Münchner Sagen & Geschichten

Joseph Frauenhofer. 1801

Mayer - Münchner Stadtbuch (1868)


Gedenktafel - Joseph FrauenhoferAm 21. Juli 1801 trug sich in München ein großes Unglück zu.

Wir geben hierüber unsern freundlichen Lesern einen Auszug aus dem Berichte, welchen der damalige kurfürstliche Polizeidirektor Baumgartner in der „Münchener Polizei-Uebersicht vom Jahre 1805" veröffentlichte.

Im Monate Juli 1801 sollten an den beiden Hausern des Kaufmannes Pilon und des anstoßenden Melkers im Thiereckgäßchen schadhafte Mauern ausgewechselt werden. Obgleich sich bereits am Morgen des 21. Juli an diesen beiden Häusern kleine Mauerrisse zeigten, welche sich zusehends erweiterten, so dachte man so wenig an ein nahe bevorstehendes Unglück, daß weder die nöthigen Vorsichtsmaßregeln durch Stützung der Gebäude getroffen wurden, noch die Einwohner derselben, zweiundvierzig an der Zahl, ihre Wohnungen verließen.

Da stürzten plötzlich an diesem Tage um ein Uhr Nachmittags diese beiden Häuser unter fürchterlichem Gekrache 

theilweise zusammen. Nur einem ausserordentlich glücklichen Zufalle ist es zuzuschreiben, daß unter so vielen Personen nur vier mit einsanken. Von diesen kam ein Mädchen der Hebamme Gaulrapp vom dritten Stocke so glücklich auf den Schutt herab, daß es, ohne die geringste Beschädigung erlitten zu haben, sogleich davonlaufen konnte, und der Spiegelmacher Philipp Weichselberger, welchem es gelang, sich unter einem Thürstocke festzuhalten, wurde, obgleich mit einigen Beschädigungen am Oberleibe, durch zwei Pflasterergesellen glücklich herausgebracht.

Desto unglücklicher aber erging es dessen Ehegattin und seinem Lehrjungen Josef Fraunhofer; beide waren unter dem eingestürzten Hause verschüttet.

Eine Menge Menschen waren herbei gekommen, um Hilfe zu bringen; auf erhaltene Nachricht begab sich auch sogleich der Kurfürst Maximilian Josef an Ort und Stelle.

Während noch die Menge, gelähmt vom ersten Schrecken, auf die Unglücksstätte hinstarrte, hörte man auf einmal aus dem Schutte heraus eine um Hilfe rufende Menschenstimme. Nach langen vergeblichen Nachforschungen gelang es dem Pflasterermeister Zischl und den beiden bürgerlichen Zimmerpalieren Josef und Mathias Fruhholz zu entdecken, daß die Menschenstimme unter einem Stubenboden hervorkomme, der mit einer Seite an die Wand des stehen gebliebenen Hauses sich festgestellt, mit der andern aber sich tief in den Schutt eingegraben hatte, und dessen Zwischenraum bis zur Seite des halb eingestürzten Hauses gleichfalls mit Schutt ausgefüllt war.

Der Kurfürst eiferte unter Zusage großer Belohnung 

an, den Unglüeklichen zu retten. Aber die Sache war schwierig, denn man durfte weder von unten noch von oben den Schutt wegräumen, wollte man nicht die darunter begrabene Person ersticken. Die Hilfe wurde daher auf eine andere Weise, und zwar mit glücklichem Erfolge versucht. Der Proviantbäckermeister Zenger, Hofbauamtspalier Jakob Harrer, Ministrant Sebastian Mader, der Bediente Josef Schock, die Zimmerleute Kaspar und Martin Ziegler, Alois Huber, Felix Mayer und Johann Niggl, dann der Zeughaus-Büchsenmacher Paul Günzer, sowie der General-Landesdirektions-Bote Hainz und der Kellerofsiziant Stimpich begaben sich in das halb abgerissene Zimmer des stehen gebliebenen Hauses, und räumten zwischen dem Hause und dem wie ein Dach herabhängenden Stubenboden mit großer Lebensgefahr den Schutt weg, bis sie an die Bodenbretter selbst gelangten, worauf die beiden Fruhholz mit seinen Instrumenten kleine Stücke von einem Brette heraussägten. Nun erfuhr man erst, daß es der Lehrjunge Josef Fraunhofer sei, der noch lebe, und zuerst einen Finger, darauf die Hand und endlich einen Arm herausstreckte. Man steckte ihm sofort Tücher zu, die mit Wasser und Essig eingefeuchtet waren, um ihn zu laben, und brachte ihn endlich nach vierstündiger, rastloser und lebensgefährlicher Arbeit, ohne daß er irgendwie Schaden genommen, wieder ans Tageslicht herauf.

