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Bautechnischer Führer durch München 1876

II. Epoche der Renaissance.

Es ist der Renaissance eigenthiimlich, dass in ihr nicht die w hrend des Alterthums und Mittelalters tonangebende Architektur, sondern die Plastik und Malerei voranging. In Deutschland ganz besonders schleppte die Baukunst, welche der Gothik um die Wende des 15. und 16. Jahrhunderts noch eine besonders reizende, mannigfaltige und lebendige Nachbliithe entlockte, in dem Grade hinter der Entwicklung des neuen Geistes im Gebiete des Meisseis und Pinsels nach, dass die Malerei sogar ein halbes Jahrhundert ihre architektonischen Hintergründe im Renaissancestyl herstellte, ehe derselbe in wirklicher baulicher Ausführung seine consequente Verwendung fand. Die italienische Hochrenaissance-Architektur konnte nemlich vom Anfang des 16. Jahrhunderts an bei den Italien bereisenden Malern nicht ohne Eindruck bleiben, und klang demnach in ihren Gem lden wieder, w hrend die Architekten in dom z. Th. berechtigten Gefühl, dass ihre mittelalterlichen Leistungen jenen der Plastik und besonders der Malerei entschieden überlegen waren und noch weitere Existenzberechtigung in Anspruch nehmen konnten, sich weniger bemüssigt fühlten, sie sofort gegen die transalpine Kunst zu vertauschen und dort ihre Schule von vorn zu beginnen. So m chtig in Italien die noch zahlreich vorhandenen antiken Reste, wie die nie erloschene Tradition zum Ueberbordwerfen der Gothik dr ngten, so schwach war hiezu die Veranlassung im Norden, wo weder Reste noch Reminiscenzen vorhanden waren, welche der Renaissancebaukunst den Weg bahnten. War übrigens Augsburg die Stadt Deutschlands, wo der unmittelbaren Handelsverbindung mit Italien wegen der Einfluss des Apenninenlandes zu Anfang des 16. Jahrhunderts am frühesten und st rksten wirkte, so befremdet es umsomehr, dass die nur eine Tagreise davon entfernte bayerische Hauptstadt noch so lange hinter der blühenden Nachbarstadt zurückblieb. Als man endlich einlenkte, so fasste man die neue Baukunst mehrere Jahrzehnte lediglich von ihrer decorativen Seite auf, und beth tigte sie ausschliessend in der Innendecoration, und zwar auch hier lange Zeit in der schüchternsten Weise, so dass sich die gothischen Elemente nur ganz allm lig zersetzten. Es ist kein

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