Münchner Sagen & Geschichten

München im spanischen Erbfolge-Kriege und Sendlinger Mordweihnachten. 1705 - 1715.

Mayer - Münchner Stadtbuch (1868)


Welchen unglücklichen Verlauf der spanische Erbfolgekrieg, in welchem der Kurfürst Max Emanuel in Folge der hinterlistigen Politik des Königs Ludwig XIV. sich mit Frankreich verbündet hatte, nahm, lehrt uns die bayerische Geschichte, und es ist nicht Zweck dieser Blätter, eine Erzählung dieses für Bayern so traurigen Krieges zu geben. Eine so glänzende Tapferkeit und ein so hervorleuchtendes Feldherrntalent Max Emanuel auch entwickelte, so wurde alles dieses durch die Ungeschicklichkeit, durch die totale Unfähigkeit und die übermüthige Eitelkeit der französischen Heerführer, insbesondere des Marschalls Tallard vereitelt.

Am 13. August 1704 erfolgte die unglückliche Schlacht bei Blindheim. Max Emanuel hatte auf dem linken Flügel bei Lutzingen. eine vortheilhafte Stellung genommen, gute Anordnungen getroffen, mehrere österreichische Reiterangriffe zurückgeschlagen und die Feinde bereits so geworfen, daß ihr berühmter Feldherr, Prinz Eugen von Savoyen, schon dreimal überwältigt zum Nebelbache zurückweichen mußte. Die gänzliche Niederlage der Oesterreicher schien unvermeidbar. — Allein plötzlich erblickte man die Franzosen, welche auf dem rechten Flügel beim Dorfe Blindheim standen, in voller Flucht. Marschall Tallard hatte seine Infanterie so schlecht und noch dazu meistens in Dörfer postirt, daß sie von den mit Oesterreich verbündeten Engländern unter Marlborough's Befehl überall umzingelt und mit Ungestüm zurückgeworfen wurde. Marschall Tallard, der in Folge der Kurzsichtigkeit seiner Augen unter Marlborough's Reiter gerieth, die er für die Seinigen hielt, wurde gefangen. Die Schlacht war dadurch verloren. Die Bayern zogen sich langsam, immer noch kämpfend zurück; die Franzosen streckten muthlos die Waffen, mehr als 15,000 derselben wurden gefangen.

Die Oesterreicher verbreiteten sich nun in ganz Bayern, so daß Kurfürst Max Emanuel gezwungen war, sich mit den Ueberbleibseln seines Leibregimentes durch Schwaben und Elsaß nach Frankreich zu flüchten, von wo er sich sodann nach Brüssel, dem Sitze seiner niederländischen Statthalterschaft begab.

Die Kurfürstin Theresia Kunigunda, welche sich mit ihren fürstlichen Kindern noch in München befand, suchte auf das äußerste bedrängt nun Unterhandlungen am kaiserlichen Hofe zu Wien einzuleiten, und sendete deshalb ihren ehemaligen Gesandten, 

Freiherrn von Mörmann nach Wien; dieser aber wurde an der Grenze zurückgewiesen. Hierauf wurde er mit dem kurfürstlichen Hofkammerrath und geheimen Sekretär Neusönner an den römischen König Josef in's Heerlager nach Landau geschickt. Allein Josef, der einst lediglich durch die Bemühungen Max Emanuels zum römischen König erhoben war, gab ihre Beglaubigungen uneröffnet mit dem Bemerken zurück: „Es gebe keinen Kurfürsten von Bayern mehr.“

Lange scheiterten alle Unterhandlungen an der Rachsucht und Unbeugsamkeit Kaiser Leopolds, der beschlossen hatte, das Haus Wittelsbach auf immer zu vernichten. Endlich wurde am 7. November 1704 ein Vertrag zu Ilbersheim geschlossen. Gemäß diesem blieb der Kurfürstin zu ihrem Unterhalte und Besitze nichts als das Rentamt München; überdieß zur Nutznießung Ingolstadt, Rain und Wemding. Die Festungswerke von München sollten geschleift, alle Waffenvorräthe der Zeughäuser ausgeliefert, und alle bayerischen und französischen Soldaten entlassen werden; nur eine Leibwache von vierhundert Mann ward der Kurfürstin zu halten vergönnt. Als aber am 16. Februar 1705 die Kurfürstin, deren Gesundheit durch diese Unglücksfälle sowie durch die Geburt eines Kindes während dieser Ereignisse tief erschüttert war, auf Anrathen ihrer Aerzte nach Venedig reiste, um dort bei ihrer Mutter Trost und Erleichterung zu finden, wurde Kaiser Leopold als alleiniger rechtmässiger Landesherr von Bayern verkündet, und mußte ihm Anfangs Mai 1705 gehuldigt werden. Zugleich wurde eine kaiserlich österreichische Landesadministration über ganz Bayern eingesetzt, welcher 

der Graf von Löwenstein-Werthheim vorstand; neben, ihm Graf von Lamberg für Kriegssachen, von Mollart und von Seeau für Finanzen und Freiherr von Tastung für Polizei.

Der bald darnach folgende Tod des Kaisers — er starb am 5. Mai 1705 — brachte keine Linderung der Sachlage, vielmehr steigende Härte und Rücksichtslosigkeit, denn sein Nachfolger, Kaiser Josef I., hegte noch ingrimmigeren Haß gegen Bayern, als sein Vater. Die Bedrückungen aller Art gegen die Unterthanen stiegen aufs höchste; plündern und rauben, brennen und mißhandeln war an der Tagesordnung. Das verzweifelnde Volk, das alle seine rührenden Vorstellungen und Bitten mit verächtlicher Gleichgiltigkeit und empörendem Hohne zurückgewiesen sah, konnte diesen Zustand nicht länger ertragen. Es wurden im Lande heimlich Waffen gesammelt und vergraben, man versicherte sich der versprengten oder abgedankten Soldaten, Anführer standen heimlich an der Spitze, man berieth sich im Verborgenen, man wollte an einem Tage sich erheben und die Feinde bekämpfen, wo möglich einen festen Platz an der Donau erringen, und mit einem Schlage sämmtlicher Besatzungen los werden. Boten zogen zu diesem Zwecke Land auf Land ab. Es konnte nicht fehlen, daß die gefährliche Stimmung des Volkes und die drohenden Anzeichen eines sich erhebenden Sturmes den feindlichen Machthabern gänzlich verborgen blieben; nur durch einen unglücklichen Zufall wurde der schon vorbereitete Aufstand verrathen. Der Hofkammerrath des Kurfürsten, Freiherr von Lier, kam Anfangs des Frühlinges 1705 mit Briefen seines Fürsten an die Kurfürstin und die jungen Prinzen Karl Albrecht und Philipp nach Donauwörth; von den Oesterreichern erkannt, wurde er verhaftet, und aus seinen Papieren das ganze Geheimniß der Verschwörung entdeckt. Schleunigst wurden nun die österreichischen Truppen, welche bereits auf dem Marsche nach Italien waren, um dort die gegen den französischen Marschall Vendome im Felde stehende Armee des Prinzen Eugen zu verstärken, zurückberufen; man entwaffnete sodann die Bürger und Landleute, bemächtigte sich der verborgenen Waffen, und verhaftete alle jene Männer, von denen man glaubte, daß sie das Vorhaben des Volkes begünstiget hätten.

