Münchner Sagen & Geschichten

Die Frauenkirche 1468-1488

Mayer - Münchner Stadtbuch (1868)


Schon in der ältesten Zeit der Stadt München bestand da, wo jetzt der ältere Theil der Sakristei der Frauenkirche sich befindet, eine einfache Kapelle, der heiligen Jungfrau Maria geweiht. Obwohl wir über die Zeit ihrer Erbauung keine bestimmte Nachricht haben, so wissen wir doch so viel, daß sie um das Jahr 1200 erbaut wurde, weil ihrer seit dieser Zeit mehrmals in Urkunden erwähnt wird. Dieses Marienkirchlein war in dem damals herrschenden romanischen Style erbaut, hatte drei Altäre und eine Krypta, welch letztere noch gegenwärtig, wenn auch erst in neuester Zeit wieder eingeschüttet, vorhanden ist.

Nach Ablauf von hundert Jahren des Bestandes der Stadt München war aber die Bevölkerung derselben bereits so sehr angewachsen, daß die bisherige Eine Pfarrei St. Peter für die Gemeinde nicht mehr ausreichte. Auf Ansuchen der Bürger Münchens gestattete der Bischof Konrad II. von Freising durch Urkunde vom 

24. November 1271 die Errichtung einer zweiten Pfarrei. Die betreffende Stelle in dieser Urkunde lautet:

Da die Taufgemeinde der Kirche des heil. Petrus in München durch Gottes Gnade ins Unendliche angewachsen ist, so daß sie durch die Leitung eines einzigen Hirten ohne Gefahr der Seelen nur schwer kann regiert werden, und da überdieß der Begräbnißplatz dieser Kirche so eng ist, daß er zur Bestattung der Leichen nimmer hinreicht, so haben Wir nach weiser Berathung und frommer Erwägung,* Gehör gebend den andächtigen Bitten jenes Volkes, die genannte Kirche des heil. Petrus mit ihrer Gemeinde in zwei Pfarreien zum gemeinsamen Wohle der Bürger zu theilen beschlossen mit einer von rechtlichen Männern zu bestimmenden Ausscheidung des Volkes, der Zehenten und des Vermögens, so daß die Kirche der heiligen Maria, welche bis dahin eine einfache Kapelle gewesen, nun einen gesetzmäßigen, Residenz haltenden, mit allen Pfarrrechten versehenen Vorstand habe und eine eigene und ewige Begräbnißstätte gleich einer Mutterkirche besitze. Beide Pfarrer sollen aber Residenz halten, Gastfreundschaft halten nach dem Maße ihres Vermögens, und jeder zwei Gesellpriester halten zur Aushilfe in der Seelsorge, sowie einen Knabenschulmeister."

Als Gränzlinie beider Pfarreien wurde die Kausingergasse bestimmt.

Pabst Gregor X. bestätigte durch zwei Breven im Jahre 1273 diese bischöflichen Bestimmungen.

Es war bereits die Erbauung einer neuen Pfarrkirche ins Werk gesetzt, und wurde dieselbe am Vorabend des St. Katharinentages (1273?) vom Bischofe Konrad II. 

eingeweiht. Dieser neue Tempel war ein gothischer Bau von ansehnlicher Größe, was wir daraus,mit Bestimmtheit entnehmen können, weil um diese Zeit der frühere romanische Baustyl schon überall dem gothischen Platz gemacht hatte, und die neue Pfarrkirche im Chore drei Altäre, den Fron-, Annen- und Kreuzaltar, im Ganzen aber achtzehn, ja später einundzwanzig Altäre , enthielt. So viele Altäre hätten in einer kleinen romanischen Kirche nicht Raum gehabt. Wir kennen die Anzahl und die Namen der Altäre aus den noch vorhandenen Urkunden genau, denn sie wurden von den Herzogen, den Patriziern und andern vermöglichen Bürgern der Stadt fortwährend mit reichen Stiftungen von Meßbenesizien, ewigen Lichtern und Wachsstiftungen dotirt.

Die alte romanische Marienkapelle wurde aber in Folge des neuen Pfarrkirchenbaues keineswegs abgebrochen. Es wurde dieselbe vielmehr nun als Gottesackerkirche verwendet, da die neue Pfarrei auch eine Sepultur erhalten hatte. Da diese Freithofkapellen gewöhnlich dem heil. Michael, als dem Patrone der Sterbenden, geweiht waren, so erscheint das bisherige Marienkirchlein von nun an als St. Michaelskapelle bei U. L. Frau.

Ueber die Lage dieser St. Michaelskapelle haben sich in neuerer Zeit vielfältige Untersuchungen, Zweifel und irrige Ansichten ergeben. Der fleißige Forscher der Topographie der Stadt München, Dr. Nagler, sprach die Meinung aus, dieselbe sei an dem Platze gestanden, wo in der heutigen Frauenkirche sich die Fürstengruft befindet, und diese Gruft sei eben die Krypta der St. Michaels-Todtenkapelle gewesen. Herr Dr. Sighart, der Verfasser einer gründlichen Geschichte der Frauenkirche, gibt wohl die Umwandelung der ursprünglichen Marienkapelle in die St. Michaels-Gottesackerkapelle zu, vermeint aber hingegen, es seien bei Erbauung der heutigen Frauenkirche im Jahre 1468 alle Reste jenes ersten Baues gänzlich verschwunden. — Allein beide Ansichten möchten irrig sein. Diese Kapelle lag urkundlichermassen auf dem Gottesacker gegen das Schulhaus zu, nahe an dem Stadtgraben und Walle, da wo schon damals ein enges Gäßchen, wie noch heut zu Tage, aus der Windenmacher- und Schäfflergasse über ein Brückchen über den Stadtgraben auf den Freithof führte. Die neuere Zeit aber hat uns hierüber vollständige Aufklärung gegeben. Es war nämlich im Jahre 1822, als man bei der damaligen Restauration der inneren Sakristei der Frauenkirche, und zwar bei Herstellung des Bodens auf ein gemauertes Gewölbe stieß. Nach Durchschlagung desselben zeigte sich eine Gruft, welche ganz mit regelmäßig aufgeschichteten Menschenknochen angefüllt war. Wahrscheinlich wurden diese Gebeine beim Baue der jetzigen Frauenkirche im Jahre 1468 und Einlegung des alten Gottesackers in diese Gruft gesammelt und dieselbe zugemauert. Wir haben hier also eine alte Gruft vor uns, welche schon vor Erbauung der jetzigen Frauenkirche bestand. Allein keine alte Nachricht gibt uns Kunde, daß ausser der St. Michaelskapelle noch eine weitere Kapelle mit einer Gruft auf dem Freithofe stand, wir haben auch keinen sonstigen Grund, auch nur mit einiger Wahrscheinlichkeit das Bestehen einer zweiten Kapelle daselbst anzunehmen, und wir kommen daher zu der nothwendigen Schlußfolgerung, daß diese im Jahre 

