Münchner Sagen & Geschichten

Der Stadt München Kriegswesen und Fehden

Mayer - Münchner Stadtbuch (1868)


Im Mittelalter kannte man noch nicht die stehenden Heere, welche erst in viel späterer Zeit die Hauptstärke und Macht der Fürsten ausmachten, nachdem sich das Prinzip der Souveränität ausgebildet hatte. Die Fürsten der damaligen Zeit, durch ungemessenen häuslichen und Öffentlichen Aufwand entkräftet, in schwere Schulden gerathen, und dadurch ohne hinreichende Kraft im Inneren des Landes, waren nicht einmal im Stande, die kostspielige Ausrüstung und Verpflegung der Landsknechte regelmäßig zu bestreiten, auf deren Treue sie sich überdieß nur wenig verlassen durften. Dieselben dienten dem, der den meisten Sold zahlte, und gingen daher nicht selten von einer Partei zu andern über, und wurden im Frieden durch Raub und Zügellosigkeit dem eigenen Lande oft noch gefährlicher als im Kriege.

Hingegen aber waren die Städte durch die Mannhaftigkeit ihrer Bürger, durch Handel und Reichthum, sowie durch ihre Freiheit unaufhaltsam emporgestiegen; das öffentliche Leben hatte sich in diesen Städten glänzend 

Ausgebildet, und ihre Bürger waren zugleich durch ihren fortwährenden Kampf mit dem Adel, der sie um ihre Größe und ihre Unabhängigkeit beneidete, Kriegerisch geworden. In diesem fast zweihundert Jahre dauernden kleinen Kriege zum Schirme und Schutze ihrer selbst und der Ihrigen, gelangten sie zu einer Ausrüstung, zu einer steten Kriegsbereitschaft, und zu einer Tapferkeit, in der sie an Ruhm selbst der stolzen Ritterschaft nicht wichen.

Die Fürsten aber, machtlos, waren eben dadurch gezwungen, nicht nur den Bürgern der Städte zu gestatten, sich selbst zu schirmen, sondern auch deren Gerechtsame und Freiheiten fortwährend zu erweiter, wogegen sie dann in ihren Kriegen die bewaffnete Hilfe der Städte in Anspruch nahmen.

So auch in München.

Die Bürger waren nach den vier Vierteln der Stadt in vier Abtheilungen eingetheilt, über deren jegliche ein Hauptmann gesetzt war. Diese Stadtmiliz bestand sowohl aus Fußvolk als aus Reiterei; ein Hauptbestandtheil waren aber die Armbrustschützen. Die Armbrust mit Stahlbogen und Bolzen waren bereits seit dem elften Jahrhundert die wichtigste Waffe des Fußvolkes, und war als mörderische und heimtückischw Waffe so gefürchtet, daß sogar das zweite lateranensische Coneilium unter Pabst Innocenz II. im Jahre 1139 ein Interdikt gegen den Gebrauch derselbern erließ. In dieser Waffe nun wurde zu Friedenszeiten die Mannschaft fleißig eingeübt. Schon im vierzehnten Jahrhundert bestand eine Scißstätte vor dem Angerthore an dem Platze, wo jetzt der Pechgarten sich befindet; im Jahre 1401 wurde aber eine neue „Zielstatt“ vor dem Neuhauserthore rechts gegen die Dachauerstraße erbaut. Weitere Zielstätten kommen in den Jahren 1411 und 1437 bei der neuen Veste und an der Kreuzgasse (dem heutigen Promenadeplatz) vor. Die Aubung der Armbrustschießens wurde auf jede Weise befördert; Knaben mit zehn Jahren mußten schon den Gebrauch dieser Waffe lernen, und die jungen Bürger sich forwährend darin vervollkommnen. Als vorzügliches Aneiferungsmittel hiezu wruden Schützenfeste gehalten. Schon um das Jahr 1300 entstehen in den Städten die Genossenschaften der Schützen mit einer Ordnung, und es finden von nun an in ganz Deutschland beinahe jährlich Freischießen statt. Diese wurden mit allem Glanze veranstaltet, und nahmhaft Preise, „Abenteuer“ genannt, ausgesetzt, daher von nah und fern Schützen mit Armbrust und wohl auch schon mit Büchse zahlreich zu diesen Festen zogen. Im Jahre 1431 war ein großes Armbrustschießen auf der Zielstatt in Haidhausen, wobei das Beste in zwei Ochsen und Kleioden bestand, „aber die von München thaten das Beste“, ist in der Rechnung beigefügt. Im Jahre 1467 war in München wider ein großes 