Am 15. Mai erschien der österreichische Feldmarschall Graf von Gronsfeld mit einigen tausend Mann ganz in der Stille und unerwartet vor München und führte Geschütz gegen die Stadt auf. Die Bürger von München schloßen ihre Thore, besetzten die Wälle und machten alle Anstalten zur Vertheidigung, obgleich ein großer Theil der Bürgerschaft in Besorgniß, der Marschall möchte die Stadt beschießen und einäschern lassen, zur Nebergabe rieth. Unterdessen gelangte ein Schreiben des Marschalles Gronsfeld in die Stadt, worin er ihr volle Sicherheit verhieß und erklärte, daß er Nur zum Schutze des Eigenthumes der Bürger und der kurfürstlichen Prinzen die Stadt besetzen wolle, und daß Niemandem ein Leid widerfahren solle; wobei er zugleich aber auch drohte, beim geringsten Widerstande die Stadt in Asche zu legen. Hierüber erging an die Einwohnerschaft Münchens nachstehende öffentliche Verkündigung:

„Kayserl. Proposition
so geschehen bei Anruckung der Kays. Truppen vor die
Statt München.
Freitags den 15. Mai 1705."


„Ihre Kayserl. Mt. glorwürdigsten Andenkhens sowohl alß die jetz Regierend Kays. Mt. haben mir allergnädigst befohlen, der Hofstatt zu München, vnd denen Burgermeistern Wissen zu lassen, wie daß dieselben wichtigen Vrsachen halber, vnd zu des Landts aigenen innerlichen Ruehe vnd sicherheit vnumgänglicher nothdurfft zu seyn befunden, eine besatzung in die Statt München ainzulegen, vnd Sie dannenhero unverzüglich in die Statt einzunemen, anbey aller Schutz und Gnad: auch von der Besatzung gute Sisciplin versichert, wie nit weniger die Printzen ausser aller forcht vnd sorg zu seyn hetten, zumahlen Jhnen kein Leyd widerfahren, auch Jhrem stand nach mit geziemender Ehrerbietigkeit begegnet: vnd alle sicherheit geschafft werden solle.

publicirt zu München den 15. May 1705.

Graf von Löwenstein.
Graf von Seeau.
Graf von Lamberg.
Graf von Gronsfeldt.
Herr von Förster."

Auf diese Zusage hin öffneten die Bürger am 16. Mai die Thore Münchens. Allein kaum hatten die Oesterreicher die Stadt besetzt, so zeigten und benahmen sie sich nicht mehr als Beschützer, sondern als Herrscher der Stadt und des ganzen Landes. Alle Einwohner Münchens wurden entwaffnet, und das fürstliche sowohl als das bürgerliche Zeughaus ausgeleert. Sodann wurde der kurfürstliche Hofkammerrath und geheime Sekretär Neusönner, welcher den Ilbersheimer Vertrag im Namen der Kurfürstin abschloß, freier Aeusserungen wegen gesanglich nach Oesterreich abgeführt, und wurden noch mehrere andere Manner, welche als Freunde ihres Vaterlandes verdächtig waren, ins Gefängniß geschleppt. Dem geheimen Sekretär Ulrich Beckensteller gelang es, den Nachforschungen der Oesterreicher dadurch zu entkommen, daß er sich unter ein Dach versteckte, und dann in der Verkleidung als Franziskaner nach Freising flüchtete, wo er zehn Jahre lang, bis Bayern von der österreichischen Gewaltherrschaft wieder befreit war, im Franziskanerkloster, dem er und sein Haus viel Gutes gethan, unter dem Namen Frater Orbil Dienste leistete. Alle vaterlandstreuen Bayern, welche der Gefahr eingekerkert zu werden entgehen wollten, mußten flüchten oder sich verbergen. Jedes laut gesprochene Wort, jede geheimnißvolle Miene war verdächtig; die österreichische Landesadministration hielt und besoldete überall geheime Spione; jede Zusammenkunft der Bürger in München oder der Landleute, sei es in der öffentlichen Gaststube oder in Privathöusern, wurde aufs schärfste überwacht, der geringste Schein eines Verdachtes führte belästigende Haussuchungen nach sich, und es wurden die Privatpapiere durchwühlt und Familiengeheimnisse nicht geschont. Die Familienglieder der mit dem Landesherrn ausgewanderten 

oder flüchtig gewordenen Bayern wurden nicht nur auf jede Weise mißhandelt, sondern sogar aus ihren Wohnungen hinausgestoßen, worauf dann die Oesterreicher mit deren Wohnungen, Vermögen, Habe und Gut nach Belieben schalteten. So erging es den Gräsinen von Törring - Seefeld, von Rechberg, der Freifrau von Prielmaier, deren Männer ihrem Kurfürsten ins Exil gefolgt waren.

Selbst gegen die Kurfürstin und die kurfürstlichen Kinder wurde von den österreichischen Gewalthabern nicht besser verfahren. Die Kurfürstin Kunigunde, welche in Folge der erhaltenen traurigen Botschaften sich von Venedig wieder zurück nach München begeben wollte, wurde an der Grenze angehalten und ihr des Kaisers Befehl eröffnet, daß sie den bayerischen Boden nicht mehr betreten dürfe, worauf sie sich wieder nach Venedig zurückbegab. Die kurfürstlichen Kinder wurden in München Gefangenen gleich bewacht. Alle kurfürstlichen Güter wurden eingezogen.

Die versteckten Kriegsvorräthe und Waffen in München, Wasserburg und Schwaben wurden, leider durch Verrath ehrvergessener Bayern, von den Oesterreichern großentheils aufgefunden und hinweggenommen; ihre Anzahl war sehr groß: 73 große und kleine Kanonen, 343 Doppelhacken, 2500 Flinten, 2337 Flintenläufe, 289 Büchsen, 193 paar Pistolen, 177 Flintenschlösser, 100 Degen und Spieße, 500 Bajonette, 346 Zentner Pulver, 3800 gefüllte Handgranaten, 2871 Stückkugeln, über 300 Zentner Bleikugeln, bei 200,000 Flintensteine, 25 Standarten, 3000 Patrontaschen, mehrere Wägen für Gepäck und Kanonen.

Den schlimmsten Eindruck machte es aber, als im ganzen Lande zwölftausend junge Leute sollten ausgehoben werden, um unter den österreichischen Fahnen in Italien und Ungarn zu dienen. Diese Maßregel brachte das Volk zur Verzweiflung, denn sie wurde mit einer barbarischen Härte und Grausamkeit vollzogen. Die jungen Männer flohen aus den Städten und Dörfern in die Wälder und Gebirge. Um sie einzufangen, streiften österreichische Reiter in kleineren Haufen herum, anderwärts wurden die Häuser plötzlich Nachts von Reitern überfallen und durchsucht, die jungen Bursche, die man fand, aus ihren Betten gerissen und nur schlecht bedeckt bei empfindlicher Kälte nach Tirol transportirt. Natürlich gab es gegen solche gewaltsame Hinwegschleppung oft Widerstand, oder es rotteten sich die Bauern zusammen, und versuchten den Reitern die gefangenen jungen Bursche mit Gewalt wieder zu entreissen; allein alle Landleute, die bei solchen Vorfällen in die Hände der österreichischen Reiter fielen, wurden auf der Stelle entweder niedergehauen oder zum abschreckenden Beispiele an den nächsten Baum gehenkt. Die Verzweiflung des Volkes über, so unerhörte Mißhandlung mußte bald zur Empörung führen.

„Wenn der Gedrückte nirgends Recht kann finden,
Wenn unerträglich wird die Last, — greift er
Hinauf getrosten Muthes in den Himmel, '
Und holt herunter seine ew'gen Rechte."

(Schiller's Tell.)