1822 entdeckte Gruft die Krypta der St. Michaelskapelle gewesen sei, und daß sie daher da stand, wo jetzt die innere Sakristei sich besindet. — Es wäre wohl im historischen Jnteresse höchst wünschenswerth gewesen, daß diese Krypta, deren Erbauung sich bis zum Jahre 1200 zurück erstreckt, und in welcher der große Kaiser Ludwig der Bayer beigesetzt worden war, erhalten und zugänglich gemacht worden wäre; aber leider wurde diese Gruft bei der neuerlichen Restauration der Frauenkirche im Jahre 1858—1862 eingeschüttet und dadurch der künftigen Kenntniß entzogen. Möchte doch bessere Einsicht sie wieder eröffnen und herstellen!

Aber auch über die Lage der alten Frauenpfarrkirche von 1271 haben wir durchaus keine Gewißheit; alle und jede bestimmte Nachrichten fehlen darüber, und es ist daher nicht zu verwundern, daß hierüber verschiedene Vermuthungen von Seite der Geschichtsforscher erhoben wurden. So tauchte erst in neuerer Zeit eine sonderbare Ansicht auf. Als nämlich Anfangs des Monates August 1849 auf dem Frauenplatze Graben gezogen wurden, um die Röhren der Gasleitung einzulegen, kam in der Erde in einer Tiefe von ungefähr 5 Fuß Mauerwerk zu Tage, welches sich in einer Länge von beiläusig 35 Fuß vom östlichen Ecke des Mazarigäßchens an, vor dem Sedaller'schen Hause hin, aufwärts in schiefer Richtung mit der jetzigen Kirche erstreckte. Vom Mazarigäßchen auS führte ein Eingang durch diese Mauer, welche dann weiter gegen das Sporergäßchen zulief. Eine nähere Untersuchung des ganzen Platzes fand nicht statt, was sehr zu bedauern ist. Aus diesen Mauerüberresten 

und namentlich aus dem Umstande, daß die Mauer ziemlich dick ist und die aufgefundenen Vorsatzstücke von gebrannten Ziegelsteinen romanisches Gepräge tragen, schloß der verstorbene Forscher Dr. Nagler, diese Mauer habe der alten Frauenkirche angehört, und letztere fei daher auf dem Frauenplatz e, sohinfüdlich von der jetzigen Frauenkirche gestanden. Allein die Unmöglichkeit dessen und ebenso die Unrichtigkeit dieser Schlußfolgerung ergibt sich schon aus der Ansicht des sehr beschränkten Frauenplatzes. Denken wir uns nämlich die nördliche Wand der Dr. Nagler'schen Frauenkirche nur in einer Entfernung von zwei Schritten neben der jetzigen Kirche herlaufend, so bleibt für die innere Breite dieser Frauenkirche nicht einmal ein Raum von dreißig Fuß. Und in diesem engen Kirchlein das einer Pfarrkirche wenig entspricht, sollen achtzehn, ja später einundzwanzig Altare gestanden haben! Die absolute Unmöglichkeit dessen und also auch die Unrichtigkeit der Nagler'schen Ansicht liegt klar vor Augen.

Wir müssen daher bei der früheren Ansicht stehen bleiben, daß die alte Pfarrkirche an der Stelle der jetzigen Frauenkirche stand, ohne jedoch die Ausdehnung der letzteren gegen Westen zu haben. — Die im Jahre 1849 am Frauenplatze aufgefundenen Mauerreste aber rühren von der ehemaligen Freithofmauer her.

Diese alte Kirche war mit drei Portalen und einem zur Seite stehenden Thurme versehen.

Unter den Stiftungen, welche in dieser Kirche bestanden, ist besonders die des Patriziers Franz Dichtel vom Jahre 1432 merkwürdig, durch welche er die 

Donnerstags-Prozession, die heut zu Tage noch abgehalten wird, einführte,

Von den Werken der Kunst, die in der alten Frauenkirche vorhanden waren, ist ausser einigen Glasfenstern mit den Wappen der Astaller mit der Jahrzahl 1395, der Pütrich und Schrenk, welche in die spätere Frauenkirche übergebracht wurden und noch gegenwartig auf der Südseite derselben zu sehen sind, nur die Kunde von zwei bedeutenden Werken auf uns gekommen. Eines derselben ist noch jetzt, wenn auch in verstümmeltem Zustande, vorhanden, nämlich der Grabstein des Kaiser Ludwig des Bayer von rothem Schlehdorfer Marmor, gefertiget von „Hans dem Steinmeißel" im Jahre 1438, über welchen wir in dem Abschnitte: „Tod und Begräbniß des Kaisers Ludwig des Bayer" bereits das Nähere erwähnt haben.

Das andere aber war ein Altarwerk, von welchem sich leider kein Ueberrest, sondern nur eine sehr mangelhafte und unbestimmte Abbildung in dem bekannten Gemälde über die Vermählungsfeier Herzog Wilhelms V. mit der Prinzessin Renata erhalten hat.

