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Ein Jahrhundert München

Ein Hoch auf München

die Fexerei nicht auf. Nur ganz leise wagt sich mitunter der Bergfex hervor,- aber er bleibt ungefährlich, da er sich nur auf dem Wege zum Bahnhof oder vom Bahn­ hof zeigt. Sonst aber ist das Fexentum nur selten, und in einer Beziehung fehlt es ganz: es gibt keine Berufsfexen, oder noch kürzer: München duldet die Fachfexen nicht, die doch sonst kn Deutschland aufs schändlichste wuchern. Denn der Deutsche will etwas Tüchtiges sein,- er lernt „sein Fach" und „simpelt Fach", bis er in lauter Fachgcdanken erstickt und als fertiger Fachfex dasteht.

Als Gelehrter liest er und wiederholt er alle Rezensionen,- als junger Dozent zählt er alle Universitäten auf, an denen er in Vorschlag war,- als Leutnant betet er die Rangliste her, vorwärts oder rückwärts,- als Beamter kennt er das Klebegeseh aus­ wendig, und in manchem unbewachten Augenblick entschlüpft ihm davon ein Para­graph. Jeder findet es beim andern gräßlich, und jeder tut es doch. Nur in der dünnen Luft der bayerischen Hochebene gedeiht der Fachfex nicht.

Der Bayer wird freilich auch seltener Spezialist als der Mitteldeutsche oder Nord­ deutsche. Er wartet lieber ab, ob es ihm der liebe Gott gegeben habe, und läßt es laufen, wenn es ihm nicht gegeben ist. Aber wenn es ihm als Geschenk zufällt, dann wird er was Rechtes und redet nicht davon, außer wenn's nötig ist. Denn der Bayer und sein Bruder, der Österreicher, will nicht in seinem Berufe verkümmern.

So heilige Namen wie Mozart und Schwind wollen wir nur im Vorübergehen mit Ehrfurcht nennen,- sie waren ja Künstler, und die Kunst ist nun einmal die Schöpferin und Hüterin der Ganzheit.

Aber hier in München haben auch andere Berufe das Schöne, daß sie ihren Trägern nicht das Mark aussaugcn, sondern ihnen die Gesundheit bewahren. Daß sogar Könige hier Menschen bleiben, hat uns Ludwig I. gezeigt. Freilich bietet eine so hohe Stellung tausend Heilmittel gegen die Verknöcherung dar. Aber auch in be­ scheidenen Lebenslagen bewährt es sich, daß der Bayer und allen voraus der Münchner gegen die Berufskrankheit des Fexentums geschützt ist.

Nehmen wir einmal als Beispiel den Apotheker. In der Residenz wohnte einmal ein solcher, der Hofapotheker Pettenkofer. Seine Rezeptur verstand er so gut, wie je einer es tat, und sein Geschäft betrieb er musterhaft. Aber er konnte noch mehr. Setzte man ihn in das königliche Münzamt, so war er ein Scheidekünstler ersten Ranges, der unversehens aus den Brabanter Krontalern das verborgene Gold und die Spuren von Platin herausholte. Trug man ihm auf, Vorlesungen über Hygiene zu halten, so fand er zwar nichts vor, das er hätte lehren können, schuf aber so nebenbei das ganze Fach und bildete die Schüler heran, die jetzt auf allen Universitäten Lehrstühle inne haben. Man fragte ihn um Rat wegen des Nachdunkelns der alten Gemälde in der Pinakothek, und Pettenkofer gab sofort ein Verfahren an, die mikroskopischen Risse im Firnis zu schließen und die alten Farben wieder aufleuchten zu lassen.

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