Durch das ganze Land ging die Losung: „lieber bayerisch sterben, als österreichisch verderben." Es sammelten sich die Einwohner anfangs in kleinen 

Schaaren bis auf 1000 Mann, diese Schaaren vergrößerten sich rasch unter dem Namen der „Landesvertheidigung abgedankte bayerische Soldaten gesellten sich zu ihnen und unterwiesen sie in der Führung der Waffen, und tüchtige junge Manner, als Georg Plinganser, Meindl, Xaver Oertel und andere traten an ihre Spitze. In wenigen Wochen standen 20,000 —30,000 Landleute unter den Waffen, und der Kampf gegen die österreichische Unterdrückung begann.

Wir unterlassen es, hier die Geschichte des Aufstandes des bayerischen Volkes zu erzählen, sondern wollen nur die Schicksale Münchens berichten.

Im Allgemeinen war in der Haupt- und Residenzstadt München ziemliche Ruhe, wenn auch die Einwohner dieser Stadt gerechten, aber ohnmächtigen Grimm im Herzen trugen. Der kaiserliche Oberst von Mendt, ein kluger und vorsichtiger Mann, hielt in der Hauptstadt gute Ordnung und Zucht.

Die Landesvertheidiger hatten sich unterdessen mit abwechselndem Glücke geschlagen; ja in der letzten Zeit hatten dieselben unter Plingansers Führung große Vortheile bei Braunau, Altötting und Schärding errungen, so daß der Weg nach München ihnen offen stand. Die ganze Macht des Landsturmes, fast 40,000 Mann stark, setzte sich, nachdem sie den Uebergang über die Innbrücke bei Treuburg nach einem hartnäckigen Scharmützel errungen hatten, gegen München in Bewegung. Der Plan und die Verabredung ging dahin, sich auf St. Johannes des Täufers Tag, den zweiten Tag nach Weihnachten, mit dem Heere der Gebirgsbauern vor München zu vereinigen, 

und dann mit Hilfe der Bürgerschaft, die mit verhehlter Freude der Kommenden sehnsuchtsvoll harrte, die Hauptstadt zu erobern, und mit ihr das Ziel ihres heiligen Strebens, die Befreiung des Vaterlandes zu erringen.

Schon im Frühjahr 1705, als der Marschall Graf von Gronsfeld München einnahm, waren mehrere tausend Bauern im Oberlande zum Aufstand bereit. Es waren die Bewohner der Gebirgsgegend um Tölz und Kochelsee, ein Volksstamm, fest und stark wie die himmelhohen Felsen, die in ihre Seen und Ströme hineinschauen, von stattlicher Größe und schönem und wohlgebildetem Körperbau, von alter Treue und Redlichkeit, einfachen und genügsamen Sitten, die sich oft unter einer rauhen Aussenseite verbargen, dabei treuherzig und gesellig im Umgange. Sie trugen damals und tragen noch heut zu Tage eine eigenthümliche malerische und alterthümliche Tracht; ihr kurzer Ueberrock, Joppe genannt, ist von ungefärbter Schafwolle oder Loden; ein enganliegendes schwarzledernes Beinkleid reicht nur ober die Kniee, so daß diese, von Sonne und Wetter gebräunt, bloß bleiben; der dicke wollene Strumpf bedeckt die Füße nur bis zum Knöchel. Um den Körper tragen sie einen gewöhnlich reich und schön gestickten Gürtel; der Hals ist bloß und auf dem Kopfe sitzt ein spitziger grüner Hut, den eine Spielhahnfeder oder der Flaum des Jochgeiers ziert.

Dieses durch kriegerische Sitten gebildete kräftige Volk erhob sich etwa dritthalhtausend Mann stark aus den Thälern der Jachenau, Lengries, Tölz, Kochel und Miesbach. Nur etwa fünfhundert derselben hatten Schießgewehre — die kurze Kugelbüchse, Stutzen genannt — die 

übrigen Sensen, Picken, Keulen, Morgensterne in Eile ergriffen und zugerichtet. Alle strömten bereits am 24. Dezember durch die Waldthäler herab auf die als Sammelplatz bestimmte große Wiese bei Schäftlarn, wo die Brücke über die Isar geht. Da fanden sich auch ihre Anführer ein, der Hauptmann Maier, Lieutenant von Lange und der Adjutant Abel, sämmtlich Offiziere des aufgelösten bayerischen Heeres, und ein junger Franzose, der sich Gauthier nannte, dessen wahrer Name aber ein Geheimniß blieb. Das Oberkommando war dem außer Dienst gesetzten bayerischen Hauptmann Hans Maier vom Regiment Kronprinz übertragen. Außer diesen erschienen noch der Landrichter von Tölz, und ein Kriegskommissär Namens Fuchs. Die ganze Schaar erhielt vier Fahnen; von der einen nur weiß man, daß der Wirth von Bayerbrun sie getragen.

Bereits war wieder der ganze Zug der Oberländer vom Sammelplatze aus gegen München aufgebrochen, als der Oberkommandant Maier mit seinen Offizieren nochmals Rath über ihr Unternehmen hielt. Sie beschlossen, nicht sogleich jetzt schon nach München vorzurücken, sondern vielmehr über die Schäftlarner Brücke zurückzugehen, sich bei Vallay festzusetzen und dort die Ankunft der niederbayerischen Landesvertheidiger abzuwarten, welche den gepflogenen Abredungen gemäß 40,000 Mann stark unter Plingansers Anführung bereits auf dem Wege sein mußten, um sich am St. Johannes des Evangelistentag — 27. Dezember — mit den Oberländern zu vereinigen und dann vereint gegen München zu ziehen.

Aber die heißblütigen Oberländer, deren Wuth und 

Streitbegier nicht zu bändigen war, und begeistert für die augenblickliche Befreiung Münchens, widersetzten sich dieser Anordnung; ja als der Oberkommandant Hans Maier ihrem ungestümen Drängen nicht nachgab und auf dem klugen und umsichtigen Beschlusse beharrte, wurde er von den Tölzer Schützen sogleich seines Kommandos mit der Drohung entsetzt, daß er sich nicht mehr vor ihnen blicken lassen dürfe, wenn er nicht in Stücke zerhaut oder erschossen werden wolle. Die übrigen Offiziere und Beamten wurden unter gleicher Drohung zum Vorrücken genöthigt. Als der Zug vor Bayerbrun angekommen war, beschlossen die Oberländer, anstatt des entsetzten Hans Maier den Pfleger Alram zu ihrem Oberkommandanten zu wählen, was derselbe jedoch ablehnte. Dadurch waren die Oberländer nunmehr ohne alle militärische Oberleitung; denn die von unsern bayerischen Geschichtsschreibern aufgestellte Behauptung, sie seien unter der Anführung des französischen Hauptmannes Gauthier gestanden, entbehrt alles Nachweises und aller Wahrheit.

Das begeisterte Drängen der Oberländer, die Vereinigung mit der niederbayerischen Armee nicht abzuwarten, sondern heute noch den Zug nach München anzutreten, stützte sich hauptsächlich auf die Nachrichten, die sie aus der Stadt selbst durch den angeblichen Abgeordneten der Münchener Bürgerschaft, den Weinwirth Johann Jäger im Thal, Mitglied des äusseren Rathes, erhalten hatten, und der ihnen die Zustimmung und Mitwirkung der Münchener Bürger zugesichert hatte. Dortselbst bestand nämlich eine heimliche Verschwörung. Ein Theil der Bürgerschaft hatte sich wieder in der Stille bewaffnet, es war verabredet, 

daß die Bürger auf ihrem Gange zur mitternachtslichen Christmette ihre Gewehre unter ihren Mänteln bergen und zu gleicher Stunde die Oberländerbauern an den Mauern Münchens erscheinen sollten, wo ihnen der Bräuer des weißen Brauhauses das Kostthor eröffnen werde. Sollte aber die Oeffnung des Kostthores mißlingen, so habe sofort der Strassenkampf mit dem Feinde und die Erstürmung der Thore zu beginnen. Hiezu hatte sich ein Theil der bewaffneten Bürger am Augustinerkloster einzusinden; als Sammelplatz für die sechshundert Studenten war der Anger und für die churfürstlichen Hofbedienten die Residenz festgesetzt. Der Eisenhändler Senser gab hiezu unentgeltlich Pulver, Blei, Schanzzeug und Gewehre her. Die Einzelnheiten aller dieser in München getroffenen Voranstalten und Verabredungen wurden den Oberländer Bauern von dem Weinwirth Jäger mitgetheilt, und daher ihr ungestümes Drängen, um die Mitternachtsstunde der heil. Christnacht vor München einzutreffen, was ihnen unter solchen Umständen als unerläßliche Pflicht erschien.