Der Maler Gabriel Angler von München erhielt nämlich den Auftrag, einen neuen Hochaltar in die Frauenkirche zu machen. Er ging eifrig an das Werk, scheint aber oft in Geldnoth gewesen zu sein, denn wir besitzen noch in den Urkunden eine Reihe von Quittungen, die derselbe den Kirchenpröbsten für die abschlägig bezahlten Arbeiten ausstellte. Zuerst im Jahre 1434 läßt er sich von den Kirchenpröbsten Franz Dichte! und Otto Sänftl sechsthalb hundert und zwei rheinische Gulden und hundert 

zwanzig Dukaten geben, „darum er Farb und Lasur gekauft zu Venedig zum Werk, das er machend ist auf unser lieben Frauen Chor." Diese feine Anforderungen um Geld wiederholen sich zwei Jahre lang fortwährend, so daß die Kirchenpröbste sich endlich veranlaßt sahen, zur genaueren Untersuchung über den Fortgang des Werkes eine Kommission, bestehend aus Johann Tulpeck, damals Domherr von Freising und Pfarrer zu U. L. Frau, dem Probst Johannes von Jllmünster und Martin Katzmair, Bürger von München, niederzusetzen, die aber einen für den Meister Gabriel Angler so günstigen Ausspruch that, daß er im Jahre 1436 abermals neunzig Pfund Pfenninge erhielt. Aber noch ein Jahr verschob sich die Vollendung des Werkes. Am Freitag vor Pfingsten des Jahres 1437 haben die Kirchenpröbste nochmals den Maler „freundlich und gnädig aufgericht mit hundert sechsthalb und vierzig Pfund Münchener Pfenninge und vier und sechzig Gulden rheinisch für seine Arbeit am Werk und der Tafel zu unser Frau."

Endlich am Dienstag vor St. Martin des Jahres 1437 ward die Tafel auf den Altar gesetzt. Da kamen die Herrn vom innern und äußern Rath, Werkleute, Maler und Goldschmide zur Besichtigung und Prüfung der ganzen Arbeit, und deren Urtheil ging dahin, daß man dem Maler geben solle, was er verlangt, auf daß ihm vollkommen genügt sei. Acht Tage später gibt der Meister nochmals eine Gesammtquittung und bekennt, „für die Tafel und das Werk, das er in unser lieben Frauen Pfarrkirche zu München mit feinen Gesellen gemacht und das jetzt steht auf ihrem Fronaltar im Chor 

sowie für allen Zeug und Arbeit vom Rath erhalten zu, haben zwei tausend Gulden rheinisch." Zugleich erklärt er aber, daß sie insbesondere noch von ihm gekauft den Tabernakel, der jetzt auf der Tafel steht, und zwar um 275 Gulden rheinisch. Und sofort sagt er die Kirchenpröbste für immer quitt und ledig.

Aus den schriftlichen Urkunden können wir über die Beschaffenheit dieses Altares nur entnehmen, daß es ein gothischer Flügelaltar mit Tabernakel von ausserordentlicher Herrlichkeit gewesen, wofür auch spricht, daß der Künstler drei Jahre lang an diesem Werke gearbeitet und dessen Kosten sich auf die für damalige Zeit ungeheure Summe von 2275 Gulden belaufen haben, während z. B. der große Albrecht Dürer noch im Jahre 1508 für ein Gemälde, auf welchem zweihundert Köpfe vorkamen, nur 200 Gulden erhielt, worüber er sich freilich beklagt.

Leider ist von diesem Altarwerke des Gabriel Angler, obwohl er in den dreißig Jahre später sich erhebenden Neubau der Kirche übergegangen ist, keine Spur mehr vorhanden, und wir werden weiter unten auf sein Schicksal bei Erwähnung der Umänderung des Jnnern der Frauenkirche unter Kurfürst Maximilian I. darauf zu sprechen kommen. — Daß übrigens Gabriel Angler ein anerkannt tüchtiger Künstler gewesen sei, geht aus den städtischen Kammerrechnungen hervor, inhaltlich deren er im Jahre 1443 vom Rathe den Auftrag erhielt, ein großes Bild in die kleine Rathstube zu malen, wofür ihm zwei Tafeln angeschafft wurden. Auch dieses Bild ist spurlos verschwunden.

Zweihundert Jahre war diese Pfarrkirche gestanden, als sich wieder das Bedürfniß eines Neubaues in Folge der immer mehr anwachsenden Bevölkerung der Stadt fühlbar machte. Wir kennen zwar die Volkszahl Münchens in den frühesten Jahrhunderten nicht, aber die erste bekannte Volkszählung von 1580 wies 20,000 Einwohner nach; wir dürfen daher in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhundertes immerhin eine Einwohnerzahl Münchens von beiläusig 16—18,000 Einwohnern annehmen. Zudem hatten sich auch in der alten Frauenkirche schon bedeutende Baugebrechen und Schaden gezeigt, so daß im Jahre 1443 sogar denen, welche die Frauenkirche besuchen und zur baulichen Herstellung Geschenke opfern, ein Ablaß verliehen wurde.

Da entschloß sich der edle Herzog Sigmund, welcher, wie wir in einem vorgehenden Abschnitte gesehen haben, schon im Jahre 1467 auf seine Mitregentschaft freiwillig verzichtet, die Regierung an seinen Bruder Herzog Albrecht IV. abgetreten und sich auf seine Schlösser Dachau, Menzing und Nanhofen zurückgezogen hatte, wo er den Künsten und Wissenschaften, besonders aber der Musik und der Jagd pflegte, auch schönen Frauen hold war, durch Freigebigkeit und Mildthätigkeit aber (denn er war unverheirathet) sich die Liebe des Volkes erwarb, — der Stadt München einen neuen Tempel zu bauen.

In jenen Tagen hatte die Fürsten und das Volk in Bayern eine große Begeisterung zu gewaltigen Kirchenbauten erfaßt. Jm Jahre 1407 hatte die Bürgerschaft in Landshut unternommen, die herrliche Martinskirche mit ihrem weitaussehenden Thurme zu bauen und wurde dieser 

Bau im Jahre 1478'vollendet; in Jngolstadt hatte Herzog Ludwig der Gebartete die Pfarrkirche zu U. L. Frau erbaut; Amberg, Straubing, Wasserburg und Neuötting hatten um jene Zeit ihre großartigen gothischen Pfarrkirchen erhalten; andere Dome, wie die altehrwürdige Münsterkirche zu Moosburg, der Dom in Freising, die Pfarrkirche St. Georg daselbst," wurden erweitert oder mit Anbauten versehen.

