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Trautmann - Die Alt-Münchner Wahr- und Denkzeichen (Seite 117)
Blickt Einer so zu alten Häusern hin auf, sonderlich wenn ein handsamer Erker daran ist, so wird er unwillkürlich an Die erinnert, welche da früher weilten; gleichviel, ob er davon Namen und Weiterem Bericht habe.
So viel ist einmal doch gewiß, daß da oben Freud´und Leid waltete, wie es eben heut' zu Tage noch ist und in allen Zeiten der Fall sein wird im Wechsel des Geschickes dieser Welt.
Aber weit eben der Gebanke, daß die Alle mit den oft gar wichtigen Einzeln-Ereignissen ihres Jahrhunderts versunken sind, der Betrachtung noch einen besonderen Hintergrund verleiht, so bleibt das Auge oft viel länger haften, als an Gebäuden unserer Tage. Das irdische „aus und nimmer da" so vieler Menschen wirkt also an sich bedeutend genug nun erst, wenn Die, welche da oben waren, geschichtlich bekannt sind, in der Welt eine hohe Stellung einnahmen und gleichwohl viel Bitteres zu oft wenig Süßem erleben mußten, bis sie ihre gesetzte Aufgabe gelöst hatten und zur Ruhe eingehen durften.
Ein solches Haus mit einem solchen Erker, bei welchen gar oft das Letzte eintraf, ist zu München der alte Hof oder die Ludwigsburg. Diese ward vom Herzog Ludwig dem Strengen begonnen und dann vom Kaiser Ludwig dem Bayern, seinem Sohne, ganz weit und groß gebaut.
Daß der Theil mit dem Erker zuerst aufgerichtet wurde, mag wohl außer Zweifel sein. Was nun den letzt genannten, mit seiner Spiße nach oben und unten, anbelangt, so galt er schon in älteſten Zeiten für ein schönes Wahrzeichen, und so wohl früherhin Niemand gen München kam, der sich nicht den Grabstein Kaiser Ludwigs des Bayern in der I. Fr. Kirche angeschaut hätte, eben so wenig versäumten die aus Nähe oder Ferne Kommenden, in die Ludwigsburg zu gehen und sich das besagte Thürmchen zu betrachten, davon es hieß: „ Was strebt rastlos auf zum Himmel und will dannoch immer zur Erde - und also fast es fliegt, seind ihm doch die Flügel gebunden - also was ist das? ".
Nun hab' ich da seine Absicht, viel von der Geschichte alter Zeiten vorzuführen; aber im Kurzen muß ich dennoch andeuten, wer ungefähr da in jenem Erker, gleich im ersten Gaben oder weiter oben, in früheren Jahrhunderten etwa allein, oder mit Anderen geseßen, gesprochen oder herabgeschaut habe in den Burghof; es mochte auch manche zierliche Arbeit daselbst geschaffen, oder in mancher alten Chronik, Legende oder dergleichen gelesen worden sein.
Da weilte also wohl zuerst Herzog Ludwig der Strenge selbst, wahrscheinlich auch schon die unglückselige Maria von Brabant, seine erste Gemahlin, die er am 18. Jänner Ao .D. 1256 zu Donauwörth in seiner ungerechten Eifersucht hinrichten ließ. Von seiner zweiten Gemahlin Anna von Schlesien ist es noch viel wahrscheinlicher, ganz gewiß aber von seiner dritten, der Mechtildis, Kaiser Rudolphs von Habsburg Tochter. Nächst verbrachten die Söhne und Töchter desselben Ludwig ihre Jugend in der Burg, so weit sie gebaut war.
Möglicherweise also schon der eine Sohn Ludwig, welcher bei einem Turnier zu Nürnberg Ao. 1290 von einem Grafen Grato von Hohenlohe durch einen Lanzenstoß vom Leben zum Tode gebracht wurde; jedenfalls aber der Rudolph, welcher später, nach vielen Zerwürfnissen mit seinem Bruder Ludwig, Bayern verließ und in der Fremde starb - dann dieser Letztere, - desgleichen die Mechtilde, welche nach Lüneburg, die Anna, welche nach Sachsen heirathete und noch eine Andere, deren Namen man nicht mehr genau weiß, aber wohl so viel, daß sie in's Kloster ging - nach Ulm.
Alle diese recht merkenswerthen Fürstenpersonen waren wohl dann und wann im fraglichen Erker, sahen hinab in den Burghof, wo die Wehrleute rauschten, die Hofdiener hin und her eilten, die Grafen und Rittersleute durch's Thor an der Burggasse, oder drüben von den Barfüßern her einritten – wenn etwa die Rathsherrn daherkamen, oder die Stadtrichter in der und jenen Angelegenheit - Bischöfe, Aebte und tüchtige Mönche fehlten zeitweise wohl auch nicht - nebenbei lief ein oder der andere Hofnarr dahin - die Prinzen und die jungen Edeleute mochten auch ihre Körperübungen und unblutigen Zweikämpfe im Hof abmachen, wobei die fürstlichen Eltern oben zuschauten - und wenn geradeüber von St. Lorenz , oder vom Barfüßerkloster das Geläute klang, zu Mittags oder zum „alten Abendsegen“, da hielten dann die im Erker Befindlichen wohl mit Gespräch, Lesen oder Arbeit der Nadel in Sammt und Seide ein und beteten fleißig, allein oder insgesammt. Denkt einmal — und manches Mal fand sich da oben auch ein Minnesänger ein, der da alte Kunde sang.