Und wirklich hätte, auch ohne die Vereinigung mit der »iederbayerischen Armee, der gut angelegte Plan wohl gelingen können, obgleich die kaiserliche Besatzung der Stadt München fünftausend Mann betrug.

Allein leider waren unter den Bayern selbst Verräther. Schon am 19. Dezember hatte der Posthalter von München der österreichischen Landesadministration angezeigt, daß ihm aus dem Oberlande Post und Staffeten ausblieben. Bereits einige Tage früher hatte der Abt von Benediktbeuern dem Grafen Löwenstein-Werthheim Botschaft geschickt, die Jsarwinkler, Tölzer und Jachenauer hätten das 

Kloster überfallen, den Klosterrichter, zwei kleine Kanonen und zwei Trompeten mit vielen Gewehren mitgenommen, auch den Gerichtsschreiber über seine Pflicht durch Maulschellen belehrt. — Am 23. Dezember Abends kam wieder ein Eilbote des Prälaten nach München mit der Nachricht, das Kloster .sei abermals besetzt, es gelte einer Überrumpelung Münchens im Einverständnisse mit den beiden von Braunau und Burghausen über Oetting und Haag vorrückenden Heersäulen der Landesvertheidiger.

Der schändlichste dieser Verräther war aber der Pfleger von Starnberg, Johann Josef Etlinger.

Dieser hatte sich hinterlistige,rweise mit den Aufständischen vereinigt, um ihre Pläne zu erforschen; dann aber eilte er heimlich auf wohlbekannten Seitenwegen, wobei er einem Bauern unter Vorspiegelung hochwichtiger Aufträge an die Landesvertheidigung sein Pferd wegnahm, nach München, und entdeckte dem Grafen Löwenstein-Werthheim den ganzen Anschlag der Bauern, ihre Zahl und Bewaffnung, sowie auch, daß in München selbst eine Verschwörung und ein Einverständniß mit den Bauern bestehe. Ja, dieser des Namens eines Bayern unwürdige Verräther begnügte sich mit dieser Anzeige nicht, sondern reiste selbst zu dem Befehlshaber von München, dem kaiserlichen General von Mendt, welcher am rechten Ufer der Jsar stand, um diesen von Allem zu unterrichten. General Mendt beorderte zuförderst den zwischen Ebersberg, Hohenlinden und Haag stehenden kaiserlichen Oberst Kriechbaum, mit seinen Truppen, ungefähr dreitausend Mann stark, sich in der Gegend von Anzing aufzustellen, den Anmarsch des Feindes auf der Oettinger- wie auf der 

Wasserburgerstraße scharf zu beobachten, seine Vorpostenkette zu verstärken und dem Feinde jeden Fuß breit Terrain streitig zu machen. Vernähme er aber aus München her Geschützesdonner, so solle die Reiterei in gestrecktem Trabe, das Fußvolk im vollen Laufe nach der Hauptstadt vorrücken und den Bauern in den Rücken fallen. Hierauf eilte General Mendt selbst nach München, um alle zur Vereitelung des Aufstandes nöthigen Schritte zu thun.*) Die Bürgerschaft wurde sogleich neuerdings entwaffnet, der Eisenhändler Senfer und der Jägerwirth Johann Jäger verhaftet, an den Orten, die als Versammlungsplätze der Bürger beim beabsichtigten Aufstande bezeichnet waren, mit Kartätschen geladenes Geschütz aufgestellt und wurden die Festungswerke der Stadt, wo sie schadhaft waren, eiligst hergestellt. Der Bürgermeister Vaechiery ließ an die Bürger von Haus zu Haus die mündlichen Auftrag ergehen, ruhig zu bleiben und sich in die Sache nicht zu mischen, wenn sie vor den Thoren der Stadt schießen hörten. Ferner wurde, um von der Stellung der Bauern Kunde zu erhalten, ein Rittmeister mit achtzig Dragonern auf Rekognoseirung geschickt. Diese trafen im Forstenrieder-Walde, zwei Stunden von München, 

eine Anzahl von Schützen, mit welchen sie ein Scharmützel begannen. Die Schützen schossen aus einem Gebüsche so gut, daß die Dragoner mit Hinterlassung einiger Todten zurückweichen mußten. Diese Schützen waren nämlich schon die Vorhut der einen Hälfte Oberländer Bauern, welche von Schäftlarn her am linken Ufer der Isar gegen Sendling zogen. Die andere Hälfte des Landsturmes, welche bei Schäftlarn über die Brücke gegangen war, war auf dem rechten Ufer der Isar über Harlaching im Anmarsche gegen München.

Von der Verrätherei des Pflegers Etlinger und den Vorgängen in München hatten die tapfern Oberländer keine Ahnung; muthvoll rückten sie daher auf beiden Seiten der Isar gegen die Hauptstadt vor.

Der Vortrab des auf dein rechten Ufer des Stromes ziehenden Landsturmes traf bald bei Harlaching auf österreichische Vorposten, griff diese mit Ungestüm an und warf sie zurück. In der Vorstadt Au war bereits die ganze Zunft der Zimmerleute aufgestanden und vereinigte sich mit dem anrückenden Landsturm. Von da aus, es war am 25. Dezember gegen zwei Uhr Morgens, wurden die Werke, welche die Isarbrücke beschützten, die beiden Brücken selbst und der rothe Thurm mit größter Wuth angefallen und nach einem kurzen Kampfe genommen, so daß die bestürzte feindliche Besatzung in Eile nach der Stadt floh. Nun drangen die Oberländer gegen die Stadt, während von Sendling her auch der andere Theil des Landsturmes sich derselben näherte.

In bangster Erwartung hofften die tapfern Bayern jeden Augenblick nun auf die verabredeten Zeichen und 

Signale aus der Stadt; aber die Bürger verhielten sich still, da ja Alles schon entdeckt und vereitelt war, das Kostthor wurde nicht geöffnet und am Neuhauserthore blieb das verabredete Aufsteigen einer Rakete aus!

Und dennoch wäre ungeachtet dieses Mißgeschickes nicht Alles verloren gewesen, hätten die Bauern tüchtige Führer und einen Oberkommandanten gehabt, wäre dann unter dessen Leitung die Stadt München energisch angegriffen und zugleich bewerkstelligt worden, das Korps des Obersten Kriechbaum, der noch auf dem Marsche von Anzing her sich befand, und von der Eroberung der Isarbrücke keine Kenntniß hatte, abzuschneiden und aufzureiben oder wenigstens zu versprengen. So aber geschah von allem diesen nichts, vielmehr verbreiteten sich die führer- und rathlosen Bauern rings um die Stadt herum, wodurch sie zerstreut und geschwächt wurden, und beschossen nutzlos die Wälle mit den mitgebrachten kleinen Kanonen und ihren Büchsen, wodurch uur einige Oesterreicher verwundet wurden, aber die kostbare Zeit von früh Morgens zwei bis acht Uhr rein verloren ging.