Rasch setzte der jugendliche Herzog Sigmund, — er zählte erst 29 Jahre seines Alters, — sein Vorhaben in's Werk. Vor Allem handelte es sich aber um die Mittel zu einem so großartigen Baue. Der Herzog selbst opferte hiezu aus feinem geringen Einkommen, — er war durch seine Freigebigkeit in Schulden gerathen, — so viel er vermochte; die Geldmittel der alten Frauenkirche wurden flüssig gemacht und mehrere jährliche Gilten verkauft, und endlich wurde auf die Begeisterung der Münchener durch Beihilfe von Geld und Arbeit gerechnet. Mit solchen geringen und unsichern Mitteln ging man damals an ein so riesenhaftes Werk! Nur standhafter Muth und festes Vertrauen auf Gott konnte ein solches Unternehmen beginnen und, trotz aller Schwierigkeiten fortführen lassen.

Als Baumeister wurde der wackere Maurermeister Jörg von Halsbach ernannt, der auch den Plan zur neuen Kirche sertigte. Letzterer ist leider verloren gegangen. Der Baumeister wird in den Rechnungen gewöhnlich einfach Jörg der Maurer genannt, in einem Dokumente von 1475 heißt er Maister Jörg von Polling, Maurer, auf seinem in der Kirche vorhandenen Leichensteine Maister Jörg vonHalsspach, und unter seinem 

Bildnisse in der Kirche steht Jörg Gankoffer. Wahrscheinlich ist letzterer sein Familienname; ob er aber aus Polling oder aus Halspach stamme, bleibt dahingestellt.

Am 9. Februar 1468 Nachmittags zwischen zwei und drei Uhr wurde der Grundstein auf der Ostseite der Kirche feierlich gelegt, und von dem Bischofe Johann IV. von Freising, aus dem Patriziergeschlechte der Tulpeck von München, eingesegnet. Das Fragment der Chronik eines gleichzeitigen Mönches erzählt diese Grundsteinlegung also: „Unser Frauen-Sonntag nach Lichtmeß von Apollonia, den neunten Februar.

Am besagten Tag hat unser gnädiger Herr Herzog Sigmund von Bayern gelegt den ersten Stein des löblichen Baues unser lieben Frauen-Pfarrkirche zu München. Denselben Bau man Gott in Lob und Ehre und in die Ehre der lobsamen Jungfrauen Maria angefaugt hat von Neuem und eine größere Kirch von Mehrung des Volks wegen, den die alte Kirch zu eng war, zu vollbringen. Gott der Allmächtige verleihe und gebe gnädiglich die Gnade, daß der löblich und seliglich und ohn männiglich Schaden des Leibs vollbracht werde. Amen. Und waren der Zeit Pfarrer der benannten Pfarrkirchen Meister Ernst Püttrich und Kirchprobst Martin Katzinair vom innern Rath und Andre Sanftl vom äußern Rath. Und zu dem Stein zu legen wurde löblich geläutet, und kam dazu viel männig des Volks zwischen zwei und drei Uhr des Nachmittags; es kam dazu der Pfarrer mit feiner .Priesterschaft löblich mit dem Weihpronnen und Rauch, zu sprengen und zu rauchen den Grund und Gestein."

Und nun begann der Bau. „Meister Jörg, der Maurer 

von gemeiner Stadt," erhielt am Sonntag Oeuli (20. März) 6 Schillinge 27 Pfenninge Haftgeld, und dann vierteljährig als Sold 2 Pfund Pfenninge; dazu kam aber noch der Taglohn, wenn er im Dienste der Stadt arbeitete. Dieser bestand nach Satz und Ordnung im Sommer in 28, im Winter in 24 Pfenningen; der Gesell erhielt 26 und 22 Pfenninge.

Vor Allem mußten, um den nöthigen Raum zu gewinnen, die entgegenstehenden Baulichkeiten abgetragen werden, daher zuerst die St. Michaels-Freithofkapelle entfernt und die darunter befindliche Krypta, wie schon oben erwähnt, zugemauert wurde. Wahrscheinlich begann sodann der Bau im Südosten der Kirche mit Ausführung des Grundes beim vordern Südportale; denn erst gegen den August hin kam man mit der Grundlegung auch gegen den Nordwesten der alten Kirche. Dortselbst stand der freistehende Thurm der alten Kirche, welcher auch entfernt werden mußte. Darüber berichtet uns derselbe Chronist folgendes:

„Des Thurms zu unser Frauen. Prima Augusti. Jtem den hat man untergraben und pelzt und an dem Tag niedergeworfen und ging durch schlechts auf einander nieder ohne Schaden des Pfarrhofs und ward ein groß Koth und Gestein übereinander und wurde dasselb durch die Menig des Volks, Mannen und Frauen, fast Edlen und Unedlen, Arm und Reich, Burgerin und ander Frauen und Jungfrauen, jung und alt, klein und groß, mit viel gieriger Müh und Arbeit andächtiglich Alles ob der Hofstatt geräumt und getragen, alles bei 10 Tagen."

