Hl. Geist-Kirche

Zauner - München in Kunst und Geschichte (1914)

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Hl. Geist-Kirche im Tal 77.

Geschichte. Alsbald nach der Gründung des „Ordens vom Hl. Geist“ und Erbauung des ersten Hl. Geist-Spitales (in Rom) um 1210 wurde wie in vielen andern Städten so auch in München ein Hl. Geist-Spital errichtet, und zwar noch vor 1250. Die Brüder ließen sich bei der ehemaligen kleinen Katharinen-Kirche am jetzigen Viktualienmarkt (vgl. Hl. Geist-Spital) nieder; 1253 legte Herzog Ludwig der Kelheimer den Grundstein zur neuen großen „Hl. Geist-Kirche“, die 1271 zugleich mit der Frauenkirche zur (3.) Pfarrkirche (neben der Peterskirche) erhoben wurde. Ihre Baugeschichte ist nicht ganz aufgeklärt, und es bestehen Zweifel, ob das Mauerwerk der jetzigen Rokoko- kirche noch dem 14. und nicht erst — was wahrscheinlicher ist, da der Chorschluß das entwickelte Hallensystem der Spätgotik zeigt — dem beginnenden 15. Jahrh. angehört; wäre ihre Entstehung gleich nach dem großen Stadtbrand 1327 gesichert, so würde sie die älteste Hallenkirche Deutschlands sein. 1724 wurden die Seitenschiffe erhöht, die Gewölbe und der Dachstuhl vollkommen erneuert und ein neuer Turm erbaut; die Dekoration wurde damals von den beiden As am (es war ihr erstes Werk in München) unter Mitwirkung des Stuckators Mathias Schmidt- gartners und der Maler Nikolaus Stüber und Peter Horemanns ausgeführt. 1885 w'urde die Kirche, nachdem das Spital abgebrochen war, um 3 Joche verlängert und mit einer stattlichen Fassade versehen. Letzte durchgreifende Renovation 1908/09.

Kunst. Grundriß und Aufbau der vormaligen gotischen Hallenkirche noch deutlich erkennbar. Durch 16 Pfeiler —w’ovon die 2 letzten, etwas enger gestellt, die Herumführung der Seitenschiffe um den Chor in gleicher Weise wie an der Frauenkirche ermöglichen — in 3 Schiffe geteilt, zeigt die Kirche auch die einwärts gezogenen Streben wie die Frauenkirche, wenn sie auch nicht der Stärke von jenen bedurften; das Netzwerk der Gewölbegurten ist indes wie alle andern gotischen Formen im 17. und 18. Jahrh. unter den Stukkaturen völlig verschwunden; das Mittelschiff hat ursprünglich eine geringe basilikale Ueberhöhung, wie etwa U. L. Frau in Ingolstadt, gehabt, bis 1725 auch für die Seitenschiffe der Scheitelpunkt der Gewölbe höhergeführt wurde; an Stelle des 1730 an den Chor angefügten Turmes trug vorher nur ein Dachreiter über dem Orgelchor die einzige Glocke. „Als gotische Hallenkirche mit Umgang im Chor übertrifft sie in der Anlage sogar die Frauenkirche als Raumschöpfung bei weitem: man prüfe einmal vom Chor aus hier und dort (Frauenkirche) die Möglichkeit des Durchblicks! Aber sehr geschickte Künstler des 18. Jahrh. haben (beim Umbau) die Raumwirkung zweifellos noch verstärkt: erstaunlich ist ihnen die Umwandlung der Pfeiler gelungen; durch starke Gesimse und leichte Kompositkapitelle haben sie dem alten Gefüge alle Schwerfälligkeit benommen; überdies wurde aus dem Netzgewölbe ein Spiegelgewölbe, und hier malte Asam mit gewohnter Schnelligkeit und Geschicklichkeit seine kirchlichen Welten voll Zauber und theatralischem Effekt; andere Künstler und andere Künste unterstützten ihn dabei vortrefflich: vor allen Dingen der Gebrüder Asam rassige Stuckornamente machten aus dem ohnehin frohgedachten Raum eine „moderne“ Kirche für ihre Zeitgenossen [Br 54].“

Aufbau: Dreischiffig mit 9 Jochen, davon die 3 westlichen neu: Chorabschluß im Mittelschiff in 5 Achteckseiten, im Chorumgang neunseitig; Pfeiler des Mittelschiffs sowie die Strebepfeiler mit Kompositapilastern besetzt; über den Kapitellen Gesimse; im Mittelschiff Tonnengewölbe mit Stichkappen, in den Seitenschiffen Kreuzgewölbe; in den Wandflächen zwischen den Pfeilern und in den Schildmauern der Gewölbebögen Fenster. Am Plafond und an den Wänden sehr geschickte Arrangements von flotten Stuckornamenten (0. T). Asam) in Bänderschlingwerk, Festons, Ranken und Mascarrons in üppiger Fülle; über den Fenstern Kartuschenformationen.