Nun nehmt erst die folgende Zeit an, als der genannte Ludwig deutscher Kaiser ward. Der Edle lehnte oder saß wohl auch zeitweise in demselben Erker - freudigen Gemüthes in den wenigen glücklichen Stunden seines Lebens, sinnend in seinen so vielen ernsten, tief bedeutsamen und gefahrvollen. Wenn das Letzte der Fall war, da fehlte wohl manchmal an seiner Seite diesanfte Beatrix von Schlesien, seine erste Gemahlin, nicht, auf daß sie ihm Trost zuflüstere - etwa kam auch ein und das andere seiner Kinder dazu und schmiegte sich schmeichelnd an, die Mechtilde, der Ludwig, Stephan und die Agnes.
Mit seiner zweiten Gemahlin, Margarethe von Holland und Seeland und ihren vielen Kindern der Reihe und der Zeit nach ist es begreiflich eben so gewesen nemlich mit Ludwig, der zu Rom geboren ward und später viel erlebte, mit dem Wilhelm, der Statthalter in Holland wurde und später leider in traurigsten Irrsinn verfiel, weiters mit dem Albert, dem in der kommenden Theilung Straubing anheimfiel, dann mit dem Otto, welcher Markgraf und Churfürst von Brandenburg wurde, nächst mit den Töchtern Margaretha und Elisabeth, und einer ganz kleinen Prinzessin, der Anna, welche übrigens nur drei Jahre alt wurde, auf einer Reise der hochfürstlichen Eltern starb und im Kloster Castell begraben liegt.
Als nun der edle Kaiser Ludwig 1347 am eilften Oktober in der Gegend des Klosters Fürstenfeld, welches sein Vater bekanntlich zu einiger Sühne für seine schrekliche That an der Maria von Brabant gestiftet hatte, raschen Todes gestorben war, kamen viele Ereignisse und Schicksals wechsel und es befand sich der und jener andere Fürst in jenem Erker, sonderlich wohl auch seiner Zeit der unruhige Herzog Ludwig der Gebartete von Ingolstadt, welcher seinen fürstlichen Vettern, wie Ihr wißt, die Stadt München abwendig machte, bis sie dennoch wieder an das Regiment kamen, nemlich die beiden Herzoge Ernst und der Wilhelinus. Dieselben, welche ihn später beim heutigen Blutenburg und weiterhin in jener Schlacht schlugen und in die Flucht trieben - bis dann wieder seiner Zeit der Herzog Albert III. in den Erker trat, mit der Anna von Braunschweig, die er etliche Weile nach dem traurigen Untergang seiner vielgeliebten Agnes Bernauer zur Gemahlin angenommen hatte und dann und wann waren ja wohl wieder die Kinder der Anna dabei. Darunter sonderlich der Johannes, welcher an der bösen Luft starb, als der Lindwurm nach München geflogen kam, der Sigmund, welcher später die große lieb Frauenkirche baute, und, vom Regiment abließ, im Schlößlein zu Blutenburg ein ehrbar lustsames Leben führte, dann deren Schwester die Margarethe, welche nach Mantua heirathete, der Bruder Albrecht, welcher später der Weise genannt wurde – der starke Herzog Christoph, welcher so viel stritt und erlebte, bis er zu Rhodus starb - der Wolfgang, der nach Albrechts Tod drei Jahre lang Land Bayern adminstrirte und die holde Barbara, welche in jungen Jahren Klosterfrau zu St. Jacob am Anger in München wurde.
Nun nehmt zu all Dem an, welch treffliche Gelehrte, Meister der damaligen Kunst in der Malerei und Bildhauerei da die Treppe am Thürmlein hinaufschritten und daselbst wohl auch gelegentlich mit den Fürsten über wichtige Dinge traktirten oder Aufträge besprachen gar nicht gerechnet, welche treffliche Heerführer wohl da gestanden und etwa einen Blick in den Burghof herabgeworfen haben, angefangen von ganz alten Zeiten Kaiser Ludwige nur des heldenmäßigen Seyfried Schweppermann zu erwähnen – bis auf Albrecht den Weisen – so meine ich, es ließe sich bei dem bewußten Erker denn doch genug denken, und ein noch viel größeres Wahrzeichen in ihm erkennen, als wozu ihn die alten Zeiten machten, ob auch bei gleichen Betrachtungen.
Nemlich alle Jene merkenswerthen Fürsten und Fürstinnen sind dem ewigen Gesetze verfallen, und sie liegen unter der Erde, wie alle Anderen von dazumal; dahin deutet die untere Spitze des Erkerthürmleins — ihre Seelen aber hoffen wir, sind zum Himmel geläutert und in seligen Räumen. Ihr Leben selbst betreffend, ist der Sinn wieder so:
Sie wären oft mit ihren Entwürfen höher geflogen, aber die Flügel waren ihnen dennoch im Irdischen gebunden so ist es auch mit der festen Mauer, daran der Erker emporstrebt.
Mit dem Allen habt Ihr nun einigen Deut, an was und wen Alle man denken, und wie da gut träumen ist, wenn man zu jenem Erker aufblick..