Der Bau schritt nun mit möglichster Beschleunigung 

rasch vorwärts. Dennoch hatte er mit manchen Schwierigkeiten zu kämpfen. Gleich Anfangs ergab das Material viele Anstände, indem die Münchener Hafner, zu deren Gewerbe auch das Ziegelbrennen damals gehörte, die Ziegelsteine nur von geringer Güte lieferten. Es mußte daher erst auswärts die nöthige Erfahrung und Kenntnis; dieser Kunst erholt werden, und sah sich der Magistrat überdieß genöthiget, selbst einen Ziegelstadel zu errichten. Nunmehr wurden die Ziegelsteine mit aller Sorgfalt bereitet und dreimal gebrannt, wodurch sie jene Härte und Festigkeit erhielten, die wir noch jetzt an der Frauenkirche bewundern. Die Volksfage aber, daß der Mörtel mit Wein angemacht worden sei, ist lächerlich und entbehrt alles Grundes. Aber auch Meister Jörg scheint Mißtrauen in seine eigene Kraft und Kenntniß gesetzt zu haben und in schwere Sorgen ob der Ausführung des schwierigen Werkes gerathen zu sein. Da nahm er sich vor, „etliche Paue" zu beschauen. Der Magistrat billigte sein Vorhaben und unterstützte es bereitwillig; nicht nur der nöthige Zehrpfenning zur Reise wurde dem Meister Jörg, gereicht, sondern auch seinen Taglohn bezog er während dieser Zeit fort, da die Fahrt ja im Dienste und zum Nutzen der Stadt geschah; zudem wurde ihm, damit er als der Stadt München Werkmeister desto stattlicher auftreten könne, auch ein Stadtsöldner zum Begleiter mitgegeben. Er ging nun zuerst nach Augsburg, wo eben an der im Jahre 1467 begonnenen St. Ulrichskirche gebaut wurde, und von da nach Ulm, dessen Münsterbauhütte so lange berühmt war und in großem Rufe stand.

Als Meister Jörg im Frühjahre 1470 wieder nach 

München zurückgekehrt war, wurde mit erneuerter Thätigkeit der Bau der Frauenkirche fortgesetzt, so daß im Herbste 1473 die Mauern schon eine Höhe von 115 Fuß erreicht hatten. Aber die Ausführung des Gewölbes brachte dem vorsichtigen und ängstlichen Meister neue Sorgen. Der Magistrat, die Schwierigkeit und Wichtigkeit des gewaltigen Baues wohl ermessend und die vorgebrachten Vorschläge des Meisters Jörg, das Urtheil anderer tüchtiger Meister zu erholen, würdigend, sendete Anfangs des Jahres 1474 Söldner und Boten aus, „um von Unser Frauen Pfarrkirchenbaues wegen etlich Meister zu werben. Auf die freundliche Einladung erschienen nun in München mehrere weitberühmte Baumeister, zuerst Moriz Ensinger, Münsterbaumeister in Ulm, in der Kunst des Gewölbebaues wohl erfahren, ferner Konrad Roritzer, der berühmte Dombaumeister von Regensburg, der auch schon früher dem Baue der St. Lorenzerkirche in Nürnberg vorgestanden, Friedrich, der Baumeister der herrlichen Unser Frauen-Pfarrkirche in Jngolstadt, und Meister Michel von Pfarrkirchen. Reiflich prüften sie den Plan unseres Meisters Jörg, und erwogen die eingewendeten Bedenken; endlich kamen sie überein in den strittigen Punkten und deß war unser Meister Jörg gar froh. Die Stadt bezahlte den fremden Meistern ihre Reise- und Zehrungskosten, und gab ihnen auch noch vor dem Scheiden ein fröhliches Gelag, das für sie und Meister Jörgs Gesellen ein Pfund und sechs Schilling Pfenninge kostete.

Aber nach einiger Zeit trat eine noch größere Schwierigkeit ein, nämlich die Herbeischaffung der nöthigen Geldmittel. Die Kirchenpröbste hatten viele jährliche Gilten 

und Jmmobilien um eine für damalige Zeit nicht unbedeutende Summe von beiläufig 4500 Gulden verkauft. Diese Summe, sowie die von Privaten gebrachten Opfer waren zum Bau schon aufgewendet und die Quellen des Herzoges Sigmund waren auch schon beinahe versiegt; aller Geldvorrath war bereits erschöpft, ja beträchtliche Schulden waren schon gemacht und wie weit hatte der Bau noch bis zu seiner völligen Vollendung, welche Kosten nahm derselbe noch in Anspruch! Schon war der Bau einige Zeit lang eingestellt. In dieser Bedrängniß wendeten sich die Kirchenvorstände mit Bewilligung Herzogs Albrecht IV. mit einer Bitte nach Rom. Diese Bitte fand Gehör. Pabst Sixtus IV. erließ im Jahre 1479 ein Breve, in dem er allen Gläubigen, die zum Ausbaue der Kirche so viel Beisteuer in eine vom Kirchenvorstand und den Pröbsten aufgestellte Buchse entweder in klingendem Gelde oder an Geldeswerth legen würden, als Jeglicher durch acht Tage zum Lebensunterhalte brauche, nach Empfang der heil. Sakramente einen vollkommenen Ablaß in Form eines Jubiläums von Sonntag Lätare bis zum Sonntag Judiea ertheilte, und zwar sollte dieser Ablaß drei Jahre nach einander zu gewinnen sein. Eine alte Aufschreibung berichtet uns über dieses Jubiläum folgendes:

„Das sing sich an tausend vierhundert und in dem achtzigsten. Da brachten am Samstag vor Lätare zur Vesperzeit die Suffraganen von Augsburg und Briren im Geleit der Klöster und etlicher Priesterschaft die päbstliche Bulle und trugen sie unter dem Himmel mit löblicher Prozession bis auf die Mitte des Marktes; der entgegen ging der Pfarrer von Unser Frauen in löblicher 

Prozession auch auf die Mitte des Marktes und empfing die Bulla knieend mit großer Löblichkeit und trugen sie unter Glockengeläute in den Dom.

„Allhie geschahen nun zum allermindesten alltag zwei oder drei Predigten. Setzten auch eine Truhe vor des Kaisers Altar in den Chor, darin legte man das Geld, Jeglicher so viel, als Einer eine Woche zu verzehren nothdürftig wäre. Die Truhen trug man alle Nacht in den innern Sagrar. Dazu wurden gesetzt zwei Priester und zwei vom äußern Rath."

