Kunstgeschichte


Artemis von Gabii

Ereignis Artemis von Gabii
von/bis -347
Künstler
Nation Griechenland
Museum Louvre

Die Diana von Gabii ist eine Statue einer Frau in Gewändern, die wahrscheinlich die Göttin Artemis darstellt und traditionell dem Bildhauer Praxiteles zugeschrieben wird. Sie wurde Teil der Borghese-Sammlung und wird heute im Louvre unter der Inventarnummer Ma 529 aufbewahrt.

Geschichte

Die Statue wurde 1792 von Gavin Hamilton auf dem Anwesen des Fürsten Borghese in Gabii, nicht weit von Rom, entdeckt. Sie wurde sofort der Sammlung des Fürsten hinzugefügt. 1807, aufgrund finanzieller Schwierigkeiten, war der Fürst gezwungen, die Statue an Napoleon zu verkaufen, und sie wurde ab 1820 im Louvre ausgestellt.

Im 19. Jahrhundert erlangte die Statue große Beliebtheit; ein Gipsabguss wurde im Athenaeum Club in London platziert, eine Marmor-Kopie zählte zu den Kopien antiker Statuen, die zur Dekoration des zentralen Hofes des Louvre angefertigt wurden, und eine Nachbildung aus Gusseisen schmückte einen Brunnen im Dorf Grancey-le-Château-Neuvelle im Côte-d’Or. Darüber hinaus wurden verkleinerte Repliken aus Terrakotta oder Porzellan für Kunstliebhaber hergestellt und verkauft.

Die Statue stellt eine junge Frau dar, die etwas größer als lebensgroß ist und in Gewänder gehüllt dasteht. Das Gewicht ihres Körpers ruht auf dem rechten Bein, das durch einen Baumstumpf gestützt wird, während das linke Bein frei ist. Der linke Fuß ist nach hinten geworfen, die Ferse leicht angehoben und die Zehen nach außen gedreht.

Die Statue wird allgemein als Artemis, die jungfräuliche Göttin der Jagd und der Wildnis, identifiziert, basierend auf ihrer Kleidung. Sie trägt einen kurzen Chiton mit großen Ärmeln, der typisch für die Göttin ist. Der Chiton wird von zwei Gürteln gehalten: Einer ist sichtbar um ihre Taille, der andere ist verborgen und sorgt dafür, dass ein Teil des Stoffes gerafft ist, sodass der Chiton verkürzt wird und die Knie freilegt. Die Göttin wird in dem Moment dargestellt, in dem sie ihren Umhang befestigt: Ihre rechte Hand hält eine Fibel und hebt eine Falte ihres Gewandes an ihrer rechten Schulter, während ihre linke Hand eine weitere Stofffalte bis zur Brust hebt. Diese Bewegung lässt den Kragen des Chitons fallen, wodurch die linke Schulter freigelegt wird.

Der Kopf ist leicht nach rechts gedreht, aber die Göttin konzentriert sich nicht wirklich auf ihre Handlung. Stattdessen schaut sie ins Leere, wie es bei Statuen des zweiten Klassizismus üblich ist. Ihr fließendes Haar wird von einem Band zusammengehalten, das über ihrem Nacken gebunden ist, und ist in einem Knoten gebunden, der von einem zweiten, unsichtbaren Band gehalten wird.

Zuschreibung

Laut Pausanias schuf Praxiteles eine Statue der Artemis von Brauron für die Athener Akropolis. Tempelinventare aus den Jahren 347/6 v. Chr. erwähnen unter anderem eine „gewidmete Statue“, die als Darstellung der Göttin in einem Chitoniskos beschrieben wird. Es ist bekannt, dass der Kult der Artemis Brauronia die Weihe von Kleidungsstücken, die von Mädchen gestiftet wurden, umfasste.