Armbrustschießen, welches wohl zu den bedeutendsten der damaligen Zeit gehörte. Es begann am Pfingstmondtage und dauerte bis zum Fronleichnamsfeste; zwölf Fürsten und Grafen und drei und fünfzig Städte waren dabei durch ihre Abgesandten vertreten. Dieses Festschießen wurde vor dem Angerthore gehalten, allwo Zelte und Buden aufgeschlagen waren. Den ersten Preis gewann Erhard Schnitzer von Geislingen; er bestand aus einem goldenen Kopffschmucke im Werthe von Fünfzig Gulden; den zweiten Lutz von Freiberg, ebenfalls ein goldener „Kopf“ im Werthe von Fünf und vierzig Gulden; - den dritten Lienhart Stemli von Zürich, gleichfalls ein solcher Kopfschmuck im Werthe von vierzig Gulden. Die drei zunächst folgenden Preise waren silberne Pokale; den einen im Werthe von 35 Gulden gewann Hauf von Ulm, den anderen in Werthe von 31 Gulden erhielt Hans Perendle von Lauingen, und den sechsten im Werthe  von 28 Gulden Ludwig Schopper von Biberach. Außer diesen wurden noch sechzehn Preise vertheilt, und als Weitpreis ein goldener Ring, den gewann Hans Plank von Kaltennordheim, Schütze des Grafen  Heinrich von Henneberg.

Der Magistrat München ließ aber auch seine Schützen oftmals nach anderen Städten zu solchen öffentlichen Schießen reisen, und bestritt hiezu nicht nur die Reisekosten der Schützen, sondern ließ ihnen noch dazu besondere Geschenke aus der Stadtkammer geben, auf daß sie ein „Kleinod gewinnen möchten der Stadt zu Ehren, daß man sehe, daß wir auch gute Schützen haben, und daß andere junge Gesellen sich desto eher das Schießens annehmen, damit wir bei der Stadt gute Schützen haben,“ 

heißt es in der Kammerrechnung. So reiseten die Münchner Schützen namentlich 1392 nach Augsburg, wo am Rosenauberge bei neunhundert Schützen sich einfanden, 1410 nach Aichach, 1414, 1416 und 1425 nach Augsburtg, 1415 nach Landsberg, 1420 nach Dießen, 1426 nach Landshut, 1432 und 1437 nach Straubing, 1433 nach Nürberg, 1437 nach Freising. Die Schützen von München zeichneten sich hiebei vortheilhaft aus; der Söldner Kammer gewann 1420 zu Dießen eine Armbrust, welche ihm der Magistrat abkaufte; vier Schützen von München, welche 1426 der Stadt zu Ehren nach Landshut geschickt wurde, gewannen dort das „Kleinod“, nämlich eine silberen Schale und ein Tuch von Aachen; sie hatten sich so sehr durch ihre Geschicklichkeit hervorgethan, daß die von Landshut nicht mehr mit ihnen schießen wollten. Es hat sich in München folgendes Ladschreiben als das Älteste erhalten, welches wir hier einrücken, da es dem freundliche Leser nicht ohne Interesse sein wird:

„Den ehrbaren und weisen dem Schützenmeistern und allen Schießgesellen der Stadt München. Unsern willigen Dienst wißt vor liebe Herrn und Freude. Wie lassen euch wissen um die Abenteuer, die wir zu uns gebracht mit Schießen von euerer Stadt zu München nach Gewohnheit der Stadt, die sie ausgegeben hat, nach derselben Gewohnheit wie dieselben Abenteuer ausgerufen und ausgesetzt haben darum zu schießen an dem nächsten Sonntag nach St. Johannestag zu Sonnenwende. Es sind die Abenteuer ein würdiger Widder, ein paar Hosen, eine rothe Haube, daran hangen vier silberne Schilde, ein 

Reisspitz, eine Armbrust, ein Schießzeug, ein Schwert, und unsere Besserung nach Ehren. Welche Armbrust die Abenteuer gewinnt, der hat einen silbernen Ring voraus, darum liebe Herrn, Freunde und Gesellen bitten wir euch mit allem Fleiß, daß ihr auf ehgenannten Sonntag bei uns zu Kelheim seid und bei allen Schießgesellen, die wir auch dazu geladen haben. Versiegelt mit der Stadt Kelheim geheimen Insiegel. Datum am heiligen Pfingsttag 1404. Von uns Jörgen Schützenmeister und allen Schießgesellen der Stadt zu Kelheim“.