Aus allen Gegenden, von nah und fern, eilte nun eine große Menschenmenge herbei, die Gnaden der Kirche zu empfangen. Bei zweihundertundsiebzig Beichtväter waren bestellt, die aßen alle im Pfarrhofe und wurde ihnen Atzung gegeben. Es hatte auch Jedermann Sicherheit und Geleite; dazu hatte man alle Nacht vierhundert Wappener und dabei den Pfäntermeister und den Hauptmann vom äußern Rath und zwei Junggesellen; bei Tag aber nur fünfzig. Unter jedem der vier Hauptthore lagen acht Mann, die drei Nebenthore wurden gesperrt. Zur Zählung der fremden Pilger waren unter den vier Thoren eigene Leute bestellt, die legten allemal für jeden hereingehenden Menschen eine Erbse in einen Hafen, „und zählt man sie zu Nacht eigentlich ab." Auch zündete man alle Pfannen an und ordnete von jedem Handwerk ihrer Zwei, die umgingen, den Leuten Herberg zu beschicken. Der Beichtenden war eine solche Menge, daß die Beichtbriefe immer wieder vergriffen waren, und Einer „oft um Brief gen Augsburg" laufen mußte, wo selbe „gemalt" wurden. Jm ersten Jahre 1480 kamen über 65,000 Menschen, 

im zweiten 24,000, im dritten 34,700, so daß die Zahl aller in den drei Jahren herbeigeströmten Pilger auf 123,700 sich belief. Am stärksten war der Zudrang durch das Jsarthor, durch welches allein 75,490 Menschen eintraten. Der Ertrag des ersten Jahres in allen Münzsorten an Gold und Silber betrug 9,376 Gulden 72 Pfenninge rheinisch; der des zweiten Jahres nur 2,083 Gulden 4 Schillinge und 29 Pfenninge, der des dritten Jahres 3,772 Gulden 3 Schillinge 19 Pfenninge, so daß im Ganzen in diesen drei Jahren 15,232 Gulden 4 Schill, eingegangen waren.

Jm Jahre 1483 mußte abermals der Pfarrer Kaspar Eytlinger von Fürholzen im Auftrage nach Rom reisen, und erwirkte dort durch den päbstlichen Legaten auch dießmal die Gnaden des Himmels durch eine Beisteuer, wofür „die Kirche Unser lieben Frauen mit Lichtern, Büchern, Kelchen und Ornamenten versehen werden kann."

Der Bau war inzwischen soweit vorgerückt, daß man schon einzelne Kapellen und Altäre im Westtheile der Kirche einweihen und zum Gottesdienste verwenden konnte, so die neue Kapelle der heiligen Katharina, der Ottilien Altar, vor welchem bald darauf der Bischof Johann Tulpeck seine Grabstätte erhielt; ferner die Altäre des heil. Aegidius, Dionysius und andere. Die alte Frauenkirche, die jetzt entbehrlich wurde und dem Ausbau der neuen Kirche, namentlich der Säulen, im Wege stand, wurde nunmehr abgebrochen. Jrrig ist daher die Meinung des Dr. Nagler, wenn er annimmt, daß die neuen Messenstiftungen noch in die alte Kirche gemacht und daß Bischof Tulpeck und der blinde Organist Paumann 

(nicht Paulmann) noch in der alten Kirche begraben worden seien.

Den Grabstein des Bischosts Johann Tulpeck, ein Meisterstück mittelalterlicher Kunst, haben wir oben in dem Abschnitte über die „alten Münchener Geschlechter" schon erwähnt; es sei uns vergönnt, hier auch jenes des Paumann kurz zu berühren. Dieser Paumann war berühmt als Orgel-, Violin-, Cither- und Flötenspieler, wie auch als Meister auf der Trompete; er ward ob seiner Kunst von mehreren Fürsten berufen, von Kaiser Friedrich III. mit einem golddurchwirkten Kleide, einem Schwerte mit goldenem Gehänge und einer goldenen Kette beschenkt und in den Adelstand erhoben. Vom kunstliebenden Herzog Albrecht IV. hatte er einen Jahrgehalt von 80" Gulden rheinisch. Seine Grabstätte befindet sich an der Südseite der Kirche links vom vorderen Portale, und auf dem Grabsteine, wo er Orgelfpielend, umgeben von einer Harfe, einer Laute und einer Flöte abgebildet ist, steht folgende Jnschrift: „Anno 1474 an St. Pauls Bekehrungs-Abend ist gestorben und hie begraben der kunstreichist aller Jnstrumenten und der Musika Meister Conrad Paumann, Ritter, bürtig von Nürnberg und blind geboren. Dem Gott Genad."

Jm Jahre 1477 hatte die Aufstellung des Dachstuhles begonnen. Hiezu wurde Heinrich der Zimmermeister von Straubing berufen, welcher schon am Allerheiligen Abend 1470 auf zehn Jahre in der Stadt Dienste getreten war. Als Sold erhielt er vierteljährig zwei Pfund Pfenninge, und zu Psingsten noch eigens zwei Pfund Pfenninge für Holz- und Schaitengeld, dann jährlich einen 

Rock gleich andern Amtleuten, der Stadt und freie Herberge; für die Werktage, wenn er arbeitete, 28 Pfenninge und zudem sonntäglich 8 Pfenninge Badegeld, denn die Bäder waren im Mittelalter, wo man noch weniger mit Wasche und Kleidung wechselte, nothwendig und sehr im Gebrauche.

Im Jahre 1488 wurde der letzte Stein am Mauerwerke vom Meister der Kirche gesetzt, und wir sehen nun nach zwanzig Jahren den Riesenbau unserer Frauenkirche vollendet. Nach vollbrachter Arbeit schied der Meister noch im nämlichen Jahre aus der Welt und wurde im südlichen Glockenhause in eben der Kirche zur Erde bestattet, die sich als das erhabendste und sprechendste Monument über seinem Grabe erhebt. Seine Grabschrift lautet:

,,Anno domini 1488 am Montag nach St. Michelstag starb der Meister Jörg von Halspach, Maurer dieß Gotzhaus unser Frauen, der mit der Hilf Gottes und seiner Hand den ersten, den mittlern und letzten Stein hat vollführt an diesem Bau. Der leit hie begraben und Margret sein ehliche Hausfrau. Den Gott genädig sei."

Sein Bildniß, das an einem Pfeiler vor dem südlichen Glockenhause sammt dem des Zimmermeisters hängt, zeigt einen altersgrauen Mann mit milden gutmüthigen Zügen.

