Münchner Sagen & Geschichten

Der Schäfflertanz

Mayer - Münchner Stadtbuch (1868)


Ueber den Ursprung dieser Sitte erzählt die Volkssage folgendes. In alten Zeiten regierte in der Stadt München eine große Pest, so daß die Menschen nicht nur in ihren Häusern in Menge hinstarben, sondern selbst auf den Gassen plötzlich todt niedersielen. Keine Hilfe und kein Mittel wollte das Uebel vertreiben; da erkannte man endlich, daß dieses Sterben von einem giftigen Lindwurm herkomme, der in einem Brunnen in der Weinstraße hausete, und dessen giftiger Hauch die Luft verpestete. Es gelang diesen Wurm aus dem Brunnen herauszulocken und ihn zu töten.*) Von diesem Unthiere heißt noch heutige Tages das Eckhaus in dieser Straße gegen den Marienplatz 

Platz zu das „Wurmeck" und ist zum Gedächtnisse der Lindwurm an demselben abkonterfeit. Allein obgleich nach der Tödtung des Unthieres die Seuche abnahm, so waren doch die Furcht und der Schrecken noch so groß, daß lange kein Mensch aus den Häusern zu gehen sich getraute, und von auswärts Niemand in die Stadt zu kommen wagte. Da faßten zuerst die Schäffler wieder Muth, zogen mit Trommel und Pfeifen vor die Häuser und führten mit grünen Reifen Tänze auf, um das Volk zu erheitern und Leben in selbes zu bringen. Seitdem werden zum Andenken diese Tänze alle sieben Jahre wiederholt.

So lautet die Sage. Allein alle diese Handwerksgebräuche gingen aus der Vereinigung der Gewerbtreibenden zu Zünften und Innungen im 13. und 14. Jahrhunderte hervor. Ihre Bedeutung wohl fühlend, suchten diese Zünfte sich durch Gesetze, Zunftordnungen genannt, durch Zucht, Kunst und Ehrenhaftigkeit zu kräftigen. Um dieses einträchtige Zusammenhalten zu befördern, dienten besonders kirchliche und weltliche Festlichkeiten und Ceremonien; die Jahrtage, das Aufdingen, das Freisagen der Lehrlinge wurde mit Gottesdienst, mit Feierlichkeiten und Gastmahlen gefeiert. So entstanden fast in allen Städten Deutschlands Handwerksgebräuche, die im Geiste des Mittelalters und im Interesse der Zunft selbst wurzelten. Der Schäfflertanz, der Metzgersprung u. dgl. stehen daher in München nicht vereinzelt, vielmehr sinden sich ähnliche Zunftgebrauche und Feierlichkeiten fast in allen Städten; ein Küfnertanz wurde jährlich in Frankfurt auf dem zugefrornen Maine gehalten, auch in Salzburg hielten die 

Schaffler alle sieben Jahre ihren Reifleintanz, in Nürnberg verlieh Kaiser Karl IV. im Jahre 1349 den Zünften der Metzger und der Messerschmiede das Recht des Schembartlaufens, wobei der Pickelhering mit Kälberschwänzen bekleidet war. — Die Messerschmide in München gehörten sogar zu den vier privilegirten Bruderschaften im heil, römischen Reiche, die (nächst Wien, Heidelberg und Basel) alle in diesem Handwerke vorkommenden Streitigkeiten für ganz Deutschland entscheiden konnten. — So hielt fast jede Zunft ihren sogenannten „Dinzeltag", wo die „Zunftmannigen" in festlicher Kleidung einem eigenen Gottesdienste in der Kirche beiwohnten, und hernach feierliche Umzüge, besondere Ceremonien und ein Mahl hielten.

Bei dem Schäfflertanze nun ziehen die Münchener Schäffler (anderwärts Küfner oder auch Böttcher genannt) zur Fastnachtszeit, und zwar vermöge eines kaiserlichen Privilegiums, in der alten ehemaligen Tracht der Edelknaben vor die Häuser verschiedener Herrschaften, ihrer Hauptkunden, oder wo solches überhaupt auf Anfragen gegen Bezahlung genehmigt wird, mit Musik, die früher in einer Trommel und Pfeifen bestand. Dort führen sie mit ihren großen mit Buchs und Bändern gezierten Reife», die sie in den Händen halten, einen Contretanz, den großen Achter genannt, auf, wobei sie verschiedene Figuren bilden. Zum Schlusse wird die Gesundheit der Familienglieder, vor deren Wohnung sie tanzten, getrunken, wobei ein volles Glas auf die innere Fläche eines Reifbogens gestellt und mit diesem herumgeschwungen wird.

In früherer Zeit war dabei die sogenannte Gretel in der Butten. Diese war ein Lustigmacher, der vier Karten-Aß auf dem aufgekrämpten Hut hatte, ein ausgestopftes altes Weib in einer Butte auf dem Rücken trug und eine lange Wurst in der Hand hielt, die er den Buben um das Maul schlug. Hiebei wurde nachstehendes Lied mit Trommel- und Pfeifenbegleitung gesungen:

„Gretel in der Butten,
Wie viel gibst du Oa (Eier)?
Um a'n Batzen achte,
Um a'n Kreuzer zwoa.
Gibst du mir nöt mehra,
Als um a'n Kreuzer zwoa,
So b'halt du no dein' Butten,
Und alle deine Oa."

Diese Maske, die Gretel in der Butten, soll der Sage nach daher rühren, weil nach überstandener Pest ein Bauernweib mit Eiern in ihrer Butte sich zuerst in die halb entvölkerte Stadt hinein wagte. Im Jahre 1802 befand sich die Gretel in der Butten zum letztenmal beim Schäfflertanze.


*) Man vergleiche über diese Sage die bereits in dem vorigen Bilde aufgeführte Sage: Der Spiegelbrunnen.


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