Der Gebrauch der Armbrust als vorzugsweisen Waffen dauerte bis zum Anfange des sechzehnten Jahrhunderts; von da an wird sie im Kriege, und sogar auf der Jagd, durch das Feuerrohr verdrängt. Aber nicht bols die Bürger hielten solche Festschießen, um sich in den Waffen zu üben, und ihre Geschicklichkeit öffentlich zu zeigen; auch die Patrizier der Stadt München hatten zu gleichem Zwecke ihre Festkämpfe, die Turniere, welche auf dem Marktplatze gehalten wurden. Denn der Riter, die Schußwaffe als unritterlich verschmähend, kämpfte hoch sitzend auf seinem Streitrosse, die Ritterrüstung, die alte Lanze und das Schlachtschwert führend. Bei einem solchen Turniere zu München im Jahre 1398 kämpfte der Ritter Gewolf mit dem Heinrich Sendlinger, 1399 thaten die von Ingolstadt mit dem Rindsmaul eine Fahrt zu einem Turniert nach München, und zu einem großen Turniere im Jahre 1404 kamen die von Augsburg, Ulm, Memmingen, Landshut, Erding und Amberg nach München, welchen allen der Magistrat den Ehrentrunk reichte, und  

nach dem Kampf einen Tanz auf dem Rathhause veranstaltete.

Nachdem auf diese Weise die Bürgerschaft stets kampffähig und Kriegsbereit gehalten wurde, war auch für den nöthigen Waffenvorrath bestens gesorgt.

Im Jahre 1410 kaufte der Magistrat am Neumarkte, da wo jetzt die Gebäude Nr. 1 und 2 stehen, mehrere Häuser zum Baue der Hauses „zu der Stadt Rossen und Wagen, auch darein zu legen der Stadt Zeug und lange Hölzer, auch Büchsen und was die Stadt Zeug hat.“ Dieses Gebäude ist das gegenwärtige Stadthaus. Aber bald war dasselbe unzureichend, und es wurde im Jahre 1431 ein neues Zeughaus erbaut, jenes, welches noch heute als solcher am Anger neben dem Stadthause besteht. In demselben wurden die Büchsen, d. h. die Kanonen und andere Geschosse aufbewahrt. Das schwere Geschütz war damals an Kaliber, Länge und Namen sehr mannigfaltig; es gab schafte Metzten, Karhaunen, Falkaunen, Falkonete, Rothschlangen, Feldschlangen, Scharfentin, u. dergl., das Kanliber war in jener Zeit höchst bedeutend,eine große und lange Kanone, von Hans dem Orgelmeister 1425 gegossen, wog 43 Zentner 33 Pfund; eine kleiner, die Schermbüchse, wog 7 Zentner 21 Pfund; eine große Büchse, die „Stachlerin“ genannt, schoß 31/2 Zentner schwere Kugeln, eine andere, der „Bocker“ genannt, schoß Kugel zu 2 Zentnern und drei andere Büchsen Kugel zu 25 Pfund. Der „Stadt Armbrust“ war in diesem Büchsenhause nicht aufbewahrt, sondern befand sich in dem Tömlinger- oder Wilbrechgs-Thurme in der Dienersgasse, und war dazu 

ein eigener Schnitzer zur Verfestigung der Pfeile besoldet. Das Pulver wurde in einem eigenen Pulverthurme aufbewahrt. Die Stadt besaß ausser den Kanonen in dieser Zeit zahlreiches Kriegsgerät aller Art; eine Aufschreibung führt an 400 Tarrasbüchsen, Schermbüchsen, Steinbüchsen, Hackenbüchsen,123 Armbrust,11,000 Pfeile, 6 Eimer Pulver, 16 Eimer Schwefel, 23 Zentner Galiter, 12 Zentner Blei und Kugeln, Büchsensteine ohne Zahl, 600 Fußeisen oder Fußangeln, welche bei dem Anrücken Werke, womit man Steine über und gegen die Festungsmauern warf, und viele andere ähnliche Dinge.  Die Artillerie der Münchener Bürger war so beträchlich, daß bei dem Ausrücken derselben im Jahre 1421 zur Fortschaffung des Zeuges 150 Pferde erforderlich waren.