Die beiden kolossalen Thürme, obwohl zu bedeutender Höhe emporgestiegen, waren aber noch unvollendet. Wahrscheinlich verhinderte nach dem Tode des Meisters der völlige Mangel an Baumitteln den Ausbau derselben, und zudem erschien es zunächst dringender, den inneren Ausbau und die Ausschmückung der Kirche vorzunehmen. Die beiden Thürme wurden daher einstweilen nur mit einem 

Nothdache von Holz gedeckt, wie aus einer vorhandenen Abbildung der Stadt aus jener Zeit zu sehen ist. Erst um die Jahre 1512—1514 schritt man wieder an den Ausbau der Thürme und man sieht daher auch bei der Uhr die Jahrzahl 1514 angebracht. Aber es war in dieser kurzen Zeit bereits eine ganz andere Geschmacksrichtung in der Kunst angebrochen, die Gothik war verschwunden und an ihre Stelle trat die Renaissanee. Die beiden Thürme erhielten daher nun die runden Kuppeln, damals „welsche Hauben" genannt, welche sie noch tragen.' Dagegen aber wurde das oben besprochene wunderherrliche Tafelwerk des Meisters Gabriel Angler in die neue Kirche übergetragen und auf den Hochaltar gesetzt.

Die vollendete Ausschmückung der Kirche mit Altären, Gemälden, Glasfenstern, Glocken und Paramenten zog sich aber wohl noch mehrere Jahre hin, so daß die Einweihung der Kirche durch den Bischof von Freising erst am 14. April 1494 erfolgen konnte. Die große Salveglocke war aber schon im Jahre 1493 vom hohen Thurme erklungen. Diese Glocke, 125 Zentner schwer und sieben Schuh drei Zoll im Durchmesser haltend, trägt folgende Umschrift.

„Susanna heiß ich, in Jesus und Lukas, Markus, Matthäus und Johannes Namen goß man mich. Der durchleuchtig hochgeborne Fürst und Herr Albrecht Pfalzgraf bei Rhein und Herzog in Ober- und Niederbayern war Stifter mein. Von Regensburg her brachte man mich. Die bösen Wetter vertreib ich, den Tod erwehre ich. Hanns Ernst goß mich, als man zählt von Gottes 

Gepurt tausend vierhundert und drei dem neunzigsten Jahr, tetragrammaton."

Ein Jahrhundert war unsere Frauenkirche gestanden, als mit Anfang des siebzehnten Jahrhundertes eine allgemeine Sucht um sich griff, die alten gothischen Dome im Sinne der Renaissanee zu „verschönern", und ihre ganze frühere Herrlichkeit zu zerstören. So erging es in München nicht nur mit der alten gothischen von Ludwig dem Strengen im Jahre 1291 erbauten Augustinerkirche, der alten gothischen St. Peters-Pfarrkirche und der in den Jahren 1480—1485 erbauten Kreuzkirche; auch unsere Frauenkirche erlitt gleiche Unbilden. Zuerst geschah im Jahre 1601 die erste Ausweißung der ganzen Kirche, welche vom 15. April bis 16. Oktober dauerte, wodurch alle Freskogemälde übertüncht wurden. Jm Jahre 1604 wurde das alte gothische Kirchengestühl mit seinen lieblichen Ornamenten fortgeschafft und durch ein neues unförmliches ersetzt. Jm Jahre 1605 wurde in der Mitte der Kirche ein kolossaler Rundbogen, gegossen in einem Tage aus Gyps, im römischen Style errichtet, um angeblich der ungeheuer langen Kirche die Einförmigkeit zu benehmen! Auf diesen Bogen wurde eine hölzerne Kuppel mit einer ein Crucifix enthaltenden Laterne aufgesetzt, und der Bogen selbst ausgeschmückt mit mittelmäßigen Fresken von Peter Candid. — Jm Jahre 1609 wurden sämmtliche alte gothischen Altäre herausgerissen und zertrümmert, und dafür ganz neue höchst geschmacklose und zopfige Altäre im Style der Renaissanee errichtet. Dieses traurige Schicksal traf leider auch das 

herrliche Tafelwerk des Gabriel Angler, welches wahrscheinlich gänzlich zertrümmert, spurlos verschwand. Statt dessen ward ein prunkender Hochaltar, 90½ Fuß hoch und 30 breit, nach dem Entwurfe des Hofmalers Peter Candid erbaut, mit reicher Vergoldung, zwei den Aufsatz tragenden Säulen korinthischer Ordnung, und dem von Peter Candid selbst gemalten großen Bilde der Himmelfahrt Mariä. Sogar das einfache Grabmal des Kaisers Ludwig sagte dem modernen Geschmacke nicht mehr zu; im Jahre 1622 wurde über dem alten Grabstein ein schwerfälliger, plumper, im römischen Renaissaneestyl gehaltener Bau von schwarzem Marmor geführt, geschmückt mit halbnackten allegorischen Figuren und heidnischen Emblemen, der die schöne gothische Kirche im höchsten Grade verunstaltet. Hiemit schloß aber glücklicherweise die begonnene „Verschönerung" der Frauenkirche. Wahrscheinlich verhinderte nur die große Höhe der Kirche, daß nicht, wie solches in andern Kirchen geschah, die Gewölberippen ausgeschlagen, die Spitzbögen des Gewölbes und der Fenster zu Rundbögen ausgemauert und mit Stukkatorarbeit von Gypsschnörkeln ausgestattet wurden!

In diesem Zustande blieb die Frauenkirche bis in die siebziger Jahre des vorigen Jahrhundertes, wo ein neuer Verschönerungsschwindel hereinbrach. Jm Jahre 1772 mußten die alten würdigen Kirchthüren den noch gegenwärtig prangenden ganz geschmacklosen Zopfthüren weichen, die der Münchener Bildhauer Jgnaz Günther um hohen Preis verfertigte; die Kirche wurde wiederholt ausgeweißt, im Jahre 1774 wurden die herrlichen Holzschnitzereien des Chorgestühles mit Oelfarbe überschmiert. Ja die alten 

Fenster konnten nicht mehr genügen, weil sie wegen der vielen Glasgemälde und der Menge Blei zu große Finsterniß in der Kirche verursachten. Ein Theil der Glasmalereien wurde daher entfernt und in Kisten auf das Langhaus gebracht, wo sie größtentheils zerschlagen wurden, die übrigen aber wurden aus den Fenstern herausgenommen, geputzt und ziemlich sinnlos wieder zusammengesetzt. Endlich im Jahre 1777 wurde die alte gothische Kanzel, die am längsten noch allen Stürmen des Zeitgeistes und der Barbarei getrotzt hatte, abgebrochen und durch einen von dem Hofbildhauer Roman Boos geschnitzten plumpen Kasten ersetzt.