Während dieser verhängnißvollen Stunden war aber Oberst Kriechbaum von Anzing her mit seiner, Reiterei und dem Fußvolke in aller Eile herbeigerückt, und gab auf der Höhe des Gasteigberges durch drei Kanonenschüsse der Besatzung der Stadt das Zeichen seiner Ankunft. Da die Bauern den unverzeihlichen Fehler begingen, die Isarbrücke unbesetzt zu lasten, so eilte Oberst Kriechbaum mit seinen Grenadieren im Sturmschritte über dieselbe, während seine Kavallerie durch die Isar ritt. Ohne Verzug siel er über die Oberländer her, während General 

von Mendt aus dem Isar- und Schifferthore einen heftigen Ausfall machte. Die Bauern, nirgends in größern Massen gesammelt oder regelmäßig aufgestellt, überall zerstreut, planlos ohne alles Kommando kämpfend, wurden von der Kavallerie entweder zusammengehauen oder zur Flucht gedrängt; nur auf eine kurze Zeit gelang es ihnen sich in der Gegend des Gottesackers zu sammeln. Auch hier wurden sie mit Kleingewehrfeuer und schwerem Geschütze angegriffen und zwischen zwei Feuer genommen, so daß sie eine fürchterliche Niederlage erlitten und endlich, kaum noch fünfzehnhundert Mann stark, und verfolgt von der feindlichen Kavallerie und den Grenadieren, den Rückzug nach Sendling antraten.

Ein Theil der Bauern, etwa fünfhundert Mann, von panischem Schrecken ergriffen, flüchtete sich mit dem Hauptmann Gauthier gegen den Wald von Forstenried zurück, den sie auch mit einem geringen Verluste von etwa vierzig Mann erreichten. Auf diesem Rückzuge siel Gauthier durch eine Geschützkugel und wurde aus dem Kirchhofe von Leutstetten begraben.

Die übrigen Bauern, todesmuthig in voller Begeisterung ausharrend, hielten in Sendling Stand, verschanzten, sich in den Verhauen, die sie bereits bei ihrem Vorrücken am vorhergehenden Tage dortselbst angelegt hatten, bildeten eine neue Schlachtordnung und boten dem Feinde den Kampf an. Allein zu schwach, hatten sie keine Hoffnung, sich zu halten. Sie wurden hier von den österreichischen Husaren von zwei Seiten angegriffen, und zwar einerseits vom Wirthshause und anderseits vom sogenannten heil. Geisthof her. Zu gleicher Zeit machte die öster

reichische Jnfanterie von vorn einen allgemeinen Sturm auf die Verhaue. Jedes Haus, jeder Zaun, jede Hecke, jeder Graben wurde mit Wuth vertheidiget, gewonnen und wieder verloren; endlich wurden die Verhaue vom Feinde nach einem mörderischen Kampfe genommen, und der kleine Rest der Bauern zog sich auf seinen letzten Stützpunkt, den Kirchhof, zurück, wo die Kirchhofmauer ihre Brustwehr bildete. Hier fochten sie, entschlossen ihr Leben theuer zu verkaufen, mindern Muthe der Verzweiflung ihren letzten Kampf; nur wenigen gelang es zu entfliehen, sie sanken fechtend Mann an Mann in blutigen Reihen als Heldenbrüder!

„Ein Schlachten war's, nicht eine
Schlacht zu nennen!"

Die vier Offiziere starben den Degen in der Faust, indem sie mit ihren Kriegern bis auf den letzten Mann ausharrten. In diesem schauerlichen Kampfe sielen auch die vierunddreißig Zimmerleute aus der Au neben einander wie Brüder, die sich auch im Tode nicht verlassen, unter den Streichen der Mörderbande!

Das blutige Trauerspiel des heil. Christtages war um die Mittagsstunde geendet; achthundert Leichen der patriotischen Gebirgsbewohner deckten die Felder und den Kirchhof von Sendling. Dort schlafen sie ihren Heldenschlaf unter den noch erhaltenen Grabeshügeln; der Ruhm aber, den sie sich erwarben, und ihre hohe Vaterlandsliebe leuchten als ein unvergänglicher Stern für alle Zeiten in den Blättern der bayerischen Geschichte!

Spät am Abend, als schon die kalte Winternacht hereingebrochen war und die feindlichen Mörder den Kampfplatz 

wieder verlassen hatten, erhoben sich einige Leichtverwundete, die seit Mittag unter den Todten gelegen, vom grauenvollen Leichenfelde, flohen auf abgelegenen Pfaden weiter und brachten die Schreckensbotschaft nach Hauses Ein junger Bauernknecht von Sendling, Namens Polal, hatte sich in einem Häuschen beim Angerbauernhofe in einen Schornstein geflüchtet und hielt sich in demselben drei Tage und drei Nächte lang verborgen. Dieser und ein Anderer, Georg Hechensteiner von Tegernsee, der obgleich durch einen Bayonnetstich in die Seite und einen Säbelhieb schwer am Kopfe verwundet, geheilt wurde und ein hundertjähriges Alter erreichte, erzählten noch als Greise ihren mit Schaudern horchenden Enkeln und Urenkeln von der Sendlinger Mordweihnachten.

Die Sage spricht von einem riesenhaften Manne, dem Schmid Balthasar Maier von Kochel, gewöhnlich der Schmidbalthes genannt, welcher mit seiner ungeheuren Keule Wunder der Tapferkeit gethan, eine Menge der Feinde erschlagen habe, und endlich als der Letzte unter seinen Mitbrüdern gefallen sein soll. Allein kein Zeitgenosse, kein älterer Geschichtschreiber erwähnt seiner, erst im gegenwärtigen Jahrhunderte taucht sein Name und ! sein Kampf zuerst in Gedichten auf. Deshalb ordnete ier verstorbene König Maximilian II. genaue Erhebungen an; aber die sorgfältigste Untersuchung der pfarramtlichen, Tauf-, Trauungs- und Sterberegister und der Akten des Landgerichtes, Rentamtes und der Gemeindeverwaltung in Kochel zeigten von der Existenz dieses Mannes keine Spur. Es ist daher Schade, daß diese hochromantische Heldengestalt lediglich in das Reich der Sage verwiesen werden muß.

Sechs Kanonen, fünf Munitionskarren, zwei Heerpauken und vier Fahnen mit den bayerischen Wappen fielen in die Hände der Sieger.

Auf dem Münchener Freithofe wurden die Leichen von mehr als tausend Oberländern begraben, welche vor der Stadt geblieben waren. Ein Hügel deckt ihre Gebeine, ein geschmackvolles Denkmal von Erz zeigt uns die Stätte, wo sie ehrenvoll ruhen.

Während des Gemetzels in Sendling war die Hauptmacht der Landesvertheidiger in vollem Anmarsche gegen Anzing und München. Da kamen ihnen Flüchtlinge entgegen, des Tages Unglück verkündend, und „daß Alles verloren sei." Diese unerwartete Botschaft erfüllte die Armee der Landesvertheidiger mit großer Furcht, so daß sie in Eile umkehrten und fast gänzlich auseinander gingen.