Kurfürst Maximilian Josef, welcher während der Arbeit unten an den gefährlichsten Plätzen sich aufgehalten, begab sich selbst in das halb abgerissene Zimmer im ersten Stockwerke, um die Arbeiter zu ermuntern, und sah mit sichtbarer Rührung, wie der arme Knabe den Arm aus 

der Spalte herausstreckte. Der Kurfürst sendete Tags darauf eine sehr namhafte Summe zur Vertheilung unter diejenigen, welche sich bei der Rettung des Knaben verdient gemacht hatten.

Von der verunglückten Spiegelmachersfrau war während der Zeit, als man den Knaben losarbeitete, kein Laut zu hören, und da nach der Rettung desselben bereits die Nacht hereinbrach, überdieß noch ein Kamin eingeworfen werden mußte, und die benachbarten alten Häuser einzustürzen drohten, konnte man nicht das Leben von ein Dutzend oder mehr Arbeitern in Gefahr setzen, um eine Leiche herauszuziehen.

Nachdem man Tags darauf die anstossenden Häuser gestützt hatte, begann man sie abzutragen. Nun erst konnte man anfangen, den Schutt wegzuräumen, und am 29. Juli fand man den Leichnam der Spiegelmachersfrau, der bereits stark in Fäulniß übergegangen war. Derselbe lag fünf Fuß tiefer als Josef Fraunhofer, mit dem Kopfe gegen das Sporergäßchen zu, und mit dem Gesichte auf dem Tischbrette liegend. Drei Balken, welche auf ihr lagen, mußten durchgesägt werden, ehe man zu ihr gelangen konnte. Dieselben hatten sie im Fallen dergestalt auf das Tischbrett geschlagen, daß nach dem Zeugnisse des herbeigerufenen Wundarztes Braun das Gesicht selbst platt wie ein Zinnteller gequetscht, die Schädelknochen vom rechten Seitenwandbein bis über das Stirnbein herüber zerschmettert und das rechte Schenkelbein, dann der linke Oberarm gleichfalls gebrochen gefunden wurden.

Josef Fraunhofer, auf desten Gesundheit der erlittene Unfall nicht den geringsten nachtheiligen Einfluß ausgeübt 

hatte, wurde darauf in Nymphenburg dem Kurfürsten und seiner Gemahlin vorgestellt, von denselben mit 18 Dukaten beschenkt, und ihm die Zusicherung gegeben, daß der Kurfürst für sein ferneres Fortkommen Sorge tragen wolle.

Josef Fraunhofer beendigte später, seine Lehrzeit und arbeitete im Jahre 1805, als Polizeidirektor Baumgartner seinen Bericht veröffentlichte, noch bei Weichselberger als Geselle. Schon während seiner Lehrzeit beschäftigte er sich, des Verbotes seines Lehrmeisters ungeachtet, heimlich mit dem Studium der Optik, und hatte sich von dem vom Kurfürsten erhaltenen Geschenke eine Glasschneide und eine Glasschleifmaschine, angekauft. Der Geheimrath Utzschneider, der das Talent des jungen Menschen (Fraunhofer war am 6. März 1787 zu Straubing geboren) zu würdigen verstand, nahm sich seiner an, und stellte ihn in seiner optischen Werkstätte im Kloster Benediktbeuern an. Von nun an beginnt sein großartiges Wirken und sein Ruhm, mit dem er die Welt erfüllte. Es ist nicht Zweck dieser Blätter, näher in seine berühmten Leistungen und wichtigen Entdeckungen einzugehen; wir erwähnen nur den für die Sternwarte zu Dorpat verfertigten Riesenrefraktor, der im Durchmesser 200—500, und im Flächeninhalte 40,000—422,500 mal vergrößert. Nachdem er im Jahre 1823 zum Conservator des physikalischen Kabinetes der k. Akademie zu München ernannt war, starb er leider schon am 7. Juni 1826 und erhielt seine Grabstätte an der Seite des wenige Tage vor ihm verstorbenen Reichenbach. Sein Monument zieren als Inschrift die bedeutsamen Worte: „Approximavit sidera" (er hat die Gestirne uns näher gebracht).


 Frauenhofer Joseph
 Sehenswürdigkeit

Stadtmodell von Sandtner