Die Statue von Praxiteles wurde oft mit der Diana von Gabii in Verbindung gebracht: Die Göttin scheint dabei, das Geschenk ihrer Anhänger anzulegen. Außerdem ähnelt der Kopf dem der Aphrodite von Knidos und dem Apollo Sauroktonos, die ebenfalls Praxiteles zugeschrieben werden. Diese Identifizierung wurde jedoch in Frage gestellt. Erstens wurde nachgewiesen, dass die in Athen entdeckten Inventare Kopien derer aus dem Heiligtum von Brauron sind – es ist nicht sicher, dass der Kult in Athen auch die Widmung von Umhängen beinhaltete. Darüber hinaus ist der kurze Chiton für das 4. Jahrhundert v. Chr. anachronistisch und deutet stattdessen auf eine hellenistische Entstehungszeit hin. Eine neuere Hypothese verbindet die Statue der Artemis Brauronia von Praxiteles mit einem Kopf im Museum der Antiken Agora, bekannt als der Despinis-Kopf.

Trotz dieser Zweifel ist die Diana von Gabii von bemerkenswert hoher Qualität und entspricht eng dem, was allgemein als der praxitelische Stil gilt, weshalb einige Gelehrte weiterhin der Meinung sind, dass die Statue ein Werk von Praxiteles oder einem seiner Söhne ist.

Kein Bild

Geheim

Die Artemis von Gabii

Die Statue wurde 1792 in Gabii gefunden. Sie gelangte daraufhin in die Sammlung Borghese in Rom und mit dieser in den Louvre.

Ihre Höhe beträgt 1,60 m. Ergänzt sind an der Marmorstatue die Nase, ein Stück des linken Ohrs, die rechte Hand mit dem Handgelenk sowie die Fibel, der linke Ellenbogen, die linke Hand wie das von ihr gehaltene Mantelstück, der rechte Fuß, das rechte Bein bis zum Knie und der linke Fuß. Zudem ist die Skulptur geputzt und stark übergangen. Nicht unwesentlich wird der heutige Eindruck, den die Statue beim Betrachter hinterläßt, von der preziösen und grazilen Haltung der rechten Hand geprägt. Diese ergänzt die Statue ganz im Sinne des späten 18. Jh.

Die Statue im Louvre ist die am vollständigsten erhaltene Kopie eines sonst nur in wenigen weiteren Replikenfragmenten überlieferten Standbildes.

Sie stellt eine schmale, mädchenhafte Gestalt dar, die Jagdkleidung trägt: einen an den Schultern geknüpften, zweifach gerafften, nur knielangen Armel-chiton sowie einen Mantel. Das Jagdgewand ist in der Antike nur bestimmten weiblichen Figuren des Mythos, nämlich Artemis und den Amazonen, vorbehalten. Die mädchenhafte Bildung der Dargestellten, die bei einem Vergleich mit den berühmten Amazonenstatuen des 5. Jh.v.Chr. offensichtlich wird und auch die gewisse Schicklichkeitsgrenzen nicht überschreitende Gewanddrapierung - zumindest jeweils eine Brust der zuvor genannten Amazonen ist entblößt - läßt die Benennung unserer Statue als Artemis sicher erscheinen, obwohl weitere für die Göttin typische Attribute fehlen. In der Spannung zwischen der betonten Jugendlichkeit der mädchenhaften Gestalt und ihrem Auftreten als „amazonenhafte“ Jägerin wird eine gewisse Ambivalenz der Aussage dieses Götterbildes deutlich. Hierbei ist jedoch dem mädchenhaften Charakter der Göttin der Vorrang eingeräumt. Die Göttin wird beim Ab- bzw. Anlegen ihres Mantels gezeigt. Das Haltungsmotiv ist kompliziert. Während der erhobene und angewinkelte rechte Arm nach der Mantelschließe über der rechten Schulter greift, hält der linke, vor dem Körper angewinkelte Arm einen der Mantelzipfel vor die Brust. Der Bewegung der Rechten folgt die Wendung des Kopfes. Das ruhige, kontrapostische Standmotiv tritt zur komplizierten Bewegung der Arme und des Kopfes nicht in Konkurrenz.