Die Oesterreicher aber verfolgten ihren traurigen Sieg nicht als edelmüthige Sieger, sondern als unmenschliche Barbaren. Bei sechshundert schwer Verwundete, worrunter drei Offiziere, wurden von den Schlachtfeldern um München und in Sendling nach München gebracht, blutend aus Wunden aller Art in der Dezemberkälte in der Neuhausergasse auf den Boden gelegt, und, — wie der damalige Bürgermeister von München, Herr von Bacchiery mit empörender Gleichgiltigkeit in einem Briefe vom 28. Dezember 1705 erzählt, — pro terrors (zur Abschreckung) lang auf denen Gassen liegend gelassen;" die meisten verbluteten elend ohne Verband und ohne ärztliche Hilfe. Endlich wurden die Verwundeten, die ihr Leben noch nicht ausgehaucht hatten, in die Spitäler und in die nahe liegenden Klöster der Jesuiten und Augustiner gebracht, um dort Pflege und Heilung zu erhalten. Der Hauptmann Maier, Lieutenant von Lange und Adjutant Abel wurden, obwohl schwer verwundet, in Gefängnisse geworfen; letztere beide, sowie der Eisenhändler Senser wurden später, nachdem sie von ihren Wunden wieder hergestellt waren, auf dem Schrannen(heutigen Marien-) platze enthauptet; der biedere Jägerwirth Johann Jäger aber wurde enthauptet und geviertheilt. Die amtliche Notiz hierüber lautet nach den Akten: „München, den 17. März 1706. „Diesen Vormittag ist Johann Jäger, Weinwirth allhier, 38 Jahre alt, wegen des Lasters der beleidigten Majestät, absonderlich aber, weilen er bei der verdammten Rebellion ein Rädelführer, und an dem Blutbad der Bauern Ursacher gewesen, mit dem Schwerdt hingerichtet, der todte Körper puplice geviertheilt, der Kopf auf den Isarthurm, die vier.Theile aber, wie mit dem Kidler geschehen, im Burgfrieden aufgesteckt, auch dessen Vermögen confisiert worden. Dieser Jägerwirth war mit dem Kidler ein Haupträdelführer, dan Er nacher Immerstorf geritten, einige Bürger von Tölz (allwo sein Vater Bürgermeister und noch am Leben ist) dahin berufen, dieselben zum Aufstand, und daß sie sämmtlich rottiren sollten, animirt, auch ein anderer (so der Haydt seyn wird) zu Machung eines Patents überredt, das Signet aufgedruckt, mit dem Kidler, und anderen wie die Sache anzugreifen, und das Wasser beim Preuhaus (allwo die Bauren Posto fassen sollten) abzulassen, mithin allda in die Stadt zu kommen, sich unterredt, und berathschlagt, den schon in Marsch begriffenen Tölzern entgegen geritten 

und als die anrückende Bauren wieder zurückgehen wollten, sie mit diesem weiter angefrischt, daß wenig kayserliche Soldaten in der Stadt, hingegen die Hofbedienten und Studenten sich an gewissen Orten einfinden, auch sonst alle Anstalt dahin gemacht wäre, daß aus des Sensers Haus durch zwei Raquett das Zeichen zum Angriff beschehen, und man die kayserlichen Soldaten das Gewehr darniederzulegen, und mit der kays. Administration aus München zu gehen gar leicht bezwecken könnte. Actum ut Supra."

Solche gräßliche Hinrichtungsscenen gingen aber nicht vereinzelt und nur in München vor, sie wurden eben so unmenschlich an allen anderen Orten vollzogen, wo sogenannte „Aufrührer" gefangen wurden. Aus Kelheim wurde der Kommandant Kraus nach Ingolstadt geschleppt, dort enthauptet, sein Körper geviertheilt und stückweise in allen vier Rentämtern aufgehängt; noch im Jahre 1707 wurde Johann Hofmann, einer der Theilnehmer des Aufstandes, nach München geführt und geviertheilt. Von den Gefangenen mußte der fünfte, der zehnte, der fünfzehnte Mann um's Leben spielen. Mehrere Monate lang dauerten diese Hinrichtungen durch henken, enthaupten und viertheilen.

Jede Hoffnung, die Hauptstadt München zu erobern, war für die biedern Vaterlandsvertheidiger nunmehr vereitelt. Dennoch verzweifelten sie nicht an der Befreiung des Vaterlandes von seinen Unterjochern; durch die Thätigkeit des edlen und klugen Plinganser wurde das niederbayerische Heer wieder zusammengebracht und sogar um zehntausend Mann vermehrt. Allein umsonst alle 

Anstrengungen. In der Mitte der Bayern selbst fanden sich Verräther, auf deren Namen ein ewiges Brandmal der Schande ruht; diese waren Baron Prielmaier und Freiherr von Okfort, beide Männer von niederträchtigem Charakter. Hauptsächlich durch dieser beiden Männer Verrath und abscheuliche Ränke kam nun Verlust auf Verlust; so wurde auf diese Weise am 8. Jänner 1706 die Schlacht bei Aidenbach verloren, ein Blutbad, schrecklicher als bei Sendling; von der Mittagsstunde bis Sonnenuntergang ward gemordet, eine Stunde weit bedeckten die Leichen das Mordfeld. Gleichfalls siel Braunau durch Verrätherei des Baron von Okfort. Da die bayerischen Landesvertheidiger dadurch ihren letzten haltbaren Platz verloren hatten, und nachdem sie sich getäuscht und betrogen, verrathen und verkauft sahen, gingen die noch über 20,000 Mann zählenden Bauern fluchend und weinend auseinander, verwünschend den Tag, der sie geboren, und die Brüste, die sie gesäugt. Die heldenmüthigen Jünglinge Plinganser und Meindl flohen ihr unterjochtes Vaterland und begaben sich in die Schweiz.

Nun wurden von der österreichischen Landesadministration in München und in allen andern Städten die strengsten Maßregeln ergriffen, wiederholt Entwaffnungen der Bürgerschaft vorgenommen, die verdächtigen Bürger eingekerkert, viele andere zum Tode verurtheilt und qualvoll hingerichtet.

Nicht zufrieden aber mit der Unterjochung und Verderbung des Bayerlandes und seiner Einwohner, suchte nunmehr der gefühllose Kaiser Josef I. unedle Rache an 

dem Kurfürsten Max Emanuel und seiner unglücklichen Familie zu nehmen. Ohne Zustimmung des Reiches, nur im Einverständnisse mit den übrigen Kurfürsten, erklärte er den Kurfürsten Mar Emanuel und dessen Bruder, den Kurfürsten von Köln, in die Reichs acht. Durch kaiserliche Herolde wurde zu München am 10. Mai 1706 die Achtserklärung öffentlich ausgerufen, und darin Max Emanuel aller seiner Ehren und Würden, Lande und Leute auf ewige Zeiten verlustig erklärt, er von deutscher Erde verbannt, und Jedermann frei gegeben, ihn ungestraft zu ermorden! Dann befahl der Kaiser, die vier älteren Söhne Max Emanuels Karl Albrecht, Kurprinz, Philipp Moriz, Ferdinand Maria und den fünfjährigen Clemens August nach Oesterreich zu führen. Die jüngern, deren einer erst vor wenigen Monaten gestorben war, wurden in München gelassen und der ehemaligen Oberhofmeifterin von Weichs mit vier Bedienten in die Kost gegeben, und die einzige Tochter des Kurfürsten, Mariane Karolina, zehn Jahre alt, ins Angerkloster gesperrt. In Klagenfurt in Kärnthen lebten nun fortan die ältern Prinzen. Sie wurden mit großer Härte nicht als Fürsten, sondern als Gefangene unter dem Namen Grafen von Wittelsbach behandelt. , Niemand durfte ohne besondere Erlaubniß ihnen nahen, noch viel weniger sie ohne Zeugen sprechen; jeder Briefwechsel mit ihren Aeltern war ihnen untersagt, ja selbst der Name der Letzteren durfte nie vor ihnen ausgesprochen werden. So lebten sie Jahre lang.

