeinde München, die Münchner Stadtbibliothek sowie die Evang.- Luth. Kirchengemeinde St. Johannes.

Zitate aus
..Süssheim. KaiT The diary of Karl Süssheim (1908 - 1947): Orientalist between Munich and Istanbul". Barbara Flemming
& Jan Schmidt. Stuttgart. Steiner 2002. sowie aus der Infonnationsbroschüre des Staatlichen Museums für Völkerkunde München. Maximilianstr. 42. 80538 München, zur Erinnerungstafel für Lucian und Christine Scherman. eingeweiht am 26. 10. 2010. im Treppenaufgang des Staatlichen Museums für Völkerkunde München

Text: Dieter Rippel
Gestaltung: Hermann Wilhelm


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