Fassade 1885 von Loewel nach den Formen der alten Fassade von Asam ; Madonna von Anton Heß-, Marmorportal von Lallinger-, Kirchentor von Badspieler.

Deckenfresken im Mittelschiff, davon die ersten 4 von G. T). Asam 1725 und die letzten 2 von Ludw. Gloetzle 1888:

1. Ueber dem Hochaltar die theologisch tief durchdachte Komposition vom „hl. Geist als dem Spender der 7 Gaben“: in der Mitte die „Hl. Geisttaube“; um sie 7 Vertreter der Engelschöre, die einzelnen Gaben symbolisierend („Weisheit“ = ein leichter weißer Seraph; „Verstand“ = ein Cherub, aus dem Quell der Weisheit selbst schöpfend und andern die Fluten der Erkenntnis zufließen lassend; „Rat“ = einer der Throne, die sitzen und ruhen, weil in ihnen Gott der Herr Sabaot ruht; „Wissenschaft“ — einer vom Chor der Herrschaften, in einem Buche die Weltkugel haltend; „Stärke“ = einer der Fürstentümer, eine mächtige Säule umfassend; „Frömmigkeit“ = einer der Mächte, mit einer brennenden Lampe; „Gottesfurcht“ = einer der Kräfte, eine Geißel schwingend, während aus einem Gewölke Blitze fahren;.

2. Die 2 untersten der 9 Engelchöre, die Erzengel und Engel, in heiliger Andacht harrend der Aufträge des Herrn. 3. Das große Mittelbild mit der Gründung des hl. Geistspitals“, eine gewaltige Komposition: im Mittelpunkt Herzog Otto der Erlauchte, in der Linken die Standarte mit der Darstellung der hl. Dreifaltigkeit, in der Rechten den herzoglichen Stiftungsbrief des Spitals; um ihn reiche Bürger der Stadt, spendend und Spenden sammelnd; unter diesen eine Gruppe von Armen, Kranken und Sterbenden, denen Ordensbrüder und Aerzte beistehen; unten in der Ecke der Schimmel des sogen. ,.Bretzelreiters ein scherzhafter Hinweis auf die „Wadlerspende“ 1).

Ueber der Hauptgruppe schwebt, als Beweggrund und Lohn der christlichen Caritas, Maria als „Mutter der Barmherzigkeit“ und „Braut des hl. Geistes“ mit dem Lilienzepter in der Linken und den Brautring in derBechten; über ihr, Gnadenstrahlen aussendend, der hl. Geist. 4. Bild (vor dem Vergrößerungsanbau, noch über der Orgelempore, befindlich) mit der bezüglichen Darstellung des Königs David mit der Harfe und dem Schriftwort: „In conspectu angelorum psallam tibi“. 5. Bild (von Gloetzle) symbolisierend die Wiederherstellung der christlichen Weltordnung nach den Grundsätzen der Bulle Leos X1JI. „Immortale Dei“ durch Gebet (Maria als „Königin des Bosenkranzes“ von LeoXIII. in dieLauret. Litanei eingefügt), durch Wissenschaft (St. Thomas von Aquin, der Philosoph und St. Augustin mit seiner Lehre „De civitate Dei“) und durch Askese (St. Franziskus von Assisi und der III. Orden); unten am Stein, der Grundlage des Ganzen, das Schriftwort: „Et in terra Pax“. 6. Bild über der Orgel: St. Cacilia, eine herrliche Darstellung himmlischer Harmonien.

Deckenfresken in den Seitenschiffen mit der Darstellung der „Leiblichen Werke der Barmherzigkeit“ durch 11 hl. Männer auf der Evangelienseite und 11 hl. Frauen auf der Epistelseite (die 3 letzten Figuren beiderseits von Gloetzle) von Hofmaler Nikolaus Stüber 1725. Evangelienseite:

1. Franz Begis; 2. Johannes v. Gott (Stifter des Ordens der „Barmherzigen Brüder“); 3. Paulinus v. Nola; 4. Iwo Felori, der Juristen-Patron, führte Prozesse der Armen vor Gericht; 5. Johannes von Alexandrien, der „Almosengeber“; 6. Martinus; 7. Laurentius; 8. der „Barmherzige Samariter“; 9. Otto, Bischof von Bamberg, dargestellt, wie er einen großen Fisch auf seiner Tafel den Armen zuweist; 10. Vinzenz v. Paul;