Bei einer so tüchtigen Wehrverfassung konnten die bayerischen Fürsten in ihren Kriegen mit Recht auf die Stärke und Tapferkeit der Münchener Bürger zählen und in der That zeichneten sich dieselben in allen Kämpfen aus. Schon unter Kaiser Ludwig hatten sie sich in der Schlacht von Gammelsdorf am 9. November 1313 gegen die Oesterreicher und den niederbayerischen Adel, dann später in der Kaiserschlacht bei Ampfing am 28. September 1322 mit hohem Ruhme bedeckt. Als die Herzoge Ernst und Wilhelm im Jahre 1410 Tirol wieder zu erobern suchten, nahmen die Bürger an diesem Kriegszuge den lebhaftesten Antheil; nicht nur hatte der Stadtrath den Herzogen zu diesem Kriege das Geld vorgeschossen, 

sondern es zog auch  ein Viertheil der Bürgerwehr unter Anführung des Hauptmannes Heinrich Barth, unter welchem auch der Schützenmeister Hans Tömlinger und Alrich der Büchsenmeister mit zwei Kanonen standen, mit in das Feld. Auf diesem Kriegszuge gab ihnen der Magistrat alle Bedürfnisse mit, als Wein, Korn, Brod, Futter, Safran, Pfeffer, Ingwer, Wachs, Schmal, Unschlitt, Erbsen, Gerste, Kraut, Käse, Sals, Essig, Pfannen, Kessel, Zuber, Banzen, Schapfen, Mehl, Zwiebel, Tisch- und Handtücher und anderes Geräthe, welches alles dem Münchener Heere auf Heerwagen, die mit gemalten Schilden und Fahnen geziert waren, mitgeführt wurden. Die belagerten die festen Schlösser Matzen, Freundsberg und Tratzberg in Tirol; nur der am Himmelfahrtstage abgeschlossene Waffenstillstand verhinderte ihre siegreichen Erfolge.

Die größte Kriegerische Thätigkeit entfalteten die Münchener Bürger in den langjährigen Kämpfen gegen Herzog Ludwig den Gebarteten. Es galt, die oberbayrischen Lande und die Umgebung von den Mord- und Brandzügen dieses Herzoges zu reinigen und seine festen Plätze zu zerstören. Der Münchener Hauptmann Hans Barth zog von Landshut, - der Patrizier Rudolf von Aibling, Hauptmann Wilbrecht nach Riedenburg an der Altmühl, Hauptmann Bartlmä Schrenk mit dem Büchsenmeister Danz vor das feste Schloß Schwaben, welches aber, als es die Münchener mit ihren Kanonen und Kriegsmaschinen hart bedrängten, sich ergab und hierauf von den Münchener Armbrustschützen besetzt wurde. Der Patrizier Ludwig Riedler berannte mit einer Abtheilung der 

Münchener Bürger die festen Schlösser an der Glon, andere Abtheilungen zogen vor die Festen Ranhofen an der Maisach und Bayerbrun an der Isar, und eroberten sie. –

Im Anfange des Jahres 1422 zog Herzog Wilhelm selbst persönlich mit den Münchnern vor Friedberg. Die Hauptleute Lorenz Schrenk, Franz Dichtel, Hans Barth und Hans Pütrich befehligten das ansehnliche Heer der Münchener, welche ihre große Büchse, die „Stachlerin“ mit sich führten. Vom Münchner Magistrate wurde der Arzt Rarziß Trömmlinger mitgegeben, um den Verwundeten eizustehen. Auf ausdrückliches Verlangen schickte ihnen der Rath von München eine stadtische Sturmfahne „mit dem München, daß sie desto lieber anlaufen möchten.“ Da liefen nun die Söldner und eine Menge Volk von München nach Friedberg. Der Sturm begann, und die Veste ward genommen um Jakobie 1422. Ein Knecht Martin am Anger hatte sich dabei besonders ausgezeichnet, weil er von den Mauern Friedbergs eine Kriegsmaschine, „den langen Schwänkel der Tuifelszagl“, herabgestürzt hatte, weshalb er vom Rathe der Stadt München eine besondere Belohnung erhielt.

Die im Herbste desselben Jahres darauffolgende für die Münchener Bürger so ruhmvolle zweitägige Schlacht die Alling werden wir in einem späteren Abschnitt erzählen.

