Veranstaltungen - Geschichte - Kunst & Denkmal
Quelle | Zauner - München in Kunst und Geschichte (350) |
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Jahr | 1914 |
Straße | Josephspitalstraße 10 |
Volkstheater. Josephspitalstr. 10a. Die Münchner waren von jeher große Freunde der dramatischen Kunst und ihr erstes „Volkstheater“ waren wohl jene „Mysterien“ und „Allegorien“, die schon vor Jahrhunderten (seit 1580) von den Jesuitenschülern zur allgemeinen Erbauung und Kurzweil öffentlich aufgeführt wurden. Was sich anno dazumal sonst noch an Schauspielkunst zeigte, kam meistens von wandernden Komödiantentruppen, die mit dem Thespiskarren zu den Dulten am Anger drunten oder bei sonst einer festlichen Gelegenheit in München erschienen und deren Repertoire natürlich vor allem von der Hanswurstkomödie beherrscht wurde. Anfang des 18. Jahrh. — um 1725 — erhielten dann die Münchner ein ständiges Volkstheater und zwar droben beim Faberbräu in der Sendlingerstraße.
Im Gegensatz zu diesem „Volkstheater“ existierte damals, aber nur für den kurfürstlichen Hof und die Adeligen, das „churfürstliche Opernhaus“ auf dem Salvatorplatz, wozu später noch das „Herzog Maxische Ballhaus“ in der Pfandhausstraße kam; an deren Stelle wurde später (1754) das Residenztheater und daneben (1800) das Hoftheater (1823 nach einem Brand von neuem erbaut} errichtet. Für das inzwischen untergegangene Volkstheater beim Faberbräu errichtete man um 1810 ein neues, das Isartor-Theater (jetzt städtisches Leihhaus). Hier setzte Direktor Carl — der später das Wiener Carltheater gründete — den Münchnern die neuesten Schwänke und Kührstücke vor. Dieses Theater wurde später ersetzt durch die sog. Schweigertheater, nämlich jenes des Johann Schweiger in der Au und jenes des Max Schweiger in der Isarvorstadt „zu den drei Linden“ in der Müllerstraße, an dessen Stelle heute das Kolosseum steht. Da baute man 1864 auf dem ehemaligen Eichthalanger ein großes modernes „Aktientheater“ — das heutige Gärtnerplatztheater. Außerdem tat sich beim Botanischen Garten, wo heute das „Deutsche Haus“ steht, das bescheidene Elysiumtheater auf und draußen zwischen Schwanthaler- und Bayerstraße das Thaliatheater Unter Direktor Jenny, der damals als erster die Offenbachschen Operetten hier einführte, hatte dieses Theater starken Erfolg — bis sich dann auch das Gärtnertheater der Operette zuwandte.
Nun riskierte der Schauspieler Binder draußen im „Senefelder-Hof eine Bühne und machte dort mit dem „Geschundenen Raubritter“ und ähnlichen Sensationen dem Volk viel Freude. Später übernahm Hilpert das Theater, verlegte es in die Westendhalle und machte dort ziemlich gute Geschäfte—bis es 1900 wegen Feuergefährlichkeit polizeilich gesperrt wurde.
Nun fand sich erfreulicherweise ein Mann, der die Sache rationell anpackte, der Baumeister Gerstenecker. Er kaufte den ganzen Baublock der alten Westendhalle auf Abbruch zusammen, errichtete dafür einen modernen Gebäudekomplex mid in dessen Hof stellte er das neue, jetzige „Volkstheater“. Erbaut von Karl Tittrich, wurde es 1903 eröffnet. Von vornherein nicht als prunkvoller Repräsentationsbau gedacht, sollte in ihm bei größtmöglichem Fassungsraum eben das „Volksstück“ wieder ein Heim finden. Da die durch den Grundriß gegebenen Abmessungen der Fassade zufällig die Verhältnisse des griechisch-dorischen Aeginetentempels ergaben — durch dessen plastische Ueberreste die Glyptothek Münchens ihren europäischen Kuf erworben hat, wurde für die Fassade- auch dieses neuen Münchener Kunsttempels die dorische Tempelfront gewählt, und — wie es wohl auch beim Original der Fall war — kräftig in Farbe gesetzt. Der Zuschauerraum enthält 2 Ränge, die— stufenweise vorspringend — trotz ihrer großen Ausladungen jeder sichtbaren Stütze entbehren, und umfaßt 800 Sitzplätze sowie 350 Stehplätze. In diesem ersten Jahrzehnt seines Bestehens (1903—13) hat das Volkstheater nicht weniger als 330 Klassikeraufführungen gegeben, darunter Schiller 178mals Goethe 74mal, Shakespeare 18mal. Von neueren Autoren gab man Ibsen 71mal, Hauptmann 33mal, Sudermann 128mal. Den größten Kassenerfolg unter allen klassischen und nichtklassischen Stücken hatte „Parkettsitz. Nr. 10“, das 159mal gegeben wurde — auch „ein Zeichen der Zeit“! [SB 05, 33; JD im M. Tagblatt 12. 1. 13].