II. Sebastian, der noch vor dem Tod sein Vermögen den Armen gab. Epistelseite: 1. Notburga; 2. Die „Witwe von Sarepta“; 3. Franziska Bomana; 4. Hyacintha Mariscotti, gest. 1640, Wohltäterin der römischen Spitäler; 5. Tabitha; „haec erat plena operibus bonis et eleemosynis“ A. Ap. 9, 36; 6. Hildegardis, Gemahlin Karls des Großen; 7. Elisabeth, Landgräfin von Thüringen; 8. Paulina; 9. Monika; 10. Magdalena; 11. Odilia (die 3 letzten gewählt mit Bücksicht auf die 3 Bruderschaften: Frauengebetsverein, Magdalena- und Odiliabruderschaft).

Gemälde an den Seitenwänden (vom Münchner Hofmaler Peter Horemann, einem niederländischen Konversationsmaler), Oelgemälde auf Leinwand in die Mauer eingelassen, enthaltend Allegorien auf die „7 Gaben des hl. Geistes“ im Geschmack der Schäferidyllen seiner Zeit, mit den bezüglichen Schriftworten:

  1. „Weisheit“, Pyramide mit dem Sonnenbild; der brennende Dornbusch; Sprw. 14, 16;
  2. „Verstand“, Salomon vor seinem Thron; II K. 17, 19;
  3. „Rat“, Januskopf; der ägyptische Joseph; Sprw. 21.30;
  4. „Stärke“, David zerreißt den Löwen; starke Festung; Marterwerkzeuge; Hohe]. 8, 6;
  5.  „Wissenschaft“, Baum der Erkenntnis; „ein Weiser entfernt sich vom verbotenen Baum; ein starker Bewaffneter bewacht sein Haus“; Col. 1, 10;
  6. „Frömmigkeit“, Tobias die Toten begrabend; Flamme der Andacht; I Tim. 4,7;
  7. „Gottesfurcht“, David verläßt sein Lager, um Gott Lob zu singen; Mal. 1,6.

Hinter dem Hochaltar Generalgemälde zu dem Zyklus von den 22 Heiligen der Barmherzigkeit: Jesus lehrt die Jünger, den Armen das Evangelium zu predigen; an der Turmwand sehr schöne, große „Kreuzigung“, vielleicht von Hauler. Ueber der Sakristei „Krönung der hl. Elisabeth, Patronin der Spitäler, Oel- gemälde von Franz Zimmermann-, rechts „Die Sünden wider den hl. Geist“, Oelgemälde von Hortmann. An der Büekwand beim Hauptportal: 2 Allegorien: „die 3 Göttlichen Tugenden“ und „die Kardinaltugenden“ Klugheit, Gerechtigkeit, Mäßigkeit, Starkmut, sowie Friede, Freude, Langmut und Barmherzigkeit.

Hochaltar: Unterbau und Säulen aus Tegern- seer Marmor, von Antonio Matteo-, hoher Kokoko-Altaraufsatz in reicher vergoldeter Holzschnitzerei von Greif „Die hl. Dreifaltigkeit“; Altarbild „Sendung des hl. Geistes“ von Ulrich Loth; daneben an den Säulen die überlebensgroßen Holzfiguren „St. Gabriel“ und „Raffael“ von Greif. Hinterm Hochaltar der Sakramen tsaltar mit geschnitztem vergoldetem Rokokotabernakel, Antipendium und einem (früher in der alten Kapuzinerkirche befindlichen) Altarbild „Das Abendmahl“ von Hofmaler Christian Wink.

Seitenaltäre; sämtliche im Chorumgang, von links beginnend:

  1. Dreifaltigkeitsaltar mit Marmorsäulen und dem großen Holzschnitzwerk „Krönung Mariens durch die Dreifaltigkeit“, Ende 17. Jahrh. (aus der abgebrochenen Dreifaltigkeitskirche); Mensa aus der Augustinerkirche.
  2. Antoniusaltar mit gutem Altarbild „St. Antonius“ von Hofmaler Hesmarees um 1770.
  3. Anna-Altar von gleichem Aufbau und auch von Marmor wie der Hochaltar; Altarbild „Joachim und Anna", in einer Vision die UnbeflekteEmpfängnis schauend; eine treffliche Komposition von Hofmaler Albrecht c. 1760; darunter ein Oelgemälde in Rokokorahmen „St, Florian“.
  4. Vierzehn-Nothelferaltar mit dem vielverehrten Gnadenbild „Ecce hemo“, einer lebensgroßen Holzfigur von A. Faistenberger um 1730; Altarbild „die 14 Nothelfer“ von Schoenfeld um 1650; im Aufsatz das Bild des Bürgermeisters Harth von Hartmating 1751.
  5. Unbefleckte Empfängnisaltar; Altarbild „die Immaculata“ von Andreas Wolf um 1710; darunter „St. Aloysius“ von J. Hauler in versilbertem Ovalrahmen.
  6. Bäcker-Altar, gestiftet von der uralten „Hökhenknecht-Hruderschafi“; hinter der Predella in einem Glasschrank der Leib des hl. Lucidus. Tafelgemälde der „Muttergottes in der Engelsglorie (aus der alten Franziskanerkirche) von Rotthammer um 1560.