Die Führung solcher Kriege, wenn sie auch nur kurz dauerten, war damals mit ungeheueren Schwierigkeiten und Hindernissen verbunden. Die Landstrassen, auf denen sich das Heer bewegte, waren schlecht, ja oft grundlos; die Verpflegung der Mannschaft und der Pferde war 

ungeordnet und daher größtentheils höchst elend, aller Lebens- und sonstigen Bedürfnisse mußten von München aus in oft weit entfernte Gegenden auf Wagen beschwerlich mitgeführt werden, die Zufuhr war unregelmäßig, und die Erhaltung eines auch noch so kleinen Heeres hatte immer die Ausplünderung der ganzen Gegend, wo es stand, im Gefolge, so daß auch die fruchtbarsten Landschaften in kurzer Zeit völlig ausgezehrt und verheert waren.

Aber nicht diese größeren Kriege ihrer Herzoge waren es allein, welche die Münchener Bürger damals häufig beschäftigten; zunächst waren es in jenen Zeiten die kleineren Fehden, wodurch die Münchener in einen fortwährenden Kriegszustand und in immerwährende Unruhe versetzt wurden. Es geschah nämlich oftmals, daß Münchener Patrizier mit auswärtigen Adelichen in Differenzen geriethen, die jederzeit sogleich in gegenseitige Gewaltthätigkeiten durch Wegelagern, Rauben, Plündern und Brennen oder in Gefangennahme und Hinwegführung von Angehörigen ausarteten. Die meisten Fehden aber entstanden wegen Schuldforderungen, welche auswärtige Ritter an die Herzoge zu machen hatten, wobei aber Letztere bei ihren beschränkten Einkünften sogleich Zahlung zu leisten nicht vermochten. In den Archiven der Stadt München sind noch viele Briefe jener Ritter vorhanden, in welchen sie den Magistrat baten, mit den Herzogen zu reden und sie zu bewegen, daß sie ihre Schulden bezahlen und sie unklaghaft machen möchten; für den Fall, daß dieses nicht geschehen würde, ist fast immer die Drohung der Befehdung der Stadt beigefügt. Die Ritter richteten auch wirklich ihre Feindseligkeiten immer sogleich gegen die Stadt München, weil hier die Herzoge wohnten, und weil sie aus der Stadtsteuer befriediget sein wollten, welche München den Herzogen jährlich bezahlten. Ueberdieß wurde von dem Adel eifrig eine Veranlassung zu solchen Zwisten gesucht, denn der Groll, welchen die im Untergange begriffene Ritterschaft gegen die aufnehmende Macht der Städte und den Reichthum und den Stolz ihrer Bürger empfand, war zu reizend und zu verlockend, und das Ritterthum war längst in wildes und wüstes Raubritterwesen ausgeartet. Auf diese Weise erhielt die Stadt München fortwährend eine Menge Absagebriefe oder Kriegserklärungen; so entsagte der Stadt im Jahre 1404 der Steuerer, der Rindsmaul un der Frauenberger, 1406 der Wildeck, 1409 der Schittenberger, 1410 Peter von Harlach, 1412 der Schenk von Geiern, Hans Warter, Weinmann der Egkler und die Mandorfer, 1414 der von Oetting und Arnold von Seckendorf, 1415 der Kölbel , Auer, Rothast und Egkler, 1416 Gebhard von Kammer auf dem alten Berg, 1420 der Ruckhofer, 1424 Ott Eisenhofer, Wilhelm Hoder und der Zenger, 1428 der Egkler, Torrer, Kalkfleisch, Winsberg, Rückkhofer, 1432 der Wildenholzer, 1433 der Ranninger, und so fort viele andere. Jeder Abfagebrief, den die Stadterhielt, mußte die gerechtesten Besorgnisse erregen, und nahm zur Abwendung der Uebel die größte Aufmerksamkeit des Magistrates sowohl als auch der Bürgerschaft in Anspruch. Da die ersten Feindseligkeiten gewöhnlich darin bestanden, daß die Ritter den in Geschäften verreiseten Bürgern auflauerten, um sie unterwegs zu berauben oder gefangen zu nehmen, so mußten vor Allem Boten an sie agbeschickt werden, um sie zu warnen. Der Magistrat schickte im Jahre 1401 solche Boten nach Ingolstadt „zu unseren Mitbürgern, die daselbst in der Dult waren, daß sie sich besorgten, daß sie mit Lieb wieder herheim kämen“ heißt es in der Rechnung der Stadtkammer, welche die Kosten dieser Botengänge tragen mußte. „Ebenso schickte Magistrat 1410 drei Boten nach Haag, Wasserburg, Kirchdorf, Kreuz und Miesbach, um die Bürger von München dort zu warnen vor dem Peter von Harlach, der die Stadt zu dieser Zeit angriff; 1411 wurden soche Boten nach Würzburg und 1418 nach Trient geschickt, 1424 nach Frankfurt, woselbst mehrere Bürger von München wegen der Herbstmessen eben dort verweilten, da der Marschalk von Pappenheim der Stadt München abgesagt hatte; ebenso wurde im Jahre 1431 eine Bote nach Venedig zu Ludwig dem Ridler gesandt, „da man ihn warnte vor der Rauberei auf der Isar,“ und 1427 nach Wien, um die Bürger von München, die dort waren und Wein kauften, ihrer wohl dreißig, „zu warnen vor dem Zenger, der sie meint zu fangen, und dem Rückhofer.“ Unter solchen höchst unsicheren Verhältnissen mußte der Magistrat die Bürger der Stadt, wenn sie auch nur die nächsten Märkte zu Aibling, Ebersberg, Wasserburg, Landshut bezogen, von Abtheilungen der Bürgermilitärs begleiten lassen, oder ihnen von Anderen sicheres Geleit erwirken; so schrieb Friedrich Reithersheimer, Pfleger zu Schwaben, im Jahre 1413 an den Magistrat, er wolle nächsten Mittwoch früh zu Zorneding auf die Bürger von München warten und sie mit 

