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Raff - So lang der alte Peter... (Seite 78)
Zu Ende des 18. Jahrhunderts lebte in München ein Advokat, ein verschlagener und hinterlistiger Mann. Er dachte auf nichts als wie er seinen Geldsack füllen könnte, auch wenn es dem Recht zu leid und dem Unrecht zu lieb geschah. Seine Klienten stachelte er zu unvernünftigem Prozessieren, so lange bis er ihnen den letzten Heller aus dem Beutel gezogen hatte und machte sich kein Gewisten daraus, durch rabulistische Kniffe arme Witwen und Waisen um ihr Recht und ihr bißchen Habe zu bringen. Mitten in seinem sündhaften Treiben aber traf ihn ein Schlagfluß, also daß er jählings von dieser Welt ab- scheiden mußte.
Die Seelnonne hatte den Leichnam hergerichtet, ihm zwei brennende Lichter zur Seiten und ein Kruzifix zu Häupten gestellt; so lag er in seinem Saal, ehrbar und prunkhaft aufgebahrt. Wie's Brauch ist, kamen Leute aus der Nachbarschaft, den Toten zu beschauen, ihm einen Weihbrunn zu geben und ein Vaterunser zu beten. Aber geweint hat niemand; im Gegenteil ward manches böse Wort über ihn laut, und die Mildgesinnten meinten: Gott möge seiner armen Seele gnädig sein. Mit einmal hörten die im Totenzimmer sowie das Volk, das gaffend ums Haus herumlungerte, etwas durch die Luft daherrauschen und sahen zwei großmächtige Raben an das geschlossene Fenster fliegen. Die pickten mit ihren starken Schnäbeln an die Scheiben, bis das Glas zerbrach und die Scherben klirrend auf den Boden fielen. Im selben Augenblick, zu Aller Staunen und Grauen, entflog dem Munde des Toten ein ebensolcher schwarzer Vogel, schwirrte zum Fenster hinaus und mit den beiden anderen davon. Im Totengemach aber waren Plötzlich die Lichter verlöscht und das Kruzifix umgestürzt; und gleich nachher ist der Leichnam des bösen Advokaten über und über schwarz geworden.