An der Nordseite ein Nischenaufbau mit der Lourdes-Madonna, darunter eine Armenseelengruppe gestiftet von Pfarrer Huhn um 1888.

Am Pfeiler bei der Kanzel die vielverehrte sog. „Hämmerthaler-Muttergottes“. anmutiges Schnitzwerk um 1450 (aus der Tegernseer Klosterkirche, bis zur Säkularisation 1802 in der Augustinerkirche): Maria stehend auf dem Halbmond; das Kind auf ihrem Arm hebt den Schleier von seinem Köpfchen empor.

Kreuzweg-Stationen in sehr zierlich geschnitzten Rokoko-Rahmen. Sehr zierliche Kanzel (im Schalldeckel Gemälde „der Hl. Geist“; auf der Bekrönung geschnitzte Engelsfiguren), Beichtstühle und Portale von Simon Lintner 1731; Kommunionbank von J. Poschenröder aus Tegernsee. Kanzelstiege und Abschlußgitter hervorragende Schmiedearbeiten des Ferd. Dürr 1734. Unter der Orgeltribüne aus der ehemaligen Wartenberg-Kapelle das technisch vorzügliche Erzdenkmal (von Hubert Gerhard?) des Herzog Ferdinand von Bayern, der (laut Inschrift der Bronzetafeln) durch seine Heirat mit der Rentamtsmannstochter Maria Pettenbeck 1588 der Gründer der gräfl. Wartenbergischen Familie wurde. Er hält (mit Bezug auf die Einnahme der Feste Godesberg) den Kommando-Stab; im Hintergrund kunstvolle Ornamente. Grabstein der Birgitte Manhartin 1576 in Rotmarmor, oben die „Vision der hl. Birgitta“ (sehr bemerkenswerte Arbeit), unten die Inschrift in gutem Kartuschenrahmen. In Chor 2 neue Glasgemälde „Englischer Gruß“ und „Auferstehung“ nach Entwürfen von M. Feuerstein und Eugen Drollinger. In der Sakristei: Prachttabernakel für Festzeiten; Monstranz, hervorragende Münchner Arbeit 1714, von einem in Silber getriebenem Engel gehalten, Lunula reich mit Edelsteinen besetzt und mit 7 Emails (7 Gaben des hl. Geistes) umgeben; versilberter Weihwasserkessel (aus Ramersdorf) mit getriebenen Medaillons (Ansicht der Wallfahrtskirche und der Stadt München vom Gasteig aus); Messornat der Gräfin Rivera-Prey sing 17. Jahrh. TCK05, 3; D; Gerhauser M. „Die hl. Geist-Kirche 1909;‘KB, Eb, W].

 

*) Der Bürger Burkhard Wadler von München machte 1318 eine Stiftung für das Hl. Geistspital, woraus dessen Insassen an jedem Montag eine Mahlzeit und überdies am Johannestag nach Weihnachten <27. Dez.) eine außerordentliche Bretzenspende, und zwar „2 Stück für jeden armen Menschen der Stadt“ gewährt wurde; am Johannestag nun (später geschah dies am 1. Mai) ritt nachts 12 Uhr vom Hl. Geisthof ein Mann auf einem Schimmel, dem 3 Hufeisen gelockert waren (damit es mehr klapperte) auf die Hauptwache mit seinem Sack voll Bretzen; von dort aus ritt er durch die ganze Stadt, Bretzen austeilend jedem, der wollte, und rufend: „Ihr alt und jungen Leut, Geht zum Hl. Geist, Wo man die Wadler-Bretzen geit!“ Hierauf ritt er zum Spital zurück, wo man jedem, arm oder reich, beim Hl. Geistbäcker bis 12 Uhr mittags umsonst Bretzen austeilte — zur Lust und Freude der alten und jungen Münchner. Als ihm 1801 die Bretzen vorzeitig ausgegangen warenund er vom erzürnten Volk vomPferd gerissen und durchgeprügelt wurde, ist darauf hin die ganze Spende aufgehoben worden.

 

 

Zauner - München in Kunst und Geschichte (1914)