den Seinen treulich begleiten bis an den Stein, wie es von Alters Herkommen ist. In der Stadtkammerrechnung vom Jahre 1422 kommt eine „Ehrung“ für die Kanzler vor wegen zwei Briefen, die sie von der Herrschaft wegen und der Stadt zu Liebe geschrieben haben an die Herrn von Görz und an den Herzog Friedrich von Oesterreich um Geleit für die Bürger von München nach Venedig und in das Gebirg hinein.

War man bei solchen Fehden für die Sicherheit der Stadt selbst in Sorge, so ließ der Magistrat bei herannahender Gefahr alle Thore der Stadt mit Wachen besetzen, die Wächter auf den Kirchthürmen vermehren, um das allenfallstige Herannahen der Feinde desto genauer zu beobachten und zu erspähen, und bewaffnete Wächter, „Tirker“ genannt, rings um die Stadt zirken, nämlich patroullieren. Die Bürger mußten zur Abwehrung eines Angriffes bereit sein, und nicht selten in entfernte Gegenden ausziehen, um die Feinde der Stadt aufzusuchen und zu bekämpfen.

Einer der gefährlichsten dieser Feinde war der Ritter Gebhard von Kammer zu Hohenkammer, Sein Vater, Arnold von Kammer, war einigen Bürgern von München Geld der Herzoge wegen schuldig geworden, und nach dessen Tode wollte sein Sohn über die Bezahlung der Schuld sich nicht einigen. Darüber kam es zur gegenseitigen Befehdung. Gebhard von Kammer besaß die Beste Schaumburg zwischen Murnau und Eschenloh. Bei der nun ausgebrochenen Fehde beschloß der Magistrat München, sich dieser Veste rasch zu bemächtigen, weil zu befürchten stand, daß von ihr aus die vorüberziehdende 

Landstrasse und die Floßfahrt auf der Loisach bedeutend beunruhiget werden möchten. Die Hauptleute Bartholomä Schrenk und Heinrich Barth wurden mit dem Vollzuge dieses Beschlusses betraut. Mit einer ansehnlichen Streitmacht, unter derselben alle Schützen und Söldner der Stadt, der Handwerkmeister Jakob, der Brückenmeister Konrad, dann die Zimerleute der Stadt mit acht Kanonen und anderen Kriegsmaschinen, zogen die Hauptleute im Jahre 1414 nach Murnau, von wo aus sie Schaumburg belagerten. Allein die Sache war nicht so leicht, - es wurde so hartnäckig gefochten, daß die Bürger von München sogar eine Kanone sammt den Seilen verloren, die man von der St. Peterskirche entlehnt hatte. Erst nach einer Belagerung von ellf Wochen gelang es, die Veste Schaumburg einzunehmen, worauf sie fogleich vom Grunde aus zerstört wurde. Dieses Unternehmen verursache der Stadtkammer eine Ausgabe von 211 Pfd. Pfenning. Also nach unsterem Gelde über viertausen Gulden.