Bayern aber schmachtete zehn Jahre lang unter österreichischem Joche. Die Leiden waren groß, die Steuern 

vier- bis siebenfach erhöht; von den kaiserlichen Beamten wurden Land und Leute durch die gränzenlosesten Erpressungen ausgesogen; die Menge der Armen und Bettler war unzählbar, wozu noch die schamlosesten Ausschweifungen der österreichischen Kriegsknechte kamen. Die junge bayerische Mannschaft wurde in kaiserliche Kriegsdienste eingereiht, so daß an manchen Orten nicht Hände genug übrig blieben, die Aecker zu bestellen; an die Stelle des Rechtes waren überall die Machtsprüche des Eroberers getreten. Das Land trug es still knirschend.

Da schlug endlich die Stunde der Errettung und Erlösung!

Der unversöhnliche Tyran, Kaiser Josef I. war am 17. April 1711 gestorben. In Folge der Wahl des neuen Kaisers Karl VI. trat England vom Bunde mit Oesterreich zurück, und den französischen Waffen lächelte wieder das Glück, während Kaiser Karls Heere ohne Glück am Rheine fochten. Da wurde denn endlich am 7. März 1714 der Friede zu Rastadt geschlossen. In diesem wurde Kurfürst Mar Emanuel, sowie sein Bruder, der Kurfürst von Köln, der Reichsacht entledigt und in alle seine Lander und Würden ungeschmälert wieder eingesetzt.

Bayern jubelte, das ganze Volk war von Freude und Frohlocken berauscht. Da aber wegen einiger noch unausgeglichener Zwistigkeiten erst am 7. September 1714 zu Baden der Friedensschluß vollzogen wurde, so irat erst/ am 16. Jänner 1715 die kaiserliche Landesadministration in München ab, und der kurfürstliche Oberhofmeister Graf 

von Preising übernahm bis zur Zurückkunft des Kurfürsten die Führung der Geschäfte.

Am 8. April 1715 früh Morgens lehnte in einem der hohen Bogenfenster des alten Schlosses Lichtenberg am Lech ein stattlicher Herr in Reisekleidern, der erst in der verfloßenen Nacht von St. Cloud hier angekommen war. Finster und in Gedanken versunken starrte er hinab in die unabsehbare Ebene, welche sich aufwärts von Augsburg zehn Stunden lang ausbreitet und das Lechfeld genannt wird, in jene denkwürdige Ebene, auf welcher am 10. August 955 der deutsche König Otto I. und der Bischof Udalrich von Augsburg das ungeheuere Heer der wilden Ungarn aufs Haupt geschlagen hatte. Welche Gedanken mochten im Geiste dieses Herrn in diesem Augenblicke vorübers schweben! Es war vor zwölf Jahren, daß in eben diesem Schlosse der Ueberfall von Ulm, des Krieges und des Unglückes Anfang, angeordnet wurde!

Da ertönten plötzlich die Trompeten, und ein Page riß die Flügelthüren auf, indem er fröhlich in den Saal hineinrief: „So eben fahren Jhro Durchlaucht die Frau Kurfürstin im Schloßhof auf."

Hastig stürzte der Herr — es war Max Emanuel — aus dem Gemache seiner Gemahlin entgegen, und laut aufschreiend und unter Weinen sanken beide Gatten einander in die Arme.

Stunden verfloßen, welche im wehmüthigen Austausche der Erlebnisse während der langen Trennung verflogen.

Da schmetterten wiederholt Trompeten vom Thurme des Schloßes Lichtenberg.

„Himmlischer Vater, meine Kinder, meine Kinder!" schrie die Kurfürstin Kunigunde laut auf, und nach wenigen Augenblicken drückte sie ihre Kinder an ihre mütterliche Brust. Es war ein schmerz- und freudenreiches Wiedersehen; kaum noch erkannten die Kinder ihre Aeltern, die Aeltern ihre Kinder; zwei der letzteren waren seitdem ins Grab gesunken.

Der freudigen Ueberraschungen dieses Tages war noch kein Ende. Nach aufgehobener Tafel nahte eine aus München abgesendete Deputation, bestehend aus den vornehmsten Beamten und den angesehensten Bürgern der Hauptstadt, um den zurückgekehrten Fürsten an der Grenze seines Landes zu bewillkommen. Es befanden sich unter den abgesandten Bürgern Männer, deren Namen noch in ihren jetzigen Nachkommen fortleben: ein Lunglmair, Radlloser, Seidl, Mittermair u. a. m. Noch größer aber wurde die Ueberraschung und das Erstaunen des Kurfürsten, als ihm die Deputation eine Kiste darreichte, in welcher der kostbare Schatz des bayerischen Hauses sich vollständig befand.

Dieser Schatz war in der Residenz zurückgeblieben, und nach der Besetzung der Hauptstadt durch die Kaiserlichen vom Kurfürsten langst schon verloren gegeben; doch treue Bürger und Diener hatten ihn gerettet. Lange war die Kiste im Kloster der Augustiner versteckt, dann bald in diesem bald in jenem sichern Bürgerhaufe verborgen gewesen. Ein Beweis bayerischer Treue und des hochherzigen Sinnes der Münchener Bürger ist es, daß ein Geheimniß, in dessen Besitze so viele waren, in der Zeiten 

langem Laufe so wohl bewahrt blieb, obwohl die Aufbewahrung desselben mit Todesgefahr bedroht war, da die Oesterreicher vom Dasein jenes reichen Schatzes Kunde hatten und alle Mühe und Mittel aufboten, ihn zu erforschen und in ihre Hände zu bekommen.

Des folgenden Tages früh Morgens wurde die Reise nach der Haupt- und Residenzstadt angetreten. Max Emanuel fuhr mit Therese Kunigunde, dem Kurprinzen Karl Albrecht und dem Grafen von Preising voraus in einer sechsspännigen Karosse; die übrigen Prinzen, die München, Abgesandten und der Hofstaat folgten in mehreren anderen Wagen. Die Reise ging über Friedberg, Schwabhausen und Dachau. . Eine unzählige Menschenmenge, begünstiget durch einen wunderschönen Frühlingstag, war aus München bis zu dem eine Stunde von der Hauptstadt entfernten Dorfe Mosach dem zurückkehrenden Kurfürsten entgegen geströmt. Hier hielt an der Landstraße die Hartschiergarde, eine erst kürzlich durch den Grafen Fels wieder errichtete Leibwache. Die Zünfte der Handwerker waren zahlreich ausgerückt, an ihrer Spitze die Tuchmacher mit den zu Alling erbeuteten Waffen, und die Bäcker mit ihrer an dem Tag von Ampfing erinnernden Standarte, wo sie dem großen Kaiser Ludwig dem Bayer das Leben gerettet hatten.

Unter dem Jubel der Münchener nahte die kurfürstliche Familie. Als sie den Burgfrieden der Stadt erreicht, erklangen von allen Kirchenthürmen die Glocken, und vom Gasteigberge herab donnerten die zwölf Geschütze, welche dem großen Kurfürsten Maximilian I. den Sieg auf dem weißen Berg bei Prag hatten erringen helfen, und die 

länger als zehn Jahre während der Oeeupation der Oesterreicher verborgen im Schoße der Erde geruht hatten.

Am Neuhauser- (Karls-) Thore empfingen die Behörden, der Magistrat und die Geistlichkeit den Kurfürsten; an der Letzteren Spitze befand sich der greise und würdige Dekan der St. Peterspfarrei Lorenz Westenrieder, der eine lateinische Rede an den Kurfürsten zu halten begann, allein schon nach den ersten Worten, von Rührung übermannt, in seiner Rede innehalten mußte.