Während die rechte Körperhälfte durch den Chitonsaum, den Überfall und die unterhalb der Brüste verlaufende Gürtung betont horizontal gegliedert ist, bildet der herabfallende Mantelsaum eine ausgleichende Vertikale. Die Haltung des linken Arms sowie der vor der linken Körperhälfte herabfallende Mantel schließen diese Körperseite ab und versperren so die linke Seitenansicht der Figur dem Blick des vor der Statue stehenden Betrachters. An der rechten Körperseite staffeln sich die Chitonfalten in den Raum und erschließen die Nebenseite. Sowohl die Geste des rechten Arms wie auch die Wendung des Kopfes bestätigen die Deutung der rechten als der „offenen“ Körperseite. Das der Hochklassik entlehnte Standmotiv stellt sich diesem Spiel zwischen „offener“ und „geschlossener“ Körperseite entgegen. Die sich gegen den Kontur staffelnden Falten des Chitons werden ähnlich wie an der gegen 370 v.Chr. entstandenen Eirene (Abguß Inv. 439 und 579) durch den Mantel „aufgefangen“ und die gesamte Figur in ähnlicher Weise „hinterfangen“. Die Seitenansichten der Figur zeigen eine relativ große Eigenständigkeit im Sinne der Hoch- und frühen Spätklassik; die Proportionierung ist noch nicht die der wohl nach 340 v.Chr. 

entstandenen Herkulanermnen (Abguß Inv. 361 und 495). Der Kopf läßt sich vor allem mit dem Praxiteles zugeschriebenen Schöpfungen, etwa der Artemis Dresden (Abguß Inv. 496), der Knidischen Aphrodite (Abguß Inv. Th 160) oder auch der Aphrodite von Arles (Abguß Inv. 458) verbinden. Eine Datierung des Urbildes der Statue um die Mitte des 4. Jh.v.Chr. ist damit recht sicher.

Daß es sich bei diesem Urbild um die in den vierziger Jahren des 4. Jh. entstandene Artemis Brauronia des Praxiteles handelt, wie vielfach behauptet wurde und wird, ist jedoch nicht nachzuweisen. In der Forschung wurde früher allgemein angenommen, daß das hier dargestellte Motiv des Gewandanlegens mit diesem Götterbild zu verbinden sei. Wie aus Inschriften hervorgeht, die sowohl im an der Ostküste Attikas gelegenen Brauron wie im Filialheiligtum auf der Akropolis in Athen gefunden wurden, weihten nämlich Frauen der Brauronia Kleider. Nach älterer Forschungsmeinung ist die mit der Brauronia zu identifizierende Artemis von Gabii beim Anlegen eines der ihr geweihten Gewänder dargestellt.

Eine weitere Besonderheit der Figur ist das ihre Schönheit hervorhebende Motiv des heruntergleitenden Gewandes, das man bereits an der im späten 5. Jh. entstandenen Aphrodite Frejus (Abguß Inv. 517) und an der Artemis auf dem Ostfries des Parthenon findet.

Besonders auffällig bleibt aber, daß diese hinsichtlich ihres Aufbaus und Haltungsmotivs sehr ausgefeilte Darstellung der Göttin in einer eher nebensächlichen Handlung abbildet, nämlich dem Nesteln am Gewand. Dieses, in der Beiläufigkeit der Handlung sich äußernde Hingegebensein an sich selbst und das eigene Tun, ist ein weiterer Zug, der die Artemis von Gabii mit anderen Götterbildern des 4. Jh., etwa mit dem Apollon Sauroktonos (Abguß Inv. 456) verbindet.

Die ergänzte und übergangene Kopie im Louvre ist wohl in hadrianischer Zeit entstanden. Das Haar mit seinen langen, relativ ungegliederten Strähnen, die durch recht Undefinierte, durchlaufende und absatzlose Bohrkanäle voneinander geschieden sind, sowie das im Gegensatz zum flachen Unterlid weit hervorspringende, „metallische“ Oberlid finden ihre nächsten Parallelen an Porträts der Sabina, der Frau des Kaisers Hadrian (Regierungszeit 117-138 n. Chr.).

Das Bild der Artemis von Gabii zeigt die jugendliche Göttin in einer beiläufigen Handlung begriffen. Die Anmut der Bewegung und die mädchenhafte Bildung des Körpers sind insbesondere hervorgehoben. Das Erkennen der Göttin selbst, die ohne Attribut vor uns steht, ist ins Assoziative verlagert.

(T. Golda)