Allein Gebhard von Kummer brütete wegen des Verlustes der Veste Schaumburg schwere Rache über München. Er sandte sogleich Mordbrenner aus, um die Stadt in Brand zu stecken. Der Magistrat aer ließ acht Wochen lang die Thore der Stadt wohl bewachen, und die Bürger zur Vorsicht und Wachsamkeit auffordern. Es brach wirklich bei den Augustinern Feuer aus, das aber glücklicherweise bald gelöscht wurde, Einer dieser Mordbrenner wurde in der Stadt gefangen, zweien andern Knechten des Gebhard von Kammers wurde nachgeritten und ihnen die Köpfe abgeschlagen.

Lange Zeit hielt sich Gebhard von Kammer ruhig; 

aber gegen Ende des Jahres 1417 vernahm man, daß er mit andern Feinden von Schwaben her in das Land einfallen wolle. Um dieses zu verhindern, zog Herzog Wilhelm mit einem Theile der Bürger von München an den Lech, Aber nun, im Jahre 1418, schickte der Kammer Mordbrenner nach München, und es gelang denselben dießmal leider, einen fürchterlichen Brand zu stiften, welcher beinahe das ganze Thal, das Heil. Geistspital, ds Rathhaus, die Graggenau, die hölzernen Gänge um die Stadtmauern und die Thürme verzehrte. Ein altes Weib welches aussagte, sie sei zu diesem Brande von Herzog Ludwig dem Gebareten und seinen Genossen, zu denen der von Kammer gehörte, gedungen worden, wurde aus der Stadt gejagt. Die Thore der Stadt aber ließ der Magistrat durch eigenen Thorhüter noch sieben und zwanzig Wochen lang bewachen, „von des von Kammer und er Brunft wegen“, wie es in der Stadtkammerrechnung heißt.

Eine andere Fehde war die des Ritters Ulrich Muracher zu Flügelsberg, gesessen zu Egersberg an der Altmühl. Wegen einer Forderung an die Herzoge Ernst und Wilhelm befehdete er im Jahre 1405 die Stadt München, ließ vier Bürger derselben gefangen nehmen und in die Veste Egersberg setzen. Die Schützen und die Artillerie von München zogen aber unter Anführer der Hauptleute hans Lappeck und Georg Holzhauser vor die Veste, eroberten sie, und kamen nach vierzehn Tagen wider siegreich nach München zurück, wo sie vom Magistrate zur Belohnung eine „Ehrung“ erhielten.

Der Rückhofer von Rückhofen bei Straubing war viele Jahre der Stadt München Feind „von der Herrschaft wegen.“ 

Im Jahre 1428 sagte er der Stadt wieder ab. Wie wir schon oben angeführt haben, sendete der Magistrat sogleich Boten nach Wien, um die eben daselbst befindlichen Münchener Bürger vor dem Rückhofer zu warnen, der an drei Orten auf sie lauerte. Ungeachtet dessen fiel dennoch einer derselben, Namens Eckler, in Rückhofers Hände. Da zog nun Ull Liebhart mit einer Anzahl Reiter von München aus. Unterhalb Vilshofen trafen sie Ihn; der Rückhofer ergriff die Flucht, „er band“, wie die Stadtkammerrechnung sich ausdrückt, „Hasenpfoten an“, aber die Liebhart rannte ihm nach und stach ihn vom Pferde. Der Magistrat schenkte dem Liebhart „für dieses ehrbare frische That“ drei und ein halbes Pfund Silber, denn er hatte dadurch eine gefährliche Fehde schnell beendiget.

Dieser Ulrich Liebhart zeichnete sich noch öfter im Dienste der Stadt aus. So heißt es in der Kammerrechnung vom Jahre 1412; „Mendorfer Reis. Item haben wir gegen von der Reis wegen, die man that auömlinger und seinen Schützen – item wir haben geben ein halber Pfund dem Liebhart und dem Söldnern, da sie den Pucher brachten, item 28 ungarische Gulden Jobst Rorbek unserm Richter für ein Pferd, das ihm erstochen ward, da man den Pucher sing, item Meister Hans dem Züchtiger, daß er gerichtet hat über Hans Pucher und seine Gesellen.“ Dieser Raubritter erlitt also sammt seinen Gesellen die Todesstrafe.