Der Enthusiasmus des Volkes brach in stürmische Lebehoch aus; man spannte die Pferde von des Kurfürsten Wagen aus und Vornehme und Geringe zogen die Karosse in die Kaufingerstraße. Hier aber wurde nach dem Willen des Kurfürsten Halt gemacht,, um sich in die Frauenkirche zu begeben, wo zum Dank gegen Gott ein Tedeum abgehalten wurde.

Nach vollbrachter Andacht bestieg die kurfürstliche Familie wieder ihre Wagen und wurde von dem freudetrunkenen Volke nach dem Schrannen- (Marien-) platze gezogen; dort trat der Bürgermeister mit zwei Rathsherrn an den Wagen, dem Kurfürsten nach altem Herkommen im goldenen Pokale den Willkommstrunk zu reichen. Max Emanuel erhob sich mit dem Becher im Wagen laut rufend: „Heil meinem braven, unerschütterlich treuen Volke! Heil Bayern!"

Huldvoll nahm der Kurfürst die Einladung des Bürgermeisters, ein Bankett, welches die Bürgerschaft an diesem Tage auf dem Rathhause veranstaltet hatte, mit seiner Gegenwart beglücken zu wollen, an. Eine Stunde später erschien die ganze kurfürstliche Familie auf dem Rathhause 

beim festlichen Bürgermahle, dem ein glänzender Ball dortselbst folgte. Der Kurfürst und die Prinzen tanzten dabei mit den Bürgerinnen, und einigen Bürgern ward die Freude vergönnt, die Kurfürstin selbst in die Reihen der Tanzenden zu führen. Spät am Abend erst begab sich die kurfürstliche Familie zurück in die Residenz.

Das war nach einer langen Reihe trüber Jahre der erste glückliche Tag, der wieder über das treue Bayernvclk und über die Stadt München leuchtete.

Schon am 17. Juli 1704, also vor Besehung Münchens durch die Oesterreicher, hatten die Landeskollegien und die Bürgerschaft Gott die Erbauung einer Kirche, der heiligsten Dreifaltigkeit gewidmet, zur gnädigsten Errettung aus den drohendsten Gefahren feierlichst gelobt. Während der verhängnißvollen Zeit am 21. Oktober 1711 wurde der erste Stein dieser Votivkirche gelegt. Die Einweihung der Dreifaltigkeitskirche geschah aber erst durch den wieder zurückgekehrten Landesvater Kurfürst Max Emanuel am 29. Mai 1718. Die Inschrift an dem Portale der Kirche, welche lautet:

Deo trlno ConDIDere Voto
tres dolLI statVs.

(Dem dreieinigen Gott haben aus einem Gelübde die drei bayerischen Stände sie erbaut), ist ein Chronostichen, die Jahrzahl 1714 als das Jahr der Wiederbefreiung des Vaterlandes enthaltend.

Im Innern dieser Votivkirche an der linken Wand neben der Eingangsthüre befinden sich auf einer steinernen Tafel folgende bezügliche Verse:

Die Nachwelt später Zeiten
Soll wissen, was bedeuten

Die Stein und dieß Gebäu,
Warum's erhebet sei!

Von Feind und Gfahr umgeben
Wir Händ und Herz aufheben

Zu Dir in dieser Noth,
Dreieinig großer Gott!

Ein' Kirch Dir zu dem Ende
Geloben wir drei Stände,

Der Bürger, Edelleut',
Und gesammter Geistlichkeit.

Wir haben nichts gelitten,
Wann Du uns auf das Bitten

Ohn aller Menschen Hand
Erhalten von dem Brand.

Dieß Denkmahl dann verbleibe,
In Aller Herzen schreibe:

Die Stadt läg in dem Grund,
Wenn diese Kirch nit stund.

Hundertfünfundzwanzig Jahre waren seit der Sendlinger Mordweihnachten hinübergeschwunden.

Da sah man an einem freundlichen Sonntagmorgen — es war am Anfange Juli des Jahres 1830 — vom Gasteigberge her und aus der Vorstadt Au einen langen Zug mit Kreuz und Fahnen, begleitet von einer großen Menge Volkes, sich bewegen. Ernst schritt dieser Zug, voran die Zimmerleute von der Au, den Zimmermeister Kohlhofen an der Spitze, über die Isarbrücke, über die 

Stätte des ehemaligen rothen Thurmes und über das weite Wiesenfeld der ehemaligen Mordweihnachten gegen Sendling zu.

Zu gleicher Zeit bewegte sich eben so feierlich ein anderer Zug mit Kreuz und Fahnen von Sendling herunter diesem entgegen bis an den Burgfrieden. Es war die Gemeinde Sendling mit ihrem eifrigen und wackern Gemeindevorsteher.

Den, vereinigten Gesammtzug eröffneten acht junge Bauernmädchen in Landestracht, mit weiten Aermeln, weißen Schürzen und Krägen, schwarzgestreiften Miedern mit goldverziertem Bruststück, die langen Haare in Zöpfen um den Kopf gewunden, darüber schöne schwarze, reichlich goldverbrämte Pelzhauben; nach ihnen gingen, die Waisen der in der Schlacht gefallenen Zimmerleute vorstellend, acht in die Landesfarben gekleidete Mädchen aus der Vorstadt Au, alle mit Kerzen in den Händen. Dann folgte der Priester, eine stattliche Anzahl Zimmerleute in Festestracht, endlich Weiber und Kinder, begleitet von einer Menge Volkes.

Es galt der feierlichen Enthüllung des Freskobildes auf der Aussenwand der Kirche zu Sendling, welches die Sendlinger Gemeinde zum Andenken an jene großartige That der Vergangenheit durch den genialen Künstler Lindenschmitt hat malen lassen. Zugleich aber hatten die Zimmerleute von der Au die alte Stiftung zum Gedächtnisse ihrer bei Sendling gefallenen Brüder erneuert, und mit höherer Bewilligung beschlossen, zu eben diesem Andenken alle drei Jahre eine Wallfahrt auf den heiligen Berg nach Andechs am Ammersee zu veranstalten.

Der Zug, in Sendling angekommen, ging um die Kirche herum und den Hügel hinauf, der am Weihnachtstage vor hundertfünfundzwanzig Jahren Schritt vor Schritt ein Leichenfeld war. Dann umstand er den mit einem Waffenstrauße von Sensen, Spießen, Morgensternen, Stutzen, Büchsen und Zimmermannsärten verzierten und mit unzähligen Lichtern und Kränzen geschmückten großen Grabeshügel, der die Gebeine der edlen Vaterlandsmärtyrer deckt. Eine unglaubliche Volksmenge drängte sich Kopf an Kopf in tiefem rührenden Schweigen umher. — Der Priester stellte sich hierauf unten an das Grab und sprach in würdiger Begeisterung von der großen Heldenthat, die hier geschehen. Als er hierauf das Grab nach kirchlichen Gebräuchen eingesegnet, wurde die beschlossene Wallfahrt auf den heiligen Berg bei Andechs angetreten. Zwei von der Gemeinde ausgerüstete, schön verzierte Wägen führten die Kinder dahin.

Diese Gräber mögen uns Bayern aber immer bis in die fernsten Jahrhunderte ein edles Saatfeld der Nationalität, des Patriotismus, der Ehre und der Unabhängigkeit sein!

 

 

 

 

*) Der elende Verräther Etting er blieb unter österreichischem Schutze in seiner Stelle als Pfleger in Starnberg Ja er war im August 1715, vier Monate nach Max Emanuels Wiederkehr, noch in München, von Mar Emannel auf eine unbegreifliche Weise fast besser behandelt, als die aufopferndsten Patrioten. Von jenem Monate an verschwindet Etlinger plötzlich und soll als Pfleger der österreichischen Herrschaft Ort bei Preßburg im Jahre 1732 verstorben sein.


Stadtmodell von Sandtner