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»Ein Bild von einem Mann«

Ludwig II. von Bayern: Konstruktion und Rezeption eines Mythos

Titel »Ein Bild von einem Mann«
Untertitel Ludwig II. von Bayern: Konstruktion und Rezeption eines Mythos
Autor:in Sykora Katharina
Verlag Campus Verlag
Erscheinung 2008
Seiten 304
ISBN/B3Kat 359337479X
Regierungsbezirk Oberbayern

"Ein Bild von einem Mann" Ludwig II. von Bayern ist nicht nur eine signifikante Übergangsfigur moderner Herrschaft, sondern steht auch exemplarisch für eine bestimmte Krise von Männlichkeit im 19. Jahrhundert. Beide sind eng miteinander und mit ihrem Bildstatus verknüpft. Bekanntlich kristallisierten sich im ausgehenden 18. Jahrhundert mit der Erstarkung des Bürgertums Vorstellungen vom weiblichen und männlichen "Geschlechtscharakter" heraus, die essentialistisch gedacht sowie polar und asymmetrisch angelegt waren. Mit dem männlichen Geschlecht wurden aktive und rationale "Eigenschaften" wie Tat- und Willenskraft, Vernunft, Produktion sowie die verantwortliche Gestaltung des Gemeinwesens verknüpft, mit dem weiblichen passiv-emotionale "Wesensmerkmale" wie Bescheidenheit, Gefühl, Reproduktion und die verantwortliche Gestaltung der privaten, familiären Sphäre. Den getrennten sozialen Aufgabenbereichen wurden also Charakteristika unterlegt, die vorgeblich unhintergehbar am männlichen und weiblichen Geschlechtskörper hafteten, beide ausschließlich und komplementär aufeinander bezogen und die Prinzipien des Weiblichen dem Männlichen unterordneten. Die Ausdifferenzierung der "Geschlechtscharaktere" ging darüber hinaus mit einer geschlechtsspezifischen Teilung ihres Bildstatus einher. Weiblichkeit musste schön und liebreizend sein, kurz: ein Schmuckstück oder Bild, das angesehen und begehrt wird; Männlichkeit hingegen sollte Selbst/Beherrschung und Tatendrang zeigen, eine Erscheinung, die in der schmucklosen, gepanzerten Schale des bürgerlichen Anzugs im 19. Jahrhundert seinen Ausdruck fand und den Blick vom Mann ab- und auf die luxurierende Erscheinung der Frau umlenkte. Männlichkeit entzog sich so dem Status als Bild und nahm im Gegenzug exklusiv den aktiven Blick für sich in Anspruch, der die Frau und die Welt fixiert, klassifiziert und unterwirft. Dieses Konzept bürgerlicher Männlichkeit trat offensiv in Abgrenzung zu höfischen Formen von Männlichkeit auf. Ein negatives Gegenbild wurde errichtet, das es zu überwinden galt: das des absolutistischen Herrschers, der dem Gemeinwohl gegenüber indifferent war, in demonstrativer Prachtentfaltung lebte und unkontrolliert sexuelle Libertinage trieb. Im polaren bürgerlichen Denken wurden aus derart unbürgerlichen Verhaltensweisen Eigenschaften des Unmännlichen (vgl. Abb. 4 und 5). Da Ludwig II. eine Übergangsfigur war, in der sich Reste des traditionellen mit dem modernen Konzept vom Monarchen mischten, wurde im bürgerlichen Zeitalter auch sein Geschlecht suspekt. Aus seinem Habitus und seinen Handlungen ließ sich eine im bürgerlichen Sinn defizitäre Männlichkeit ableiten. Damit war das abwertende Signum der Effeminierung nicht fern. Auf die Seite des Weiblichen wurden geschlagen: Ludwigs luxurierende Schlösser, die ihn als schmucksüchtig charakterisierten; seine Inaktivität im politischen Handeln, die sich im Bild des jeder militärischer Tätigkeit abgeneigten Königs verdichtete; und seine nicht auf Frauen gerichtete, nicht in die dynastischen Familie mündende Sexualität, die durch das Begehren von Männern weiblich konnotiert wurde. Die Tatsache, dass Ludwig durch die massenhafte Verbreitung seiner Porträts potenziell jedem Blick zugänglich war und damit in den weiblich belegten Status des schönen Objekts geriet, machte seinen Geschlechtsstatus doppelt prekär. Denn bei genauer Betrachtung kompensieren die wenigsten seiner Bildnisse diese Ambivalenz. Ludwig ist selten in geharnischter, panzerartiger Uniform zu sehen, jener Variante militaristischer Selbstdarstellung, mit der etwa Kaiser Wilhelm II. im Bildnis und in der öffentlichen Pose seinen mehrdeutigen Bildstatus zu konterkarieren suchte.28 Ludwigs Uniformen sind weniger martialische Hülle, denn schmucker Anzug, etwa im Krönungsbildnis (vgl. Farbtafel I), wenn sie nicht gar wie im Gewand des Georgiritterordens seinen Körper im opulenten Luxus von Samt, Seide, Spitze und Hermelin umfließen, etwa in Pilotys Gouache von 1886/87 oder in Schachingers posthumem Monumentalgemälde (vgl. Farbtafel XIX). Die in der Jugend wie im Alter weichen Züge, die eher lässig elegante Haltung mit wenig ausladendem Stand- und Spielbein, die in ihrer Wohlgeformtheit akzentuierten Beine und nicht zuletzt die ondulierte Lockenpracht durchkreuzen in den Gemälden die Insignien der Uniform als Zeichen männlicher Selbst/Beherrschung. In den fotografischen Porträts kommen, wie Gerald Schröder und Rainer Herrn analysiert haben, Posen und Blicke hinzu, die schon den Zeitgenossen als effeminiert erschienen. In ihnen kleidet sich Ludwig zwar vorwiegend bürgerlich, doch macht sich umso mehr als Defizit bemerkbar, dass er sich ausschließlich allein porträtieren ließ und nicht wie etwa die englische Königin Victoria im Kreise ihrer Familie oder in trauter Zweisamkeit mit ihrem Gemahl Prinz Albert.29 Die einzigen Paardarstellungen stehen bei Ludwig vielmehr im Zeichen des Scheiterns jeglicher Beziehung zu anderen Menschen.[...]