Die gründliche Verballhornung der Kirche war somit vollendet.

Aus der Mitte des vorigen Jahrhundertes stammt eine sonderbare und räthselhaft klingende Nachricht über den Fund einer gläsernen Lampe in der Frauenkirche. Diese seltsamen Umstände finden sich in „Dissertation sur une lampe antiquw, trouvée à Munich en -#annèe 1753, écrite par Mr. le Prince de St. Sévère. A Naples, 1756. 4.“ Der Verfasser erzählt folgendes:

„Es war im Jahre 1753, als die Zeitungen die Nachricht mittheilten, es sei in München, als man in der Frauenkirche ein unterirdisches Gewölbe erweiterte, in einem Pfeiler eine noch brennende Lampe eingemauert gefunden worden. Da mir der Fund in Bezug auf mein Lieblingsfach, die Chemie, sehr interessant war, so suchte ich die genauesten Erkundigungen einzuziehen und war so glücklich, durch Herrn Grafen von Wackerbart ein in Holz sehr genau verfertigtes Modell jener Lampe, sowie einen 

Theil des in demselben vorgefundenen Spiritus zu erhalten.

„Die fragliche Lampe bildet eine sogenannte Karaffe, ist aus grünem Glase, 6 Zoll 8 Linien Pariser Maßes hoch, oben 2 Zoll 2 Linien und unten 2 Zoll 9 Linien breit. Als man sie fand, war sie theilweise mit einer trüben fleischbrühähnlichen Mäßigkeit angefüllt. Der Docht war, wie die Finder aussagten, die ihn sogleich wegwarfen, von einer unbekannten graulichen Masse. Der Bodensatz rührte von dem verbrannten Phosphor her. Die Oeffnung des Glases war mit einem gelben Wachse, das die Dicke einer Linie hatte, hermetisch verschlossen."

Ohne der Wahrheitsliebe des Herrn Prinzen von St. Sévère im Geringsten nahe treten zu wollen, scheint offenbar die ganze Nachricht auf einem Irrthum oder einer Täuschung zu beruhen. Es ist eine absolute Unmöglichkeit, daß ein Licht, eingeschlossen in eine hermetisch verschlossene Lampe, also dem Zutritte der zum Brennen unumgänglich nothwendigen atmosphärischen Luft gänzlich entzogen, auch nur längere Zeit, geschweige denn mehrere Jahrhunderte lang brennen könne. Wahrscheinlich fiel beim Eröffnen der Mauerhöhlung ein Strahl entweder des Tageslichtes oder der angezündeten Lichter auf die gläserne Lampe und verursachte dadurch die optische Täuschung, als brenne in der Lampe ein Licht, oder es waren an diesem Orte verwesende Körper, die nun beim Zutritte der Luft einen phosphoreseirenden Schein von sich gaben.

Jedenfalls aber fehlt zur Würdigung dieser seltsamen Sache leider die genaue und chemische Untersuchung des 

Dochtes und der in dem Glase noch vorhanden gewesenen trüben Flüssigkeit. Wir haben hier die Nachricht gegeben wie sie vorliegt, und lassen bei dem Mangel aller weiteren Nachrichten darüber die Sache dahin gestellt.

Wir wenden uns nach dieser Abschweifung wieder zur Kirche.

Der neueren Zeit erst war das wiedererwachende Verständniß der altdeutschen Art und Kunst vorbehalten. Damit stellte sich auch bald das Bedürfniß heraus, unsere herrlichen mittelalterlichen Dome vom Unrathe und den Unbilden der Zeit zu reinigen und sie im Sinne und Geiste der Zeit, die sie geschaffen, wieder herzustellen, und sie, wo unausgebaut, zu vollenden. In Folge dessen sahen wir in unserem deutschen Vaterlande die Restauration der romanischen Dome von Bamberg und Speier, der gothischen Münster von Regensburg, Ulm und mehrerer kleineren Kirchen, endlich den wieder aufgenommenen Ausbau der Dome zu Köln und Regensburg. Auch unsere Frauenkirche zu München konnte nicht verwaiset zurückbleiben und sie war einer Restauration auch würdig. Denn entbehrt sie auch jener Mannigfaltigkeit der Verhältnisse, der Leichtigkeit des Aufbaues, des Reichthumes und der Zierlichkeit der Ornamentik, welche die Bauwerke der früheren Gothik auszeichnen, so besitzt sie doch eine machtig ergreifende Schönheit in ihrer eigenthümlichen Erhabenheit, Einfachheit, Majestät und Kraft.

Diese Erneuerung geschah auch.

Im Jahre 1858 begann, durch freiwillige Beiträge ermöglichet, die Restauration. Es wurde der über den Kreuzaltar gespannte gypserne römische Rundbogen 

abgebrochen und wurden sammtliche Altäre, der plumpe Kanzelkasten und überhaupt alle stylfremden Zuthaten späterer Zeit entfernt. Statt deren erheben sich jetzt neue prachtvolle gothische Altäre und Kanzel im Sinne und Geiste der alten Zeit, und die alten kunstreichen Chorstühle sind in ihrer früheren Schönheit wieder hergestellt. Die Restauration ist zwar gegenwärtig (1867) noch nicht vollendet; aber es prangt unser Dom schon jetzt wieder als herrlicher Zeuge der Kunst und Kraft unserer Vorfahren in seiner gewaltigen Würde. Möge das Werk bald zu seinem Ziele gedeihen!

Eine Aufzählung und Beschreibung der neuen Kunstwerke liegt aber nicht im Zwecke dieser Blätter.


Wir müssen draußen bleiben