Eine andere für München sehr verderbliche Fehde war die mit dem Ritter Hartl Ranninger zu Ranning 

bei Straubing, der im Jahre 1433 der Stadt absagte „ von des Wildrechts wegen“ und ihr mit seinen vielen Helfern, Schalken und Buben großen Schaden zufügte. Der Magistrat sendete sogleich Boten ab, um die abwesenden Bürger u warnen. Der Ranninger aber schickte dagegen Mordbrenner nach München, welche baselbst eine furchtbare Feuersbrunst anstifteten. Sie brach am 1. Mai 1434 Mittags 11 Uhr in der Prandas- (jetzt Pranners-) Gasse aus, und verbreitete sich über die Prommenadestrasse und Platz in die weite Gasse, wo wie das Augustinerkloster und Kirche einäscherte, und von da in die Neuhauser- und Röhrenspecker- (jetzt Herzogspital-) Gasse. In den folgenden Jahren 1435 bis 1438 wurden aus Furcht vor den wiederholten Drohungen des Ranningers, die Stadt mit Brand zu verderben, vier Thürmer auf dem St. Petersthurme und viele Wächter unter den Stadtthoren gehalten, und das Wurzer- (Kost-) Thor blieb ganz geschlossen.

Ranninger aber fuhr fort, den Münchener Bürgern alles Uebel anzuthun, sie zu fangen und zu berauben. Erst im Jahre 1438 wurde die Stadt von diesen „Bösewicht“ befreit, indem Wilhelm von Rechberg ihn bei Mindelheim gefangen nahm und in Eisen und Banden legte. Dem von Rechberg bewies der Magistrat seine Dankbarkeit dafür dadurch, daß er ihm einen Jagdhund schenkte, um welchen eigens zu dem Patrizier Schluder nach Weilbach geschickt wurde; ein Beweis, wie hoch damals vorzügliche Hunde geschätzt wurden.

Diese sich immer wiederholdenden Fehden waren, wie wir sahen, in gemeine Räubereien ausgeartet, welche 

allenthalben in Deutschland die Städte auf das empfindlichste schädigten. Denn nicht nur wurden dadurch den Städten fortwährend große Kosten aufgebürdet, sondern der Bürger wurde auch, abgesehen von den ihm direkt zugegangenen Schäden, durch den beinahe unausgesetzten Waffendienst seinem bürgerlichen Gewerbe entzogen, und sein Wohlstand untergraben. Ungeachtet des von den Kaisern mehrmals ausgeschriebenen und gebotenen Landfriedens dauerte der Unfug des Faustrechtes doch noch immer fort. Es war daher nöthig, daß die Herzoge und die Städte zur Unterdrückung dieses Uebels kräftig zusammenwirkten. Im Jahre 1432 kamen deshalb Abgeordnete der Städte Augsburg, Nürnberg, Ulm, Regensburg, dann der Herzogs Heinrich von Landshut Räthe nach München, um Rathes zu werden, wie man diese Räubereien auf den Landstrassen abwenden könne. Die Stadt München wirkte zu diesem Zwecke kräftig mit; viele Raubritter, z.B. Wilhelm Auer, wurden eingefangen und zu München auf dem Marktplatze öffentlich enthauptet.

Dessen ungeachtet trieb dieses Unwesen noch lange fort. Erst nachdem gegen Ende dieses 15. Jahrhundertes die Souveränität der Fürsten gestärkt und ihr Einkommen gemehrt, dagegen aber die Macht des stolzen und unbändigen Adels niedergedrückt wurde; nachdem ferner die Vervollkommnung der Feuerwaffe eine vollständige Umänderung der Kriegswesens mit sich brachte, konnte die Fürsten sich selbst eine Militärmacht durch ein Heer von gedungenen Kriegsknechten schaffen. Die militärische Wichtigkeit der Bürger hatte dadurch freilich aufgehört, und die Wehrkraft und Kriegstüchtigkeit des ganzen deutschen Volkes den Todesstoß erhalten, es war bereits der Anfang der späteren stehenden Heere gegeben; - allein anderseits war der Bürger eben dadurch, daß er der militärischen Thätigkeit und der Zeit und Geld raubenden Kriegszüge enthoben war, seinem bürgerlichen Berufe und Erwerbe ungestört wieder gegen; er konnte diesem seine ganze Thätigkeit widmen, und diese Aenderung der Verhältnisse hatte daher auf den Wohlstand der Bürger, sowie auf die Ausbildung der Gewerke den wohlthätigsten Einfluß.


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